Pokalkrimi gegen Hoffenheim Oldie Kehl schenkt Dortmund Hoffnung
Aus Dortmund berichtet Patrick Brandenburg
Am Ende hatte es Jürgen Klopp sogar noch eiliger als die meisten seiner Spieler. Ohne Umweg flitzte der Trainer zu Routinier Sebastian Kehl auf den Rasen und herzte den früheren Kapitän von Borussia Dortmund als einer der ersten Gratulanten. Mit einem Traumtor in der 107. Minute hatte der Mittelfeldspieler seinen BVB im DFB-Pokal und vielleicht auch darüber hinaus am Leben gehalten. 3:2 nach Verlängerung über die TSG 1899 Hoffenheim. Halbfinale! Dafür gab es dann auch ein öffentliches Extralob vom Coach: "Es ist schön, dass Kehl heute Abend der Held ist."
Mit einem Kraftakt hat es der BVB wieder geschafft: Zum dritten Mal in vier Jahren steht der Revierklub unter den letzten Vier im DFB-Pokal und darf weiter auf den Titelgewinn und ein versöhnliches Ende dieser traumatischen Spielzeit hoffen. "Wir hatten diese Saison ja nicht so viele positive Ausreißer", sagte Klopp nach Schlusspfiff im Presseraum des früheren Westfalenstadions. "Aber heute ist ein sehr guter Tag für uns." Wie immer lieferte Schwarz-Gelb auf dem Weg dahin eine Show mit etlichen Höhen und Tiefen.
"Strohhalm Pokalfinale aufrecht erhalten"
Gegen mutige Kraichgauer entwickelte sich schließlich ein echter Pokalkrimi, mit Chancen und tollen Treffern auf beiden Seiten - und jenem Höhepunkt durch Kehl, der erst nach gut einer Stunde für den ausgepowerten Sven Bender auf den Platz gekommen war: Mit einem fulminanten Dropkick aus 25 Metern entschied der Mittelfeld-Joker das Duell. Eine tolle Einzelleistung, trotzdem dachte der Schütze lieber ans Team. Ganz der alte Kapitän: "Auch nach der Niederlage gegen die Bayern gab es ja wieder Kritik. Deshalb ist es für die Mannschaft wichtig, diesen Strohhalm Pokalfinale aufrecht zu erhalten", sagte Kehl.
Eigentlich unglaublich: Es war sein erster Pokaltreffer überhaupt in 14 Jahren bei der Borussia. Gerade noch rechtzeitig, könnte man sagen, denn am Ende der Saison will der 35-Jährige seine Fußballkarriere beenden. Im Idealfall würde das Finale im Berliner Olympiastadion am 30. Mai Kehls letzter Auftritt in Schwarz-Gelb sein.
Subotic-Patzer bringt BVB ins Hintertreffen
Zunächst hing aus Dortmunder Sicht allerdings wieder fett die Überschrift "Desaster" über der Partie. Die BVB-Führung durch Neven Subotic (19. Minute) hielt gerade mal 102 Sekunden. Dann stellte sich die Borussia wie so oft in dieser Saison selbst ein Bein. Bei einer Hoffenheimer Ecke ließen die Dortmunder Kevin Volland sträflich alleine, der TSG-Stürmer bedankte sich mit einem wunderbaren Volleytreffer.
Nur sieben Minuten später verstolperte Subotic beinahe stümperhaft den Ball gegen Roberto Firmino und fügte so der Slapstick-Borussia eine weitere lustige Folge hinzu. Der Brasilianer schloss mit einem klasse Lupfer über Dortmunds Pokal-Keeper Mitch Langerak zum 1:2 ab. Schwarz-Gelb war angezählt. Selbst die treue Fangemeinde auf der Südtribüne sehnte zur Pause wohl schon das rettende Saisonende herbei, angesichts der erneut eklatanten Schwierigkeiten ihres Teams.
Auftrag für Halbzeit Nummer zwei
"Wir hätten heute wieder tragische Helden produzieren können", sagte Klopp, doch an diesem Abend war der Konjunktiv ein Dortmunder Freund. Denn der BVB kam wütend aus der Kabine, und mit einem Auftrag: "In der Halbzeit habe ich der Mannschaft gesagt: Ihr seid dafür verantwortlich, wie Neven sich nachher fühlt", erklärte Klopp. Damit packte der Coach seine Spieler bei der Ehre. In dieser Saison war schließlich fast jedem Akteur der Westfalen ein Fehler ähnlicher Bauart unterlaufen. Alle konnten sich in das Gefühlsleben des Innenverteidigers hineinversetzen, der nun vor einem TV-Millionenpublikum patzte.
Also spielte die Borussia 30 Minuten lang intensives Powerplay. Und das, obwohl die Elf ohne Marco Reus und Kapitän Mats Hummels auskommen musste, die kurzfristig mit Adduktoren- bzw. Oberschenkelproblemen ausgefallen waren. 11:2 Torschüsse lautete die Bilanz Mitte der zweiten Halbzeit, weil der BVB nach zuletzt drei Nullnummern im heimischen Stadion die Sturmsorgen wegballern wollte und aus allen Lagen den Abschluss suchte. Pierre-Emerick Aubameyang (48., 61.), Ilkay Gündogan (50.) und Pechvogel Subotic (78.) hatten Chancen.
Der Ausgleich zum 2:2 durch Aubameyang in der 58. Minute war hoch verdient. Es war bereits der 19. Treffer des Gabuners im 37. Pflichtspiel dieser Saison. Mindestens so sehenswert wie sein Kopfball war die Vorarbeit durch Außenverteidiger Erik Durm, der seine erste Partie seit Mitte Dezember bestritt. Das starke Comeback des 22-Jährigen sollte der Borussia zusätzlich Auftrieb geben für das Saisonfinale.
"Am Ende entscheidet ein Sonntagsschuss"
Die Schlussviertelstunde der regulären Spielzeit gehörte dann wieder den Gästen, denen ihre notorische Auswärtsschwäche kaum anzumerken war. Eugen Polanski und Firmino hatten kurz vor Ende der 90 Minuten den Siegtreffer auf dem Fuß, über den sich nach diesem intensiven Spiel zweier gleichwertiger Mannschaften vermutlich auch kein Dortmunder hätte beschweren können.
Stattdessen gab es Verlängerung, und nach Kehls Traumtor eine leidenschaftlich verteidigende und angefeuerte Borussia. Jeder auf die Tribüne geschlagene Ball wurde ausgiebig vom schwarz-gelben Anhang bejubelt, bis Schiedsrichter Deniz Aytekin den Fight nach 120 Minuten plus Nachspielzeit beendete. "Am Ende entscheidet ein Sonntagsschuss. Das ist natürlich bitter", sagte Gäste-Coach Markus Gisdol leicht enttäuscht, gratulierte aber dennoch fair zum Sieg des BVB.
Klopp hofft auf positiven Effekt
Der wird nun kräftig die Daumen drücken, dass heute Abend ein attraktives Los für das Halbfinale am 28./29. April herausspringt. Darüber hinaus geht aber der Blick der Dortmunder schon wieder auf die nächste schwere Aufgabe in der Bundesliga. In Gladbach, das den BVB in der Tabelle und in Sachen spektakulärer Spielweise überholt hat, will der Tabellenzehnte punkten, um im Rennen um die Europa-League-Plätze zu bleiben. Die Müdigkeit nach dem schweren Pokalkampf lässt sich als Sieger jedenfalls viel leichter ins Positive wenden. Trainer Klopp hofft: "Diese 120 Minuten können auch Kräfte freisetzen."