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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutschlands Realität Eine bittere Erkenntnis
Für drei Säulen ist bei den DFB-Frauen endgültig Schluss. Nach zwei Testspielen ist nun klar, welche Lücke sie hinterlassen.
Aus Duisburg berichtet Kim Steinke
Zunächst wirkte alles wie immer: Alexandra Popp wärmte sich mit ihren Teamkolleginnen auf, zog mit ihrem starken linken Fuß ab – und zirkelte den Ball in die Ecke des Tores. Doch wie immer war dieser Abend in Duisburg nicht. Und der Schuss ins Tor bei der Erwärmung sollte ihr letzter Treffer sein. Denn das Testspiel gegen Australien bedeutete gleichzeitig das Ende ihrer langjährigen DFB-Karriere.
In Duisburg startete sie in ihr 145. und letztes DFB-Duell – ausgerechnet dort, wo einst alles begann. Im Februar 2010 lief sie erstmals im Stadion des MSV Duisburg im Deutschland-Trikot auf, spielte damals sogar selbst im Ruhrgebiet. Mehr als 14 Jahre später folgte das große Finale. 26.623 Zuschauer brachen immer wieder in tosenden Applaus aus, sei es bei der Verkündung der Startelf oder bei der offiziellen Verabschiedung vor Anpfiff gewesen.
Die Menschen in der Schauinsland-Reisen-Arena trommelten, schrien und klatschten wild in die Hände, um Popp aus der Nationalmannschaft zu verabschieden. Sie selbst war etwas "überwältigt von dem, was hier stattgefunden hat. Die eine oder andere Träne ist schon geflossen", sagte sie nach der Partie.
Bundestrainer Christian Wück und Popp hatten sich im Vorfeld auf 15 Minuten Spielzeit geeinigt – und diese Viertelstunde hatte es in sich. Es dauerte nicht lange, ehe sich Deutschland in Führung köpfte, allerdings nicht durch Popp. Selina Cerci war es, die eine Flanke von Vivien Endemann zur deutschen Führung verwertete. Und das Team um Popp hörte nicht auf, griff weiter sofort an. Die Australierinnen standen unter Druck, das Quäntchen Glück fehlte allerdings auf deutscher Seite.
Dann war es so weit. Nicole Anyomi hatte sich bereits aufgewärmt, dann hob die vierte Offizielle an der Seitenlinie die Anzeigetafel: Deutschlands Nummer 11 gegen die 18. Popp zog sich die Kapitänsbinde aus und lief in Richtung Anyomi, die Mannschaft wartete längst Spalier stehend an der Seitenlinie. Popp riss noch einmal die Hände in die Luft und verabschiedete sich von den Fans, ehe sie die Binde an Giulia Gwinn übergab und ihr die Worte "Viel Spaß mit dem Haufen" ins Ohr flüsterte. "Schade, ist schon vorbei", dachte sich Popp laut eigener Aussage bei ihrer Auswechslung.
Ein emotionaler Moment, an dem jede Spielerin teilhaben wollte. Als das Spiel bereits fortgesetzt wurde, suchten Mitspielerinnen wie Linda Dallmann und Elisa Senß noch immer die Arme von Popp. Dann verschwand die 33-Jährige auf der Bank. Das Spiel veränderte sich plötzlich – und eine bittere Erkenntnis tat sich auf.
"Das ärgert mich"
Ob Felicitas Rauch, Klara Bühl oder Sjoeke Nüsken – der Ball wollte nicht ins australische Tor. Dafür traf plötzlich der Gast durch einen individuellen Fehler sehenswert aus knapp 40 Metern (39. Minute). Dann ertönte der Halbzeitpfiff. Jule Brand rutschte beim Warm machen durch die überraschend angegangene Sprinkleranlage aus. Ein schlechtes Omen? Die Minuten ließen fast schon annehmen, dass Popp das nötige Quäntchen Glück mit sich genommen hatte.
Von der Offensivpower der Anfangsphase war kaum noch etwas zu sehen. Stattdessen häuften sich die Fehler und Ungenauigkeiten. So drehte Australien den zwischenzeitlichen 0:1-Rückstand und verdarb Popps Abschiedsspiel.
Gwinn resümierte nach Abpfiff: "Man muss so ein Spiel nicht verlieren, das ärgert mich." Besonders die zweite Hälfte beschäftigte die Spielerin des FC Bayern. "Es wurde viel gewechselt, auch mit Spielerinnen, die so noch nie zusammengespielt haben, was natürlich dann auch immer schwierig ist. Trotzdem darf uns das nicht passieren", betonte sie weiter. Die fehlenden Spielerinnen Kathrin Hendrich, Sara Däbritz, Sydney Lohmann, Lea Schüller und Laura Freigang hätten dem Spiel aus ihrer Sicht gutgetan.
Bundestrainer Wück hatte aufgrund der zuletzt abgetretenen Spielerinnen Popp, Hegering und Frohms sowie den Verletzten und Kranken mit Selina Cerci, Lisanne Gräwe und Giovanna Hoffmann gleich drei Debütantinnen ins Team geholt. Lina Magull, Sophia Kleinherne und Nicole Anyomi kehrten nach längerer Zeit zurück.
Trotz des torreichen 4:3-Erfolgs gegen England am vergangenen Freitag war bereits aufgefallen, dass die DFB-Frauen immer wieder Schwächen vor dem eigenen Tor zeigen. Durch die Rücktritte von Frohms und Hegering, die ebenfalls in Duisburg verabschiedet wurden, fehlen zudem nun zwei feste Säulen in der Defensive. Zwei Spielerinnen, die zu den Leistungsträgerinnen wie bei der Vize-Europameisterschaft 2022 oder auch bei den Olympischen Spielen in Paris gehörten.
Die Mannschaft hat bereits mit Stina Johannes, die zweimal gut gegen Australien parieren konnte, und der Abwehr bestehend aus Janina Minge und Sarai Linder gute Ansätze gezeigt. Dem Team fehlen aber noch Führungsspielerinnen und die Konstanz auf Top-Niveau. Gwinn, die nun als Favoritin auf die Kapitänsnachfolge gilt, fordert daher von einigen den nächsten Schritt. "Es ist die Zeit gekommen, in der auch Spielerinnen, die jetzt schon länger dabei sind, einen Schritt nach vorn machen und zeigen, dass sie Verantwortung übernehmen wollen", sagte sie nach Abpfiff.
"Die einzig wahre Legende"
Sorgen um das allgemeine Mannschaftsgefüge machte sie sich dabei aber nicht. In den vergangenen Turnieren "ging viel über Mentalität, Leidenschaft und das Gemeinsame. Das hat uns immer ausgezeichnet." Sie wisse, dass die Mannschaft all das in sich habe, "es ist eher so, dass wir es kombinieren müssen mit dem, was Wück spielen möchte".
Auch Popp, die der Mannschaft die Niederlage nicht übel genommen hat, sagte: "Klar ist, dass sie noch mehr Zeit benötigen werden. Aber man hat schon gesehen, wozu die Mannschaft in der Lage ist. Es haben heute einfach die Tore gefehlt." In ihre Fußstapfen treten werde laut Lina Magull, die viele Jahre gemeinsam mit Popp in der Nationalelf spielte, aber niemand. "Sie ist die einzig wahre Legende, so wie sie ist", sagte sie nach der Partie.
Die kommenden Länderspiele gegen die Schweiz (29.11) und Italien (2.12.) muss Deutschland dann ohne seine langjährige Kapitänin Popp bestreiten. In der Offensive steckt viel Potenzial, defensiv steht Wück allerdings noch vor einer großen Herausforderung – mit der auch sein Vorgänger Horst Hrubesch immer mal wieder zu kämpfen hatte.
- Eigene Beobachtungen vor Ort
- Gespräche in der Mixed Zone mit Alexandra Popp, Giulia Gwinn und Lina Magull