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"Hart aber fair" zur Fußball-EM: Hat der Sport ein Problem?


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"Hart aber fair" zur Fußball-EM
"Deutschlandflagge gehört Musiala, nicht der AfD"


04.06.2024Lesedauer: 5 Min.
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Lars Klingbeil bei "Hart aber fair": "Wir leben gerade in einem Land, wo der Rassismus leider wieder mehr geworden ist." (Quelle: IMAGO/Uwe Koch/imago)

Gibt es ein Rassismusproblem im deutschen Fußball? Oder ist der Sport doch schon viel weiter als die deutsche Gesellschaft an sich?

Eigentlich wollte Moderator Louis Klamroth wohl die Möglichkeit einer Wiederholung des deutschen Sommermärchens aus dem Jahr 2006 bei der diesjährigen Fußball-Europameisterschaft diskutieren. Das suggerierte zumindest der Titel der ARD-Sendung: "Deutschland vor der Fußball-EM: Wie gelingt ein zweites Sommermärchen?".

Doch daraus wurde in erster Linie eine Analyse des Rassismus in der deutschen Fußballwelt – und der deutlichen Unterscheidung zwischen dem Fußball an sich und der Gesellschaft im Ganzen.

Die Gäste:

  • Lars Klingbeil: Bundesvorsitzender (SPD)
  • Lena Cassel: Sportjournalistin, Moderatorin und Podcasterin
  • Fredi Bobic: Europameister und Fußball-Manager
  • Fatmire Alushi: Welt- und Europameisterin
  • Tim Bendzko: Musiker
  • Philipp Awounou: Journalist und Filmemacher

Es war vor allem eine prägnante Stelle aus Philipp Awounous Dokumentation "Einigkeit und Recht und Vielfalt", die an diesem Abend die Rassismus-Diskussion ins Rollen brachte. Darin beklagte sich ein älterer Herr beim Journalisten darüber, dass das deutsche Fußballteam gar nicht mehr deutsch sei – und fragt: "Wo bleiben die hellhäutigen Deutschen? Die können auch Fußball spielen."

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Awounous Dokumentation ist derzeit auch wegen einer kontroversen Umfrage im Gespräch, in der 21 Prozent der Befragten zu Protokoll gaben, es besser zu finden würden, wenn wieder mehr weiße Spieler in der deutschen Nationalmannschaft spielten. Diese Umfrage sorgte vielerorts für Unmut, allen voran beim deutschen Teamchef Julian Nagelsmann.

Awounou verteidigte die Umfrage jedoch: "Da habe ich selber Bauchschmerzen, weil das ist ja kein schöner Satz, das ist klar. Das ist ein rassistischer Satz. Aber wenn man rassistische Haltungen wissenschaftlich überprüfen will, dann muss man sie eingeben. Das ist empirische Sozialforschung, die funktioniert leider so, und das haben auch nicht nur wir so gemacht. Das ist die gängige Praxis".

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Cassel: Fußball ist weiter als ein großer Teil der Gesellschaft

Hat der deutsche Fußball also ein Rassismus-Problem? Geht es nach Lena Cassel, ist der Fußball an sich in dieser Hinsicht möglicherweise schon deutlich weiter als die Bevölkerung. "Ich würde mich eventuell zu einer heißen These hinreißen lassen, dass der Fußball und auch das Fußballstadion vielleicht ein bisschen weiter gekommen sind als vielleicht ein Großteil der Gesellschaft". Der Fußball und die Fankurve seien immer diverser geworden und stellten mittlerweile das Abziehbild einer vielfältigen Gesellschaft dar.

Fredi Bobic sah das Problem weniger in den Kabinen und auf den Fußballplätzen, sondern vielmehr im gesamtgesellschaftlichen Kontext und vor allem in den sozialen Medien. "Wir waren im Fußball immer schon weiter und die Kabine war immer schon weiter im Fußball", so der ehemalige Europameister. "Es wurde nie darüber diskutiert, wer von wo ist und wie auch immer und welche Kultur er hat, welche Hautfarbe er hat und welcher Religion er nacheifert oder glaubt".

SPD-Chef Lars Klingbeil verortete ein Erstarken rassistischer Tendenzen in der Bevölkerung. "Wir leben gerade in einem Land, wo der Rassismus leider wieder mehr geworden ist", erklärte er, und adressierte Awounou: "Diese Sprüche, die sie da abgekriegt haben und die auch dokumentiert wurden, die kenne ich ja, wenn ich als Politiker unterwegs bin."

Popmusiker Tim Bendzko konstatierte, dass die Lautstärke der jeweiligen Stimmen nicht immer ihren Anteil in der Bevölkerung repräsentiere. "Lautstärke ist, glaube ich, ein Thema. Man hat immer den Eindruck, dass der, der gerade der Lauteste ist, die vorrangige Kraft ist … und das ist, glaube ich, Quatsch. Gerade wenn alle sehr laut sind – die Offenen sind gerade sehr laut und die Rechten und Rassisten sind sehr laut – davon darf man sich nicht irritieren lassen und davon das Bild prägen lassen, sondern genau hingucken", so der Popmusiker, der selbst früher Fußballer werden wollte.

Fußballweltmeisterin Fatmire Alushi wies auch darauf hin, wie wichtig Spieler mit Migrationshintergrund für das deutsche Team seien: "Wir können froh sein, dass wir diese Spieler mit Migrationshintergrund überhaupt haben. Sie würden uns enorm fehlen, wenn wir sie nicht hätten. Wir können froh sein, dass sie für unser Land spielen und nicht für andere Länder."

Klingbeil: "Deutschlandflagge gehört Jonathan Tah und Musiala und Thomas Müller"

Klingbeil appellierte auch dafür, sich die Deutschlandfahne von Rassisten nicht streitig machen zu lassen. "Die Deutschlandflagge gehört Jonathan Tah und Musiala und Thomas Müller. Sie gehört nicht der AfD oder anderen Rechtsextremen", so der Politiker.

Lena Cassel erinnerte sich an das Gefühl der WM 2006 als ein durchaus progressives Wir-Gefühl: "Ich glaube, es war noch nicht mal dieser stumpfe Patriotismus, sondern ein Wir-Gefühl, hinter dem wir uns alle vereinen konnten. Ja, wir waren stolz auf Deutschland. Wir waren aber stolz auf den Status quo und nicht auf die Vergangenheit. Und das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied, dass wir stolz waren, plötzlich ein offenes und freundliches Land zu sein."

Diskussion über Regenbogen-Binden in Katar

Kritisch wurde an diesem Abend auch über die WM 2022 in Katar gesprochen, bei der sich gefühlt das gesamte Narrativ Deutschlands um die Regenbogenfarben-Binde der Spieler gedreht hatte. Besonders Alushi zeigte sich hier kritisch: "Bei dieser WM in Katar ging es nur noch um diese Binde. Fußball war kein Thema mehr. Und ich finde, da hätten wir die Jungs auch mehr in Schutz nehmen müssen." Man habe die Spieler für eine politische Diskussion instrumentalisiert. "Ich finde, es sollte jedem überlassen sein, ob er sich jetzt politisch äußern will oder nicht. Aber was nicht geht, ist, dass wir die Spieler unter Druck setzen."

Sowohl Alushi als auch Bobic sprachen vom Fremdschämen. "Das wurde auf dem Rücken der Spieler ausgetragen und dann war das die ganze Zeit ein Thema. Auch die Spieler diskutierten untereinander, die sollen sich auf Fußball konzentrieren, die sind als Fußballbotschafter da. [...] Aber nicht für irgendwelche politische Themen, die sie nicht beeinflussen können bei diesem Turnier", so Bobic. Beide erklärten, dass diese Diskussion möglicherweise Mitschuld an der schlechten Leistung des Teams gehabt haben könnte, betonten jedoch, nichts gegen die Binde an sich gehabt zu haben.

Klingbeil über EM: "Land, das offen ist"

Auf eine Fortsetzung des Fußballmärchens 2006 hoffen dennoch alle Gesprächsteilnehmer. "Ich habe den Anspruch an uns, dass wir ein guter Gastgeber sind, dass wir an allen Orten, wo die Spiele stattfinden, wo die Mannschaften untergebracht sind, gute Gastgeber sind und uns auch nicht präsentieren mit so einem stumpfen Nationalismus oder Patriotismus, sondern als Land, das offen ist und das allen auch zeigt: Herzlich willkommen", erklärte Klingbeil.

Cassel sagte, dass es um mehr gehe als um Fußball, die WM 2006 habe das gezeigt. Sie sei ein Beispiel dafür gewesen, "dass der Fußball auch auf einer weichen Temperaturebene sehr, sehr viel bewirken kann. Es geht nicht nur um Tore, es geht nicht nur um Sieg und Niederlage. Der sportliche Erfolg ist eine Bedingung dafür, dass wir Geschichten bauen können".

Verwendete Quellen
  • "Hart aber fair" vom 3. Juni 2024
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