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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wohin steuert der Frauenfußball? "Das Thema ist in vielen Mitgliedsverbänden tabu"
Der Frauenfußball ist im Wandel und hat in diesem Jahr Aufmerksamkeit bekommen. Die Fifa-Entwicklungsleiterin spricht darüber und was die WM 2023 bedeutet.
Arijana Demirovic reist um die Welt, um den Frauenfußball voranzubringen. Sie ist Leiterin für die Entwicklung eben jenes Frauenfußballs bei der Fifa und kennt die unterschiedlichen Lagen des Sports in den Ländern.
Im Gespräch mit t-online spricht sie über Menstruation, die Tabus, die damit noch verbunden sind und die Rolle des deutschen Frauenfußballs weltweit.
t-online: Frau Demirovic, Sie sind Women's Football Development Manager bei der Fifa. Warum ist es Ihnen so wichtig, den Frauenfußball in alle Länder zu bringen?
Arijana Demirovic: Es ist Teil der Vision der Fifa sicherzustellen, dass wir das Wachstum des Frauenfußballs weltweit beschleunigen und dafür zu sorgen, die Mitglieder in den Verbänden zu unterstützen. Sie befinden sich alle auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen und in unterschiedlichen Stadien ihrer fußballerischen Reife. Wir wollen, dass sie auf die nächste Stufe kommen, was auch immer das für sie bedeutet. Unser Ziel ist es, dass bis Ende 2026 60 Millionen Mädchen Fußball spielen. Wir stellen sicher, dass die Fifa-Mitglieder eine Frauenfußballstrategie haben und Finanzmittel, die ihnen zur Entwicklung des Spiels zur Verfügung stehen. Für uns ist es sehr wichtig, die Beziehung zu unserem Mitgliedsverband zu haben. Wir wollen sicherstellen, dass Frauenfußball gespielt wird, auf das Umfeld zugeschnitten ist und in der häuslichen Struktur wachsen kann.
Sie haben im Südsudan ein Projekt gestartet, das jungen Mädchen Menstruationsthemen erklärt und sie mit Hygieneartikeln versorgt, damit sie Fußball spielen können. Welche Auswirkungen hat das auf das Privatleben der jungen Frauen?
Das Projekt im Südsudan ist ein Teil unserer Vision für das Wachstum des Frauenfußballs. Bei der Fifa haben wir Mitgliederprogramme für Verbände, auf die sie zugreifen und die sie ausprobieren können. Damit können sie sehen, wie sie das Spiel in ihrem Land entwickeln können. Der Südsudan brachte das Thema Menstruationshygiene sehr offen auf den Tisch. Dort haben die Menschen nicht nur im Fußball zu kämpfen. Es ist nicht nur der Mangel an Informationen rund um das Thema, sondern auch der fehlende Zugang zum Produkt selbst. Das zwingt junge Frauen dazu, zu Hause zu bleiben und auch keinen Sport zu treiben. Das soll das Programm ändern.
Wie genau läuft das ab?
Die Trainer der Teams haben Workshops mit den Mädchen, um ihnen die Menstruation zu erklären, weil es für sie ein neues Thema ist. So lernen sie, ihren Körper zu verstehen. Nach den Workshops haben wir ihnen Hygienesets mit wiederverwendbaren Einlagen zur Verfügung gestellt. Die Einlagen halten bis zu einem Jahr. Der Fußball hat ihnen etwas gebracht, was das Budget der Familie nicht mehr belastet.
Mit welchen Schwierigkeiten sind Sie in Ihrem Job konfrontiert?
Mein Job ist einzigartig, weil man so viele verschiedene Länder, Kulturen und Hintergründe kennenlernt. Sprache ist natürlich eine Herausforderung. Das Schöne am Fußball und Frauenfußball ist, dass er die Dimension hat, Leben wirklich zu verändern. Manchmal versteht man Menschen ohne die Sprache durch Empathie und indem man Zeit mit ihnen verbringt. Wir sehen, dass der Lebensstil der Mitglieder unterschiedlich ist, auch in den gleichen Regionen. Die Sprache ist eine Barriere, aber es gibt so viele Möglichkeiten, sie zu überwinden.
Warum ist es so wichtig, im Frauenfußball mehr über den weiblichen Körper zu sprechen?
Für uns ist es wichtig, dass alle Mitglieder die Möglichkeit haben, zu wachsen und sich zu messen. Dabei gehen wir auch auf die Besonderheiten zwischen Männern und Frauen ein. Wenn wir Frauen auf der ganzen Welt darauf vorbereiten und trainieren, sind ihre Trainingsmöglichkeiten schlechter. Wir gehen auch auf den weiblichen Zyklus ein und wie er sich auf bestimmte Dinge auswirkt. Wir sehen bei weit entwickelten Vereinen und Nationalmannschaften, dass sie das Thema voranbringen und den Menstruationszyklus verfolgen. Diese Klubs und Länder verstehen, wie man mit bestimmten Symptomen umgeht. Sie helfen den Spielern individuell. Das erkennen wir an Höchstleistungen.
Wie hilft die Fifa den Ländern, so weit zu kommen?
Es beginnt mit dem Bewusstsein. Noch immer ist das Thema in vielen Mitgliedsverbänden tabu. Wir schärfen also wirklich das Bewusstsein und zeigen, dass dies ein Empowerment-Moment ist. Bildung und Forschung sind ebenfalls wichtig. Nicht nur über die Infrastruktur, sondern auch über Toiletten- und Umkleideräume und Einrichtungen. Wir versuchen, von Vorbildern wie Chelsea und von der US-Frauen-Nationalmannschaft zu lernen.
In England geben Trainerinnen wie Emma Hayes ihren Spielerinnen jeden Morgen Fragebögen, in denen der weibliche Zyklus und die Menstruation Thema sind. Ist das das Ziel, wo der Frauenfußball hinkommen sollte?
Es ist ein sehr interessanter Ansatz, und ich denke, das geht auf die Ressourcen zurück, die der Klub hat. Für uns ist es sehr wichtig, an etwas zu arbeiten, dass weltweit für alle zugänglich ist. Und sicherzustellen, dass die Spielerinnen verstehen, warum dies wichtig ist. Dass sie verstehen, wie sie sich selbst und den Zyklus verfolgen können. Sich von der Annahme zu lösen, dass jemand, der seine Periode hat, keinen Sport treiben kann. Für jedes Mädchen und jede Frau ist es wichtig, die Menstruation zu verstehen, denn sie ist Teil unseres Lebens.
Wie denken Sie über die Entwicklung des Frauenfußballs in Deutschland in den letzten Jahren?
Es gibt mehrere Meilensteine. Einer der größten Momente für die Fifa war die Weltmeisterschaft 2019 in Frankreich. Diese hat viele Mitgliedsverbände dazu veranlasst, nicht nur an ihren Nationalmannschaften, sondern auch an den Strukturen drumherum zu arbeiten. Einer der größten Meilensteine 2022 Jahr war die Tatsache, dass die Frauen-EM so erfolgreich war und Deutschland bei dem Turnier so weit gekommen ist. Wir haben Zuschauerrekorde gesehen. Bei diesen Turnieren können die Länder voneinander lernen. Es ist unsere Aufgabe, dieses Wissen zu verbreiten und auch die Lücken aufzuzeigen, an denen die Länder arbeiten sollten. Vor allem in Deutschland gibt es viel Potenzial. Rund um den Frauenfußball hat sich so viel entwickelt. Wir hoffen, das auch in Zukunft zu sehen.
Was bleibt von der Europameisterschaft in England?
Die Europameisterschaft in diesem Jahr hat die Mentalität rund um den Frauenfußball sicherlich weiter vorangetrieben. Abgesehen davon, dass Zuschauerrekorde gebrochen wurden, ist der Frauenfußball speziell in England weit entwickelt und das Interesse sehr groß. Wir sehen viel Einfluss von England auf andere Länder in Europa. Die globale Reichweite ermöglicht es uns auch, die Meilensteine zu feiern, die in Europa geschehen. Diese Dynamik, die die EM geschaffen hat, ist sicherlich noch immer in ganz Europa zu spüren. Für die Fifa ist es nun eine Aufgabe, in den nächsten Monaten vor der Frauen-WM 2023 dafür zu sorgen, dass wir das auch im nationalen Wettbewerb halten.
Kann dieses Wachstum wegen der Weltmeisterschaft im nächsten Jahr in Australien weitergehen?
Unbedingt. Wir sind stolz darauf, sagen zu können, dass die Frauen-Weltmeisterschaft der größte Wettbewerb ist, den wir weltweit haben. Es ist der Moment, in dem wir die Erfolge der verschiedenen Nationalmannschaften feiern. Wir sind sehr gespannt auf das Turnier. und hoffen sehr, dass der Frauenfußball auch dort Rekorde bricht, was das Fernsehen angeht.
Was ist Ihr größter Wunsch für die Zukunft?
Manchmal ist es der Wunsch, dass unsere Jobs überflüssig werden. In Zukunft möchten wir sehen, dass alle Mädchen und Frauen, die am Frauenfußball teilnehmen möchten, diesen Zugang dazu auch haben. Zudem möchten wir erreichen, dass auch zwölfjährige oder sechzehnjährige Mädchen wissen, wie sie Teil des Frauenfußballs sein können. Egal, ob sie Spielerin, Trainerin, Schiedsrichterin oder Administratorin werden möchten. Wer sich im Frauenfußball engagieren will, soll im Idealfall diesen Weg finden. Das ist der Moment, in dem wir das Ziel erreicht haben.
- Eigenes Videogespräch mit Arijana Demirovic