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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Füllkrug in der DFB-Elf "Freud und Leid zugleich"
Schon zweimal verzückte Niclas Füllkrug deutsche Fußballfans mit seinen Toren bei der EM. "Lücke" empfiehlt sich damit für die Startelf. Die Zahlen sprechen für seine Rolle als Joker.
Wenn das DFB-Team ihn braucht, dann ist er da. Es schien, als sei das Spiel für das deutsche Team schon gelaufen, als Niclas Füllkrug in der 92. Minute des letzten EM-Gruppenspiels gegen die Schweiz in die Luft stieg. Linksaußen David Raum hatte eine punktgenaue Flanke in den Strafraum geschlagen, die Füllkrug perfekt mit dem Kopf vollendete: 1:1 lautete der Endstand. Deutschland steht als Gruppenerster im Achtelfinale.
Er habe das echt "ganz gut" gemacht, meinte Füllkrug im Interview nach dem Spiel. Der Stürmer habe seinen Kopf sogar noch ein Stück zurückziehen müssen, um den Ball nicht über das Tor zu setzen. "Es hat dann einfach viel gepasst", erklärte der gebürtige Hannoveraner bescheiden. Die Schweizer "Neue Zürcher Zeitung" sah das ganze etwas emotionaler: "Niclas Füllkrug trifft mit seinem Kopfball mitten ins Schweizer Herz."
"Eigentlich bin ich es nicht gewohnt, als Joker zu spielen"
Es war schon sein zweites Tor als Joker bei diesem Turnier. Füllkrug selbst machte anschließend klar, dass er sich selbst zwar in einer anderen Rolle sieht: "Eigentlich bin ich es nicht gewohnt, als Joker zu spielen", sagte er nach dem Spiel. Doch auch wenn Nagelsmann seinem Stürmer die Startelf nicht verschließen will, dürfte auch ihm klar sein: Kai Havertz, der bisher die Gruppenspiele als Sturmspitze eröffnet hatte, hat nicht die gleichen Joker-Qualitäten wie Füllkrug.
Beobachter erinnerte sein Tor gegen die Schweiz sogleich an die Fußball-WM 2006 in Deutschland, als Oliver Neuville nach Flanke von David Odonkor in ähnlicher Manier in der Nachspielzeit gegen Polen traf. "Die kamen auch beide damals von der Bank und haben das eine entscheidende Ding gemacht", erinnerte Füllkrug, der damals 13 Jahre jung war.
Für den DFB-Neuner mit der markanten Zahnlücke ist die Banksituation nicht ganz neu: Schon insgesamt viermal hat er im DFB-Dress bei Welt- und Europameisterschaften als Joker getroffen. Das hat vor ihm noch keiner geschafft. Sein erstes Joker-Tor bei einem Turnier erzielte er beim 1:1 gegen Spanien in der Gruppenphase der Fußball-WM 2022 und wahrte damit die deutschen Chancen auf den Achtelfinaleinzug. Es reichte dann nicht, auch wenn Füllkrug im letzten Gruppenspiel gegen Costa Rica erneut als Joker traf.
Der Stürmer von Borussia Dortmund lässt nicht locker, läuft auch in diesem Jahr im DFB-Dress wieder zu bestechender Form auf. Bei der EM im eigenen Land setzt Cheftrainer Julian Nagelsmann ganz auf Füllkrugs Joker-Qualitäten. Der 31-Jährige, den seine Mitspieler "Lücke" oder "Fülle" nennen, muss weiter mit dem Bankplatz vorliebnehmen, erfüllt seine Aufgabe jedoch mit Bravour. Schon beim ersten Spiel hämmerte Füllkrug nach seiner Einwechslung den Ball mit 110 Kilometern pro Stunde zum 4:0 gegen Schottland ins Netz.
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"Er liefert Argumente für beide Sachen"
Für den BVB lief der Mittelstürmer in der zurückliegenden Saison zumeist von Beginn an auf. In 31 Bundesliga-, zwei DFB-Pokal- und 13 Champions-League-Spielen erzielte er insgesamt 16 Tore. Für seine bisher zwei EM-Tore brauchte Füllkrug lediglich insgesamt 73 Minuten Spielzeit.
In der DFB-Elf ist Füllkrug eher ein Spätzünder. Mit 19 Jahren debütierte Füllkrug 2012 als Profi beim SV Werder Bremen. Danach führte ihn seine Karriere nach Fürth, Nürnberg und seine Geburtsstadt Hannover. Dort erlebte er in der Saison 2017/2018 den Durchbruch, erzielte 14 Treffer und war hinter Nils Petersen der zweiteffektivste deutsche Stürmer der Bundesliga. 2019 kehrte Füllkrug dann zu Bremen zurück.
Dort war der Mittelstürmer zunächst von Verletzungspech geplagt und musste sogar eine Strafe zahlen, weil er zu spät und nicht auf direktem Weg nach dem Pokalspiel gegen Leipzig zu einer Dopingkontrolle erschienen war. Kurz vor der Fußball-WM in Katar wurde Füllkrug dann erstmals ins DFB-Team berufen und konnte sich dort festsetzen.
"Die kamen auch beide damals von der Bank"
Obwohl er mit bisher 19 Länderspielen (13 Tore, vier Vorlagen) noch relativ frisch im DFB-Trikot ist, bringt Füllkrug das Potenzial eines Anführers mit sich. Vor dem zweiten Gruppenspiel bei der WM 2022 hielt der Stürmer eine mitreißende Motivationsrede, die in der Amazon-Doku "All or Nothing" festgehalten ist. Füllkrug nahm seine Teamkollegen dabei mit in seine "Gefühlswelt", wie er selbst sagte. "Alle, die auf dem Platz stehen, wissen, dass dahinter eine Bank steht, die zu 100 Prozent da ist", rief er der Mannschaft zu.
Es ist davon auszugehen, dass Füllkrug auch weiterhin alles geben wird, sollte er auf der Bank bleiben. Bisher sieht es ganz danach aus: "Das sind Momente, wo wir ihn brauchen", sagte Nagelsmann nach dem Spiel. Es sei "Freud und Leid für ihn zugleich", dass er seine Joker-Rolle gut erfülle. "Er liefert Argumente für beide Sachen, weiter als Joker zu fungieren oder auch von Anfang an", resümierte der DFB-Trainer.
Auch Füllkrug selbst erkennt den "ganz wichtigen Moment" des Turniers, den er und Vorlagengeber David Raum schlussendlich für das Team geschaffen haben. "Im Nachhinein wird das mit Sicherheit ein Knackpunktspiel gewesen sein", erklärte der Stürmer. Vielleicht nicht nur für die deutsche Mannschaft, sondern auch für ihn.
- youtube.com: "Niclas Füllkrug im Interview nach dem Remis gegen die Schweiz | UEFA EURO 2024 | MAGENTA TV"
- tagesspiegel.de: "Der Superjoker – oder vielleicht doch mehr?: Niclas Füllkrug und seine beste Rolle im DFB-Team" (kostenpflichtig)
- n-tv.de: "Rekord-Joker Füllkrug baut sich sein eigenes Dilemma"
- transfermarkt.de: "Niclas Füllkrug"
- 11freunde.de: "Odonkor auf Neuville"
- watson.de: "Niclas Füllkrug im Porträt: Alles über Familie, Zahnlücke, Gehalt und den Auto-Eklat"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa