Vedad Ibisevic "Die Wertschätzung des Fußballs ist nirgends so groß wie hier"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.In seiner 15. Bundesliga-Saison läuft Vedad Ibisevic für Schalke 04 auf. Im Gespräch mit t-online spricht der 36-jährige Bosnier über seinen steinigen Weg zur Profikarriere und lobt den deutschen Fußball.
343 Partien, 127 Tore, 15 Saisons – Vedad Ibisevic hat sich seinen Platz in der Bundesliga-Historie längst erspielt. Doch auch mit 36 Jahren denkt der Vollblutstürmer noch nicht ans Aufhören. Vor Saisonbeginn schloss er sich dem kriselnden FC Schalke 04 an. Denn da gibt es ja diesen Meilenstein, den der Bosnier durchaus noch erreichen könnte: Erzielt er in dieser Saison sieben Tore, würde er Bayern-Legende Giovane Elber übertrumpfen und mit dann 134 Treffern zum alleinigen drittbesten ausländischen Torjäger in der höchsten deutschen Fußball-Spielklasse aufsteigen.
Zuvor sprach Ibisevic mit t-online über seine einzigartige Karriere, seine Entscheidung für Schalke 04 und seine neue Heimat Deutschland.
t-online: Herr Ibisevic, erkennen Sie diesen Fußballplatz wieder?
Vedad Ibisevic (36): Natürlich, den erkenne ich sofort. Das ist das Stadion Luke im bosnischen Tuzla.
Die Heimstätte ihres ersten Vereins, FK Proleter Slavinovici. Welche Emotionen setzt die Erinnerung an ihre Anfangszeit als Fußballer frei?
Dieses Foto setzt ausschließlich positive Erinnerungen bei mir frei. Dort habe ich meine ersten fußballerischen Schritte gemacht. Während der Kriegsjahre in Bosnien gab es nicht viele schöne Momente. Doch jede Minute, die wir auf diesem Platz verbringen konnten, haben wir genossen. Immer, wenn ich in Tuzla bin, besuche ich das Stadion und lasse diese schönen Erinnerungen aufleben.
Wie waren die Verhältnisse damals?
Der Platz war in einem miserablen Zustand. Wir haben täglich davon geträumt, dass wir dort eines Tages auf richtigem Rasen spielen würden. Unser damaliger Trainer sagte jedoch stets: "Wenn ihr lernt, auf so einem schlechten Platz Fußball zu spielen, dann könnt ihr euch sicher sein, dass ihr in einem richtigen Stadion noch besser spielen werdet."
20 Jahre später sind Sie immer noch als Profi aktiv. Inwiefern haben Sie sich den Jungen von damals erhalten?
Dass der Junge von damals, der davon geträumt hat, in den größten Stadien der Welt Fußball zu spielen, noch immer in mir steckt, erkennt man bereits an meiner Entscheidung für Schalke. Ich hatte im Sommer finanziell wesentlich attraktivere Angebote vorliegen. Doch ich spiele Fußball nicht des Geldes wegen.
Sie haben auf Schalke einen stark leistungsbezogenen Vertrag unterzeichnet, spenden 100% Ihres Grundgehalts. Haben Sie die vergangenen Wochen genutzt und entschieden, an welche Organisationen das Geld gespendet wird?
Den Entschluss, mein Gehalt spenden zu wollen, habe ich spontan gefasst. Jochen Schneider machte mir deutlich, wie die finanzielle Situation auf Schalke aussieht und dass ich kein großes Gehalt erwarten kann. Mir war das völlig egal, denn allein die Möglichkeit, noch einmal für einen der größten deutschen Klubs spielen zu können, war für mich Anreiz genug. Das wollte ich mit einem unmissverständlichen Zeichen klar machen. Also entschied ich mich, das Geld, das Schalke mir aus versicherungstechnischen Gründen zahlt, zu spenden. Mir ist es wichtig, dass dieses Geld den Menschen in Gelsenkirchen, zugute kommt. Es gibt eine Vielzahl toller Organisationen in der Stadt, über die ich mich in der kommenden Zeit informieren werde.
Es ist Ihnen also wichtig, ganz genau zu wissen, an wen und zu welchem Zweck das Geld fließt.
Genau. Ich möchte als privilegierter Spieler des FC Schalke 04 den Bürgern von Gelsenkirchen unter die Arme greifen. Auch wenn es kein Vermögen ist, bin ich mir doch sicher, dass dieses Geld gleich mehreren Organisationen eine echte Hilfe sein wird.
Welche persönlichen Ziele wollen Sie noch erreichen, dass Sie dafür auf viel Geld verzichten?
Ich möchte den Beruf, dem ich seit über 15 Jahren nachgehe, genießen. Es war immer mein Traum, Fußballprofi zu sein und ich musste einen steinigen Weg gehen, um dieses Ziel zu erreichen. Deshalb will ich diesen Traum so lange wie möglich leben – insbesondere, wenn es noch auf einem solchen Top-Niveau wie der Bundesliga ist.
Anders gefragt: Glauben Sie, Sie können mit Schalke zumindest den DFB-Pokal gewinnen und so ihre Karriere auch mit einer Trophäe krönen?
Damit würde sicherlich einer meiner wildesten Träume wahr werden. Ich bin überzeugt davon, dass wir weit kommen können im DFB-Pokal. Sollte ich meine Karriere eines Tages ohne Pokalerfolg beenden, wird mich das aber auch nicht ins Unglück stürzen.
Wie wollen Sie der Mannschaft mit Ihrer langjährigen Bundesliga-Erfahrung ganz konkret helfen?
Ich bin relativ spät zur Mannschaft gestoßen, habe auch noch etwas gebraucht, um auf mein physisches Top-Niveau zu kommen. Jetzt bin ich aber absolut bereit, alles zu geben. Das will ich nicht nur auf dem Platz, sondern auch abseits des Platzes. In der aktuellen Situation, wo es für uns sportlich nicht so läuft, wie wir es uns wünschen, liegt ein hoher Druck auf den Spielern. Besonders den Jüngeren will ich mit meiner Erfahrung zeigen, wie sie damit umgehen können.
In Stuttgart entwickelten Sie sich zum Führungsspieler, bei der Hertha trugen Sie sogar die Kapitänsbinde. Inwiefern entstand im Laufe Ihrer Karriere der Wunsch, der Leitwolf für junge Spieler zu sein?
Ich habe relativ früh begonnen, Fußball als echten Teamsport zu verstehen. Ich möchte ein Teamplayer sein und dafür sorgen, dass wir alle gemeinsam unsere Ziele erreichen. Dieses Verständnis mag eine meiner natürlichen Stärken sein, es ist aber nichts, worauf ich gezielt hingearbeitet habe.
Wieso wird es nun unter dem neuen Trainer Manuel Baum besser für Schalke laufen?
Er bringt neue Ideen ins Team – das Training ist sehr intensiv und sehr detailliert. Jede Einheit ist an die Spielweise gebunden, mit der wir am Wochenende auftreten wollen. Besonders unsere jungen Spieler werden viel von ihm lernen können. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass sich mit Manuel Baum auch wieder positive Ergebnisse einstellen werden.
Dass Sie nun Fußballprofi sind, hängt auch mit einer Entscheidung vor 20 Jahren zusammen. Sie gingen 2000 mit Ihren Eltern und Ihrer Schwester in die USA. Ihre Eltern entschieden sich bewusst dazu, keinen Asylantrag, sondern einen Antrag auf eine Arbeitsgenehmigung zu stellen. Im Nachhinein betrachtet: Wie prägte diese Entscheidung Ihrer Eltern – sich von Beginn an in einer neuen Gesellschaft einzubringen, selbst für das Glück und Wohl der Familie sorgen zu wollen und von Behörden so unabhängig wie möglich zu leben – Sie während Ihrer Fußballkarriere?
Der Abschied in die USA war alles andere als einfach für mich. Er ist mir sehr schwergefallen – auch weil er im Widerspruch zu meinem Traum, Fußballprofi zu werden, stand. Dass wir dort jedoch eine echte Chance erhielten, meine Eltern endlich wieder einem geregelten Job nachgehen konnten, motivierte mich so sehr, dass ich entschied, noch härter für die Erfüllung meines persönlichen Traums arbeiten zu wollen.
Die europäischen Fußballligen dürften Sie in dieser Zeit sicherlich nicht aus den Augen verloren haben. So wie die NBA für jeden Basketballprofi das ultimative Ziel ist, sind es Europas Top-Fünf-Ligen für Fußballer.
Ich habe Zeit gebraucht, um das US-amerikanische Fußballsystem zu durchblicken. Dort läuft alles über den Schulsport, was mir überhaupt nicht zugesagt hat. Aber ich habe mir gesagt: "Wenn das der einzige Weg ist, dann gehe ich diesen Weg." Der Erfolg hat sich zum Glück schnell eingestellt, sodass es mir möglich war, die St. Louis University zu besuchen, die mit das beste Fußballprogramm des Landes hatte. Gleich in meinem ersten Jahr an der Uni gelang mir der Sprung in die bosnische Juniorennationalmannschaft.
Dort habe ich viele Gespräche geführt und entschieden, nicht den amerikanischen Weg zu Ende zu gehen – vier Jahre zur Universität gehen, dann über den Draft den Sprung in die MLS schaffen. Wenn du das US-amerikanische Ausbildungssystem durchschritten hast, bist du nämlich eigentlich schon zu alt, um als Talent in Europa Fuß fassen zu können. Deshalb brach ich meine Zelte in St. Louis ab und nahm ein Angebot von Paris Saint-Germain an.
Jugoslawien, Bosnien, Schweiz, USA, Frankreich, Deutschland – sie wuchsen in Ihren ersten 22 Lebensjahren in sechs Staaten auf. Wie haben Sie als Heranwachsender das ständige neue Einleben und Anpassen verkraftet?
Durch den Krieg und die Nachkriegswirren in Bosnien waren wir dazu gezwungen, oft umzuziehen. Heute sehe ich es als großes Glück an, dass ich diese Erfahrungen in jungem Alter gemacht habe. Sie haben mir insbesondere während meiner Fußballkarriere geholfen, Veränderungen einfacher hinzunehmen. Ich habe gelernt, in jeder Veränderung etwas Gutes zu sehen: dass ich eine neue Sprache lerne, neue Menschen kennenlerne, neue Kulturen entdecke.
Fußballerisch gelang Ihnen in Aachen Ihr Durchbruch. Nach nur einer Bundesliga-Saison bei der Alemannia wechselten Sie zum damaligen Zweitligisten TSG Hoffenheim. Wie überzeugte der Klub vom Transfer?
Nur sehr schwer, um ehrlich zu sein (lacht). Ich habe wirklich mit mir gerungen, bis ich die Entscheidung getroffen habe. Hoffenheim meldete sich erst sehr spät im Transferfenster bei mir. Ich war überrascht, schließlich waren sie gerade erst in die 2. Bundesliga aufgestiegen – und kaum jemand wusste etwas über diesen Klub. Ich hörte mir dennoch ihre Pläne an, ließ mir das Projekt erklären. Danach griff ich zum Telefonhörer und rief Sejad Salihovic an, den ich aus der Juniorennationalmannschaft kannte und der bereits bei Hoffenheim spielte. Er war es schlussendlich, der mich von Hoffenheim überzeugte, indem er mir sagte: "Vedo, uns zwei wird es hier richtig gut gehen."
In der Hinrunde der Saison 2008/2009 lief es für Sie und Hoffenheim herausragend: Die TSG wurde in der ersten Bundesliga-Saison Herbstmeister, Sie erzielten in 17 Spielen 18 Tore. In der Winterpause riss Ihr Kreuzband. Sie machten in der Rückrunde kein Spiel mehr für die TSG, die sicher geglaubte Torjägerkanone blieb ihnen verwehrt. Wie blicken Sie heute auf diese Saison zurück?
Eine schwierige Frage. Einerseits bin ich als Mensch sehr an der Verletzung gewachsen. Ich war ganz oben und bin von jetzt auf gleich ganz tief gefallen. Ich habe gelernt, wie Menschen mit einem in einer solchen Situation umgehen. Diese Erfahrung war für meine Charakterbildung wichtig. Denn dieser ganze Hype um meine Person war in den Tagen und Wochen zuvor außer Kontrolle geraten.
Andererseits war der Kreuzbandriss aus sportlicher Sicht eine Katastrophe. Ich war 24 Jahre alt, mir standen alle Möglichkeiten offen. Ich denke schon, dass es diese Verletzung war, die dafür gesorgt hat, dass ich im Laufe meiner Karriere nicht für noch größere Klubs aufgelaufen bin.
Sie wirken dennoch zufrieden mit dem Verlauf Ihrer Karriere.
Absolut. Der Kreuzbandriss hat meine Karriere sicherlich ein Stück weit ausgebremst, aber mir ist es gelungen, mich zurückzukämpfen. Blicke ich zurück, würde ich sagen, dass ich meine beste Phase erst nach der Verletzung hatte. Das gelingt nicht jedem Fußballer.
Auch Ihre Stellung in der bosnischen Nationalmannschaft war exponiert. Spätestens seit Ihrem Tor gegen Litauen, das Bosnien zur WM 2014 schickte, und dem durch Sie erzielten ersten Treffer Bosniens bei einem großen Turnier, in der WM-Vorrunde gegen Argentinien, gelten Sie als Volksheld. Inwiefern macht diese Stellung eine Rückkehr als Funktionär oder Teil des Trainerteams für Sie reizvoll?
Ich würde sehr gerne eines Tages, in welcher Funktion auch immer, zur Nationalmannschaft zurückkehren. Sie war immer die liebste und wichtigste Angelegenheit in meiner Karriere. Ich habe mit meiner Familie den Krieg überlebt und meine Heimat verlassen, um als Fußballer zurückzukehren und durch wichtige Tore den Anhängern Bosnien-Herzegowinas Freude zu bereiten.
Dass mir dies durch die zwei von Ihnen erwähnten Tore im besonderen Maße gelungen ist, macht mich stolzer als alles andere in meiner Karriere. Es gibt keinen Klub und kein Geld der Welt, für das ich diese Momente, die ich mit der Nationalmannschaft erlebt habe, eintauschen würde.
Kommenden August feiern Sie Ihren 37. Geburtstag und 15 Jahre seit Ihrer Ankunft in Deutschland. Ist Deutschland für Sie Heimat geworden?
Deutschland ist definitiv eine Art Heimat für mich geworden. Kommendes Jahr lebe ich so lange in Deutschland, wie ich von meiner Geburt an in Bosnien gelebt habe. Alle meine drei Kinder sind in Deutschland geboren, wir als Familie fühlen uns pudelwohl in diesem Land.
Ist das auch der Grund, warum sie die Bundesliga nie verlassen haben?
Die Wertschätzung des Fußballs ist fast nirgends so groß wie in Deutschland, besonders in den vergangenen 20 Jahren. Es macht mich sehr stolz, dass ich seit so vielen Jahren in der Bundesliga spiele. Eine Liga mit so vielen tollen Stadien und mit so leidenschaftlichen Fans. Die Bundesliga war und ist für mich die beste Liga der Welt.