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EM 2024 | Hansi Küpper: Fußball-Kommentatoren sind "Rivalen der Fans"


Interview
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Fußball-Kommentator Hansi Küpper
"Wir sind die natürlichen Rivalen der Fußball-Fans"

  • Philipp Michaelis
InterviewVon Philipp Michaelis

14.06.2024Lesedauer: 8 Min.
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Im TV-Einsatz im Berliner Olympiastadion: TV-Kommentator Hansi Küpper. (Quelle: imago)
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Deutschland hat 80 Millionen Bundestrainer – und mindestens ebenso viele Fußball-Kommentatoren. Der Job am Mikrofon gilt vielen als Traumberuf, ist aber alles andere als ein Zuckerschlecken, denn: Kaum jemand polarisiert so sehr wie die Experten auf Ballhöhe.

Wer für ein Millionenpublikum die wichtigste Nebensache der Welt live kommentiert, der braucht starke Nerven. Fußball-Kommentatoren polarisieren kaum weniger als Schiedsrichter. Genau wie die Unparteiischen üben sie ihren Beruf vor den Augen eines riesigen und hochemotionalen Publikums aus, müssen in Sekundenschnelle alle heiklen Situationen richtig einschätzen und sollen gleichzeitig Fachjournalisten, Taktik-Analysten und Entertainer sein. Bei der EM ab morgen stehen sie deshalb kaum weniger im Fokus als das kickende Personal: Der nächste Shitstorm kann hinter jedem neuen Satz lauern.

Es allen recht machen zu wollen, ist für Hansi Küpper schon der erste Kardinalfehler, den ein Fußball-Kommentator machen kann. Küpper hat im Fußball alles gesehen und über alles berichtet. Wie kompliziert der Job tatsächlich ist, den fast jeder Fußballfan glaubt besser zu können, wie man mit Shitstorms umgeht und wie die Arbeit ganz konkret vonstattengeht, das und noch viel mehr hat er im Interview mit t-online erzählt.

t-online: Wo schaut Hansi Küpper das Finale, und werden Sie kollegial neidisch sein auf den Kollegen, der es kommentieren darf?

Hansi Küpper: Neidisch nicht, überhaupt nicht. Ich freue mich ehrlich für jeden Kollegen, der so ein attraktives und wichtiges Spiel kommentieren darf. Ich verbringe den Anfang des Turniers im türkischen Sommer. Wo ich das Finale verfolge, weiß ich noch gar nicht genau.

Es sind noch längst nicht alle Spiele an die einzelnen Kommentatoren "vergeben". Was wir aber schon wissen: Oliver Schmidt wird für das ZDF das Eröffnungsspiel begleiten. Was haben wir als Zuschauer von ihm zu erwarten?

Oliver Schmidt und ich kennen uns schon sehr lange. Er ist ein extrem angenehmer Kollege und kann seinen Job wirklich gut. Ich höre ihm immer gerne zu.

Und Wolf-Christoph Fuss ist bei Magenta TV schon für das Finale eingeteilt: ganz anderer Kommentatoren-Stil, richtig?

Natürlich, aber jeder hat seinen eigenen Stil. Es wäre merkwürdig, wenn verschiedene Kollegen trotz ihrer ganz unterschiedlichen Zugänge zum Fußball ein und dasselbe Spiel deckungsgleich kommentieren würden. Wolf-Christoph Fuss ist für mich die absolute Nummer eins unter den deutschen Kommentatoren. Auch ihn kenne ich schon lange. Wir haben viele Stunden miteinander bei der Kommentierung eines sehr bekannten Fußball-Videospiels verbracht. Für das Finale ist er die einzig logische Entscheidung.

Was macht einen guten Kommentator aus?

Ein guter Kommentator ist wie ein guter Schiedsrichter, aus meiner Sicht: Wenn du ihn überhaupt nicht bewusst wahrnimmst und er nicht "stört", dann ist schon mal viel erreicht. Und wer darauf aufbauend mit Kompetenz und Wortwitz dem Zuschauer einen echten Mehrwert liefert, der hebt sich aus der Masse der Kollegen noch einmal heraus.

Früher waren die Kommentatoren eher "beschreibend" unterwegs. Das klang dann so: "Eckball Kaltz, Kopfball Hrubesch. Und Tor!" Und wir haben alle noch Tom Bartels 2014 im WM-Finale in den Ohren: "Mach ihn, mach ihn! Er macht iiiiiihn! Maaaario Götzeeee! Das ist doch WAHNSINN!" Vorsichtig formuliert: Die journalistische Distanz ist geringer geworden, oder?

Wie man es nimmt. Herbert Zimmermann ist beim "Wunder von Bern" 1954 mit einer Reportage der ganz großen Gefühle in die Geschichte eingegangen. "Toni, du bist ein Fußballgott!" "Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen! Rahn schießt! Toooor! Tooor! Tooor!" Darin steckten die Emotionen einer ganzen Nation. In den Sechzigern und Siebzigern durfte man als Kommentator auf gar keinen Fall patriotisch oder parteiisch kommentieren. Als Heribert Faßbender 1990 gegen Holland den skandalös schlecht pfeifenden argentinischen Schiedsrichter Loustau "wieder zurück in die Pampa" schicken wollte, war das beinahe ein Skandal. Dafür würde er heute gefeiert. Und aktuell: Du musst fachlich klasse sein, immer auf der Höhe des Geschehens, und dann mit ein paar ganz knappen Sätzen, vielleicht nur Wörtern alle Emotionen zusammenfassen, das ist die ganz hohe Kunst unseres Jobs.

Neutralität ist die eine Seite, Unterhaltung die andere: Wolf-Christoph Fuss oder Frank Buschmann haben den Stil noch einmal verändert. Er ist humoristischer, unterhaltsamer geworden. Wird der Stil des Kommentars im Vorfeld mit der Redaktion abgesprochen?

Nein, es gibt diesbezüglich keine Absprachen. Die übertragenden Sender und die Redaktionen kennen die Kommentatoren und deren Herangehensweise ganz genau. Entsprechend stellen sie sich ihre Kommentatoren-Riege zusammen. Der Sender weiß, was er haben möchte, wählt entsprechend die Kollegen aus, und die müssen dann eben liefern, wofür sie stehen. Aber in den persönlichen Stil des Kommentators wird eigentlich nicht eingegriffen. Das würden wir uns auch nicht gerne gefallen lassen.

Für manche wirken diese flotten Sprüche ein bisschen wie eine Selbstinszenierung. Puristen sagen: "Du bist zu Gast beim Spiel, nicht das Spiel zu Gast bei dir."

Das Grundproblem ist doch: Wir kommentieren für Millionen von Menschen. Wolf Fuss hat sich mit seinem persönlichen Stil eine riesige Fangemeinde aufgebaut. Das beweist, dass er sehr viel richtig gemacht hat. Dass es immer auch Zuschauer gibt, die den Kommentar nüchterner haben möchten, denen manches Brimborium zu viel ist, das lässt sich nicht ganz verhindern. Wir können nie 100 Prozent der Zuschauer zufriedenstellen. Das wäre die Quadratur des Kreises.

Wie sieht die Vorbereitung auf ein großes Turnierspiel aus, das Sie oder Ihre Kollegen kommentieren?

Optimalerweise: Das letzte jeweilige Spiel beider Mannschaften muss ich komplett und konzentriert gesehen haben. Mit welchem Personal haben sie gespielt, wie sind sie auf dem Feld aufgetreten, welche Konsequenzen zieht der Trainer möglicherweise daraus? Für jeden Spieler habe ich zwei, drei Grundgedanken parat. Wofür steht er, was sind seine Stärken, was kann er diesem konkreten Spiel geben? Diese Gedanken baue ich ein, je nachdem, wie das Spiel selbst es abruft. Davon abgesehen sind wir Kommentatoren ziemliche Einzelkämpfer. Wir nehmen auch eher selten an den vorbereitenden Redaktionskonferenzen teil, sondern lassen uns vom Leiter der Sendung über die Vorberichte und die Experten briefen, um unseren Kommentar darauf abzustimmen.

Und während des Spiels? In welchem technischen und personellen Set-up arbeiten Sie?

Auch das ist individuell. Manche Kollegen arbeiten mit einem Assistenten, andere nicht. Die beiden wichtigsten "Bildquellen" sind das, was ich im Stadion sehe, und auf einem Monitor das Bild, das auch der Zuschauer sieht. Und dann ist die große Kunst dieser Pupillenspagat. Das Spiel selbst verfolgt man eher mit dem Blick über den Monitor hinweg, fast genau wie die Fans im Stadion. Bei spannenden oder heiklen Szenen wechselt die Aufmerksamkeit eher zum Monitor, denn gerade dann willst Du ja das kommentieren und bewerten, was auch der Zuschauer zu Hause sieht. Die Zeitlupen, die Reaktionen in den Gesichtern. Dann geht es um die Monitorbeobachtung, und trotzdem darfst Du das Stadion nicht aus den Augen verlieren.

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Hansi Küpper
Hansi Küpper (Quelle: privat)

Zur Person

Hansi Küppers Stimme kennt jeder, der regelmäßig Fußball verfolgt. Er kommentiert seit 1989 die ganz großen Spiele - erst im Radio, dann im TV. Nach Stationen beim WDR, tm3, Sat.1, Premiere, DSF, Arena und Sport 1 ist er inzwischen vor allem für den Sender Sky Deutschland tätig. Bekannt geworden ist er für seinen Live-Kommentar des Bundesliga-Finales 2000/2001, als der FC Schalke 04 für vier Minuten Deutscher Meister war, bevor er doch noch von den Münchner Bayern abgefangen wurde.

Welche Fehler, welche Pannen nimmt man als Berufsrisiko hin und wann grämt man sich wirklich?

Was passieren kann, das kann passieren. Manchmal macht man Fehler, die man sich selbst vorher nicht hätte träumen lassen. Ich habe schon alles erlebt, bis hin zum kompletten Blackout. Fehler passieren, aber sie dürfen eben nicht zur Regel werden. Niemand ist vor Verwechslungen gefeit. Mal hast du eine Auswechslung verpasst, mal kommt ein Spieler frisch herein, der einem anderen zum Verwechseln ähnlich siehst, und du wirst auf dem falschen Fuß erwischt. Ich rate allen Kollegen, Fehler ganz offen während der Übertragung anzusprechen: "Oh, das habe ich eben anders gesehen." Das muss man ohne jede Hemmung zugeben. Solange meine Spielbewertung grundsätzlich stimmt und die Fehlerquote nicht viel größer ist als null, kann ich trotz eines Fehlers zufrieden sein.

Ist die Kritik an den Kommentatoren harscher geworden?

Ja, und zwar auf zwei Ebenen. Erstens: Früher, als Radioreporter, waren wir die Augen des Zuschauers. Ohne uns, ohne unseren Kommentar konnte er nicht wahrnehmen, was auf dem Platz passiert. Dadurch waren wir auf seiner Seite. Und natürlich machte der Radiokollege nie Fehler. Wenn er ins Mikro verkündete, dass Hummels im letzten Moment den Ball geblockt hat, dann war's der Hummels. Selbst wenn es der Rüdiger war. Wer würde widersprechen? Hat keiner gesehen, im Radio.

... und dann kam das Fernsehen.

Als Fernsehkommentator bist du etwas anderes, nämlich der Rivale des Zuschauers. Er sieht, was du siehst, und er nimmt es möglicherweise anders wahr. Jeder Zweikampf, jedes Foul, jede Schiedsrichterentscheidung wird zum Duell Reporter gegen Zuschauer. Und zudem: Wir bekommen Geld dafür, dass wir dasselbe sehen wie er, während er – auf welchem Wege auch immer – dafür Geld bezahlt. Das verursacht Frust. Und der entlädt sich irgendwann in der ewigen Forderung: "Dieser Blinde! Stell endlich den Ton ab!"

Und zweitens?

Klar, die sozialen Medien. Ich persönlich bin weder bei X noch bei Instagram. Aus Gründen. Manche Kritik erreicht mich natürlich trotzdem. Ernstzunehmende Kritik nehme ich zur Kenntnis und versuche, aus ihr zu lernen. Aber natürlich hat durch die sozialen Medien heute quasi jeder seine eigene kleine Fußball-Kolumne. Da fühlen sich unheimlich viele Menschen berufen, sich zu äußern. Das darf man nicht überbewerten. Aber klar, wenn ich im Brustton der Überzeugung einen glasklaren Elfmeter verkünde, habe ich potenziell alle Fans der gegnerischen Mannschaft gegen mich.

Wie geht man mit Shitstorms um?

Ich schule ja auch junge Kollegen, und denen rate ich: Wenn du Gegenwind bekommst, lass ihn an dich ran. Zieh daraus deine Lehren. Man darf nicht dünnhäutig sein. Aber lass dir nicht alles gefallen, geh deinen Weg, lerne aus allen Erfahrungen und der nachträglichen Betrachtung.

Hat der VAR (Video Assistent Referee) den Job schwieriger gemacht?

Natürlich. Du musst als Kommentator nicht nur die Situation bewerten: Foul, oder nicht? Hand, oder nicht? Abseits, oder nicht? Sondern du musst jetzt auch noch einschätzen, ob eine klare Fehlentscheidung vorliegt oder nicht und der Video-Keller eingreifen musst. Da liegt immenses Fehlerpotenzial. Ich bin und bleibe kein Freund des VAR. Und wenn jetzt manche Vorschläge kommen, man könne das Konzept des VAR durch eine "Challenge-Regel" retten, die jedem Trainer einräumt, pro Halbzeit ein oder zwei Szenen checken zu lassen: Das ist absurd. Es wird ja permanent im Hintergrund jede Situation gecheckt. Die Challenge ändert daran gar nichts. Seit 2017, seit der Einführung des VAR, gab es Hunderte Szenen, die auch im Nachhinein trotz aller Kameraperspektiven komplett unterschiedlich bewertet wurden. Wieso sollte sich die große Meinungsverschiedenheit durch eine Challenge oder einen Videobeweis in Luft auflösen? Nehmen wir die Adeyemi-Schwalbe im Bundesligaspiel Dortmund gegen Bochum: Kein VAR hat diese Situation befriedigend aufgelöst. Und keine Challenge-Regel könnte es. Über die Frage: "Foul oder nicht" entscheiden ja dieselben Personen, egal, von wem der Impuls kommt.

Wie weit kommt Deutschland? Und wer wird Europameister?

Gerade, weil ich Experte bin: Es ist alles möglich, auch nach der Vorrunde ist man manchmal nicht schlauer. Manchmal kommt der Titelträger nur mit Ach und Krach durch die Vorrunde. Für Deutschland gilt: Mit Musiala, mit Wirtz, mit Havertz haben wir junge Spieler, für die alles möglich ist, wenn das Team in Fahrt kommt. Mein Favorit heißt trotzdem: Frankreich.

 
 
 
 
 
 
 

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Verwendete Quellen
  • Interview mit TV-Fußball-Kommentator Hansi Küpper.
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