Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Die Folgen der Blamage Die Bayern-Reaktion kommt schnell, heftig und gnadenlos
Nach dem 0:5 in Gladbach befindet sich der FC Bayern in einer Schockstarre. Die wird allerdings nicht lange anhalten. Das ist eine schlechte Nachricht für die Liga.
Es ging mir am gestrigen Mittwochabend wie wohl ganz Fußball-Deutschland. Ich habe das 5:0 von Borussia Mönchengladbach gegen den FC Bayern im Pokal gebannt vor dem Fernseher verfolgt – die meiste Zeit mit offenem Mund. Ich hatte erwartet, dass es eng wird.
Gladbach hat Bayern das Leben in den vergangenen Jahren immer wieder schwer gemacht – zuletzt beim 1:1 am ersten Bundesliga-Spieltag der laufenden Saison. Mit dieser Demontage hat allerdings wirklich niemand gerechnet. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal sagen muss, aber der FC Bayern ist aus dem Stadion geschossen worden.
Das ist nicht normal
Wie konnte das bloß passieren?
Sicher: Bei Gladbach hat von der ersten bis zu letzten Sekunde alles gepasst. Die Tore fielen jeweils zum perfekten Zeitpunkt und die Mannschaft hat sich in einen Rausch gespielt. Bei Bayern dagegen passte von der ersten bis zur letzten Sekunde gar nichts. So viele Totalausfälle habe ich bei Bayern noch nie gesehen.
Aber: Normalerweise erholt sich der FC Bayern innerhalb eines Spiels. Noch zur Halbzeit dachte ich: Das ist noch lange nicht durch – und war gespannt, wie die Mannschaft aus der Kabine kommt. Danach kam allerdings: nichts. Und das war nicht normal.
Nagelsmann hätte das nicht verhindern können
Haben die Begleitumstände und Nebenschauplätze eine Rolle gespielt? Der Fall Lucas Hernández, dem bis gestern das Gefängnis drohte? Die nationale Debatte um Joshua Kimmich, der als einer von fünf Bayern-Spielern nicht geimpft ist? Die Abwesenheit von Trainer Julian Nagelsmann, der aufgrund einer Corona-Infektion aus seiner Küche heraus gecoacht und Kontakt zu seinem Co-Trainer Dino Toppmöller gehalten hat?
Die Antwort auf alle diese Fragen lautet: Nein.
Nagelsmann hätte diese Niederlage nicht verhindern können, wenn er an der Seitenlinie gestanden hätte. Was hätte er tun sollen? Ein taktischer Kniff wie die Einwechslung von Serge Gnabry beim 4:0 gegen Benfica Lissabon wäre verpufft. Hernández und Kimmich hat die Berichterstattung sicherlich persönlich beschäftigt. Aber auf dem Platz kann das alles keine Entschuldigung sein. Dieser Lösungsansatz ist absoluter Quatsch.
Das kommt alle zehn Jahre vor
Egal, was neben dem Platz passiert oder in der Diskussion ist: Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass du dich als Spieler in den 90 Minuten voll auf Fußball konzentrierst.
Meine Erklärung sieht so aus: Es gibt Tage, an denen du als Spieler und Mannschaft einfach ratlos bist. Du hast einen klaren Plan, taktische Vorgaben – und du weißt, was da auf dich zukommt. Aber du hast einfach in dem Moment keine Antworten. Das kommt vielleicht alle zehn Jahre vor – und ist auch mir in meiner aktiven Karriere passiert.
Wir hatten mit dem FC Bayern 2001 so einen Tag, an dem wir 0:3 gegen Olympique Lyon verloren haben und uns hinterher von unserem damaligen Präsidenten Franz Beckenbauer Sätze anhören durften wie "Das ist Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft, Altherrenfußball, eine andere Sportart".
Bayern muss jetzt die Champions League gewinnen
Das ist sicher nicht schön. Aber es kommt auf die Reaktion an. Manchmal braucht es sogar so ein Spiel, um die Augen zu öffnen.
Damals haben wir am Ende die wichtigste Trophäe im Vereinsfußball geholt. Und genau das muss jetzt auch passieren. Der FC Bayern muss neben der Meisterschaft die Champions League gewinnen, damit diese Saison als erfolgreich bewertet werden kann.
Ist das realistisch? Aus meiner Sicht ja.
Die Antwort wird heftig und gnadenlos
Nach so einer Niederlage setzt man sich als Spieler hin und macht sich massiv und grundlegend Gedanken. Wenn das nicht von einem selbst ausgeht, wird man dazu gezwungen. Denn beim FC Bayern rappelt es auch intern nach so einem Spiel. Und dann muss die Mannschaft dieses Spiel sofort abhaken und eine Antwort haben. Und ich bin mir sicher, dass sie die geben wird. Die Antwort des FC Bayern wird schnell kommen und sie wird heftig und gnadenlos sein.
Bei anderen Vereinen muss man sich nach so einem Spiel Sorgen machen – beispielsweise nach dem Dortmunder 0:4 gegen Ajax Amsterdam um den BVB oder nach dem 3:6 von Leipzig gegen Manchester City um RB. Bei Bayern dagegen sollte die Konkurrenz vor allem Angst haben vor der Rache und dem Zorn.
Der Titel wäre wichtig gewesen für Nagelsmann
Für Borussia Dortmund geht es ohne den verletzten Erling Haaland ohnehin in den nächsten Wochen nur darum, in der Bundesliga am FC Bayern dranzubleiben und den Rückstand von einem Punkt nicht größer werden zu lassen. Die Chancen darauf sind mit dem Bayern-Aus im Pokal sicher gesunken. Es würde mich nicht wundern, wenn Bayern nun davonzieht.
Das muss natürlich auch der Anspruch von Bayern sein, denn im Pokal hat der Rekordmeister nun im zweiten Jahr in Folge nicht die Erwartungen erfüllt. Der Titel im DFB-Pokal wäre wichtig gewesen, auch für Julian Nagelsmann.
Diese Blamage hat Folgen
Ich möchte daran erinnern, dass der Verein sich schon nach einem Double von Trainern getrennt hat. Niko Kovac musste im November und damit wenige Monate nach dem Double 2019 gehen, Felix Magath im Januar 2007 nur ein halbes Jahr nach dem Double 2006. Louis van Gaal musste im März 2011 gehen, nachdem er im Vorjahr nicht nur das Double geholt, sondern Bayern auch noch ins Finale der Champions League geführt hatte. Es kann schnell gehen beim FC Bayern – auch wenn wir natürlich nicht davon ausgehen, dass es für Nagelsmann jetzt eng wird.
Dennoch hat diese historische Bayern-Blamage in Gladbach Folgen. Im Pokal birgt sie für die im Wettbewerb verbliebenen Klubs die gigantische Chance, diesen Titel zu holen. Zum Beispiel für Gladbach.
Für die Bundesliga allerdings ist diese Demontage eine schlechte Nachricht. Zumindest würde es mich sehr wundern, wenn es nicht bereits am Samstag bei Union Berlin eine Antwort des FC Bayern gibt.
- Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“