Euphorie aus dem Nichts Wie sich der Hamburger SV gewandelt hat
Aus Hamburg berichtet Marc L. Merten
Der Hamburger SV steht im Viertelfinale des DFB-Pokals. Nach der bisherigen Saison war dieser Erfolg durchaus nicht zu erwarten. Doch die Verantwortlichen haben – zumindest in den letzten Wochen – vieles richtig gemacht. Kann der HSV jetzt die Pokal-Euphorie in die Bundesliga mitnehmen?
Zwei Punkte! Ganze zwei mickrige Punkte hatte der Hamburger Sport-Verein nach dem zehnten Spieltag. Nach einem knappen Drittel der Saison schien der HSV abgestiegen, endgültig, vorbei die Dino-Stadionuhr-Bundesligazugehörigkeits-Feierei. Markus Gisdol, zu diesem Zeitpunkt einen Monat im Amt, schien schon wieder verbrannt. Dunkel wurde es über dem Volksparkstadion, jetzt lief sie endgültig ab, die Zeit des einst so großen HSV.
Keine drei Monate später lodert die Flamme wieder. Der Funke Hoffnung ist wieder zu einem Feuer entfacht. Weil die Rothosen 14 Punkte aus neun Bundesliga-Spielen geholt haben, nicht mehr abgeschlagen Letzter, sondern immerhin schon wieder 16. sind. Und mit Relegationsplätzen kennt man sich ja aus in der Hansestadt. Doch damit nicht genug. Es wird sogar wieder geträumt. Von Berlin. Dank des 2:0-Sieges gegen den 1. FC Köln steht der HSV im Viertelfinale, nur noch zwei Siege sind es bis zum Pokalfinale. Und weil mit Arminia Bielefeld und dem Sieger der Partie Sportfreunde Lotte gegen 1860 München sicher zwei unterklassige Teams in der Runde der letzten Acht stehen werden, besteht sogar eine exakt 29-prozentige Chance, dass der HSV just einen dieser Gegner zugelost bekommen wird. Das Halbfinale wäre greifbar nahe.
HSV feiert den vierten Heimsieg in Folge
Ja, so wird plötzlich wieder gerechnet und gesprochen in Hamburg. Keine drei Monate, nachdem der Klub klinisch tot war und von einer Peinlichkeit in die nächste stolperte. Doch nun räumt Neu-Vorstand Heribert Bruchhagen im Hintergrund auf und Markus Gisdol macht, was sich bereits vor der Winterpause andeutete: Er bringt grundlegende Tugenden zurück in ein Team, das diese Bezeichnung zwischenzeitlich nicht mehr verdient hatte. Gegen den 1. FC Köln strotzte der HSV dank des 1:0-Heimsieges aus der Vorwoche gegen Leverkusen plötzlich vor Selbstbewusstsein. Was folgte, war eine über weite Strecken überzeugende Leistung gegen die taktisch eigentlich so disziplinierten Kölner, die vom HSV mit den eigenen Mitteln bestraft wurden.
"Wir waren sehr stabil, haben ruhig und diszipliniert gespielt. Wir haben die Reihen eng gehalten, nicht viele Lücken geboten", analysierte Gisdol hinterher und vergaß dabei nicht, die Phase in der zweiten Halbzeit zu erwähnen, in denen "es noch mal hätte schief gehen können", weil die Defensive eben doch noch nicht über 90 Minuten die erhoffte Festung ist. Doch am Ende stand ein verdienter 2:0-Erfolg dank der Tore von Gideon Jung und Bobby Wood. Es war der vierte Heimsieg in einem Pflichtspiel in Folge für den HSV. Das gab es zuletzt vor vier Jahren. Da soll noch einer sagen, der HSV sei nur noch für Pannenserien gut.
Transferpolitik als Schlüssel zum Erfolg?
Einer der Schlüssel zum Stimmungsumschwung ist die Transferpolitik der Hanseaten im Winter. Erstmals seit vielen Jahren hat man das Gefühl, dass an der Elbe wieder mit Auge eingekauft wurde. Zwar auch mit viel Geld, das eigentlich gar nicht vorhanden ist, aber vielleicht, ja ganz vielleicht ausnahmsweise auch mit dem Blick für Qualität. Ganz sicher steht Mergim Mavraj für eben jene. Ausgerechnet gegen den 1. FC Köln, für den er vor der Winterpause noch 16 Spiele in Folge 90 Minuten auf dem Platz stand und dort zum Chef der drittbesten Abwehr der Liga avancierte, zeigte Mavraj erneut eine blitzsaubere Leistung. Der HSV freut sich, dass Köln den Albaner gehen ließ. Nun dirigiert er in Hamburg die Defensive, in der Liga an der Seite des ebenfalls neu geholten Kyriakos Papadopoulos, im Pokal mit Johan Djourou.
"Nach den wenigen Wochen, die ich jetzt beim HSV bin und die sehr ereignisreich waren, war das heute ein besonderer Abend mit einem wirklich besonderen Sieg", freute sich Mavraj. Der 30-Jährige stand schon in Köln als Führungsfigur und zuverlässiger Verteidiger mit starkem Aufbauspiel für den Erfolg der Geißböcke. Nun hat er in nur wenigen Wochen auch beim HSV für eine neue Stabilität gesorgt. "Wir können stolz auf unsere Leistung sein. Ich versuche meinen Teil dazu beizutragen, dass die Null steht. Das hat heute zum zweiten Mal in Folge geklappt. Das freut mich sehr."
Gisdol lobt Neuzugang Walace
Auch ein weiterer Neuzugang trug am Dienstagabend dazu bei, dass Köln nicht wie so häufig in den letzten Wochen durch schnelle Ballstafetten im Mittelfeld gefährlich werden konnte. Souza Silva Walace, von dem man in Hamburg noch immer unterschiedliche Auffassungen darüber hört, wie sein Name ausgesprochen werden soll. Inzwischen scheint man sich auf jene Variante mit einem betonten "e" am Ende geeinigt zu haben. Doch wenn er weiter so spielt wie nun gegen den 1. FC Köln, wird sein Name ohnehin bald in aller Munde sein.
Neun Millionen Euro kostete der Brasilianer, der im zentralen, defensiven Mittelfeld zuhause ist. Gisdol hatte in der Vorbereitung angedeutet, ihn auch deshalb verpflichtet zu haben, weil Bundesliga-erfahrene Spieler für diese Position nicht verfügbar gewesen seien. Doch die Gewöhnungsphase scheint Walace schnell überwunden zu haben. Zumindest spielte der 21-Jährige in seinem ersten Pflichtspiel für den HSV, als sei er den deutschen Fußball längst gewöhnt. "Ich habe im Training vermutet, was wir nun auf dem Platz gesehen haben", lobte Gisdol. "Er hat das sehr couragiert gemacht." Wenn man vom Ellenbogenschlag gegen Yuya Osako absieht, aufgrund dessen Walace beinahe bei seinem Debüt mit Gelb-Rot vom Platz geflogen wäre.
Das Selbstvertrauen ist wieder da
Und doch könnten gerade Mavraj, Papadopoulos und Walace in den kommenden Wochen für den HSV zu Schlüsselfiguren werden. Sie sollen zusammen mit Torschütze Jung das neue Defensivzentrum bilden, auf dem das neue Hamburger Spiel fußen soll. Einfach, geradlinig, mit einem klaren Fokus auf der Defensivarbeit und mit schnellem Umschaltspiel. So sollen auch in den bevorstehenden Spielen gegen die Top-Klubs aus Leipzig, München und Berlin Überraschungen gelingen.
Das Selbstvertrauen ist jedenfalls wieder da, etwas, das im Herbst nahezu in Gänze verschwunden war. Wenn der Hamburger SV nun sogar noch die Pokal-Euphorie in den Liga-Alltag retten kann, könnte am Ende der Saison sogar mehr herausspringen als ein Relegationsplatz. Weitere Erfolge im DFB-Pokal inklusive.