Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sogar der FC Bayern wollte ihn Der Engländer unter den Schotten
Zum Auftakt der Europameisterschaft trifft die DFB-Elf auf Schottland. Deren wichtigster Mann hätte auch für den Erzrivalen spielen können. Jetzt ist er womöglich die Hoffnung einer ganzen Nation.
Die Idee, für den FC Bayern zu spielen, soll Scott McTominay im vergangenen Sommer gereizt haben. Die Münchner um ihren mittlerweile geschassten Trainer Thomas Tuchel suchten händeringend nach einem defensiven Mittelfeldspieler. Nachdem Wunschtransfer Declan Rice sich aber für den FC Arsenal entschieden hatte, rückte offenbar auch McTominay in den Fokus.
Die Idee: Bayerns Ryan Gravenberch sollte per Leihe zu Manchester United wechseln, McTominay den umgekehrten Weg in Richtung München antreten. Doch am Ende landete Gravenberch beim FC Liverpool. Und McTominay? Der blieb in England.
Dort ist der 27-Jährige auch geboren, genauer gesagt in Lancaster, einer Hafenstadt im Nordwesten des Landes. Mit gerade einmal fünf Jahren ging es für ihn in die Jugendakademie von Manchester United. Sein ganzes Fußballerleben spielt er bereits für den englischen Traditionsklub.
Am Freitagabend wird Scott McTominay aber mal wieder in der Münchner Allianz Arena zu sehen sein. Nicht etwa, weil sich doch noch ein Wechsel zum FC Bayern abzeichnet. McTominay trifft mit seiner Nationalmannschaft im Eröffnungsspiel der EM auf Gastgeber Deutschland (ab 21 Uhr im Liveticker bei t-online). Für England läuft der United-Profi aber nicht auf. Der Gegner der DFB-Elf heißt Schottland.
Schottlands Trainer begab sich für McTominay in ein Unwetter
Dass Scott McTominay für die "Bravehearts" auf dem Feld stehen darf, hat einen simplen Grund. Sein Vater kommt aus dem schottischen Helensburgh. Deshalb ist Frank McTominays Sohn von Geburt an neben der englischen auch für die Nationalmannschaft der Schotten spielberechtigt.
Die Wahl lag also ganz beim Spieler selbst – und der hätte sich vor einigen Jahren durchaus auch für England entscheiden können. Doch McTominay stellte im Frühjahr 2018 klar: "Ich wollte für Schottland spielen – und das wollte ich schon immer, seit ich ein kleiner Junge war, also war es ein unglaublich stolzer Moment, als er mich einberief."
Er, das war Schottlands damaliger Nationaltrainer Alex McLeish. Der langjährige Abwehrspieler des FC Aberdeen soll sich Berichten zufolge inmitten eines Unwetters nach Carrington aufgemacht haben. Dort steht das Trainingszentrum von Manchester United. In Carrington angekommen, wollte McLeish McTominay endgültig von der schottischen Nationalelf überzeugen – und hatte Erfolg. Nationaltrainer Gareth Southgate, der wohl auch Interesse an einer Eingliederung McTominays in den Kader der "Three Lions" gehabt hätte, soll dem Spieler derweil nur eine SMS geschrieben habe.
Embed
Starker Befürworter von McTominays Entscheidung war offenbar auch eine Klublegende von Manchester United. Sir Alex Ferguson trainierte die "Red Devils" von 1986 bis 2013, gewann mit dem Verein 38 Titel. Laut McTominays Großvater habe der in Glasgow geborene Ferguson ebenfalls gewollt, "dass Scott für Schottland spielt. Er hat das offen angesprochen." Die Entscheidung pro schottische Nationalelf, sie war für McTominay letzten Endes also so gut wie unausweichlich.
Plötzlich Torjäger: McTominay zwischen Kane und Haaland
Mittlerweile sind mehr als sechs Jahre ins Land gezogen, seitdem Scott McTominay sein Debüt für sein Heimatland gegeben hat. Prägende Momente hat er bereits einige erlebt. Unvergessen bleibt beispielsweise der 9. Oktober 2021, als er in der WM-Qualifikation gegen Israel in der Nachspielzeit den Ball zum 3:2 mit dem Bauch zu seinem ersten Länderspieltor über die Linie drückte – und damit den schottischen Hampden Park in einen Ausnahmezustand versetzte.
Sein Wert fürs Team kristallisierte sich aber vor allem während der Qualifikation zur EM in Deutschland heraus. McTominay fand sich in der finalen Statistik der Torjäger mit sieben Treffern zwischen den Top-Stars Romelu Lukaku (14 Tore), Cristiano Ronaldo (10), Kylian Mbappé (9), Harry Kane (8) an der Spitze und Rasmus Höjlund (7), Bruno Fernandes (7) und Erling Haaland (6) wieder. Das Spannende daran: All diese Spieler sind Offensivakteure. McTominay aber ist in der Defensive zu Hause.
Pl. | Spieler | Verein | Spieler, Verein | Spiele | Sp. | ØQuote | 11er | Tore |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1 | Romelu Lukaku | Belgien | Romelu LukakuBelgien | 8 | 1.75 | 1 | 14 | |
2 | Cristiano Ronaldo | Portugal | Cristiano RonaldoPortugal | 9 | 1.11 | 3 | 10 | |
3 | Kylian Mbappé | Frankreich | Kylian MbappéFrankreich | 8 | 1.12 | 3 | 9 | |
4 | Harry Kane | England | Harry KaneEngland | 8 | 1 | 4 | 8 | |
5 | Scott McTominay | Schottland | Scott McTominaySchottland | 8 | 0.87 | 0 | 7 |
Das war wiederum nicht immer so. "Als Kind war ich ein offensiver Mittelfeldspieler", erklärte er im März 2023 nach seinem Doppelpack bei Schottlands 2:0-Sieg in der EM-Qualifikation gegen Top-Team Spanien. Dann sei er aber gewachsen, ein bisschen zu groß für diese Position geworden, so der 1,93-Meter-Mann. Und plötzlich dann defensiver Mittelfeldspieler gewesen.
"Ich mag beides", so McTominay. "Ich gehe gerne in den Strafraum, helfe aber auch gerne meinen Mannschaftskollegen beim Verteidigen." Zuletzt war McTominay aber tatsächlich eher in der Offensive gefragt. Bei Manchester United spielte er Mitte Mai im FA-Cup-Finale (2:1 gegen Manchester City) wieder in der Offensive – als Mittelstürmer.
Die Hoffnungen eines Landes
Es ist genau diese Variabilität McTominays, vor der sich die deutsche Nationalelf im Eröffnungsspiel gegen Schottland in Acht nehmen muss. Der United-Profi zählt neben Aston Villas John McGinn und Liverpools Andy Robertson zu den aktuell wohl besten Spielern seiner Nationalmannschaft – von allen ist er momentan der torgefährlichste. Auf seinen Schultern dürften deshalb auch die Hoffnungen seines Landes bei der Europameisterschaft ruhen.
Denn: Schottland gilt nicht unbedingt als Favorit auf ein Weiterkommen. Bei der vergangenen EM 2021 schied das Team mit nur einem Zähler in der Vorrunde aus. Zuvor war Schottland letztmals 1998 bei einem Großturnier dabei, der WM in Frankreich. Nun soll es endlich mit einem erfolgreichen Abschneiden auf der großen internationalen Bühne klappen. Um den Achtelfinal-Einzug bei der EM tatsächlich ins Visier nehmen zu können, braucht es am Ende aber wohl ein Erfolgserlebnis gegen Deutschland – und einen gut aufgelegten Scott McTominay.
- nytimes.com: "Scott McTominay – Manchester United’s great survivor who deserves more love" (engl.)
- espn.co.uk: "Manchester United's Scott McTominay always wanted Scotland call-up"
- bbc.com "Scott McTominay: Brian McClair backs Manchester United midfielder for Scotland" (engl.)
- espn.co.uk: "Scott McTominay choosing Scotland over England was a no-brainer" (engl.)
- youtube.com: "Scotland's Scott McTominay reacts to 2-0 win over Spain and his two goals" (engl.)
- Eigene Recherche