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Bundesliga-Sorgenkind Schalke 04: Ein Klub liegt in Trümmern


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Tristesse beim Pleiteklub
Schalke 04: Nie mehr erste Liga?


Aktualisiert am 21.01.2023Lesedauer: 6 Min.
Danny Latza enttäuscht: Bei Schalke ist die Aufstiegseuphorie der Tristesse gewichen.Vergrößern des Bildes
Danny Latza enttäuscht: Bei Schalke ist die Aufstiegseuphorie der Tristesse gewichen. (Quelle: IMAGO/Maik Hölter/TEAM2sportphoto)
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Schalke geht als Tabellenletzter in die Bundesliga-Rückrunde. Das Wintertrainingslager sorgte zudem nicht unbedingt dafür, dass der Glaube an den Klassenerhalt gewachsen ist.

"Das war eine Katastrophe." Kenan Karaman wählte deutliche Worte nach der 0:1-Pleite im Testspiel gegen den Zweitligisten 1. FC Nürnberg. "Wir machen einen dummen Fehler, verteidigen nicht clever, sondern leichtsinnig. Ich weiß nicht, der wievielte Elfmeter das war, den wir verursacht haben. Und dann verliert man zu Recht gegen einen Zweitligisten."

Dem Offensivspieler, erst am letzten Tag des Sommertransferfensters von Besiktas Istanbul zum FC Schalke 04 gestoßen, war der Frust anzumerken. Und er war berechtigt: Kein einziges Spiel konnten die Königsblauen in der Wintervorbereitung gewinnen, das ohnehin dünne Nervenkostüm des Bundesliga-Schlusslichts litt unter den teils indiskutablen Auftritten nur noch weiter. Schalke ist zu Tristesse 04 verkommen, Selbstvertrauen ist längst zum Fremdwort geworden. Dabei platzte der Verein noch vor einem guten halben Jahr genau davor.

Nach dem rauschhaften Wiederaufstieg mit Klubikone Mike Büskens als Interimstrainer lag Gelsenkirchen unter einer einzigen Euphorieglocke. Alles schien plötzlich möglich, weil der S04 in der Zweitklassigkeit wieder zu sich gefunden hatte. Die Fans hatten endlich wieder Spieler, die sich als eine Mannschaft präsentierten, ein Team, mit dem sie sich identifizieren, auf das sie stolz sein konnten.

Trägt eine Excel-Tabelle Mitverantwortung an der Schalker Misere?

"Wo ist die Euphorie?" Das fragte sich nicht nur 2014 die Indie-Rock-Band Trümmer in ihrem gleichnamigen Hit, sondern nun, im Januar 2023, kurz vor Wiederbeginn der Bundesligasaison, als Tabellen-18. mit gerade einmal 9 Zählern auf dem Konto, wohl auch jeder Fußballfan in Deutschland, der es mit Königsblau hält.

Die Antwort auf diese Frage findet sich dort, wo besagte Musikgruppe ihren Namen hergenommen hat: in den Trümmern. Im Schutt der Aufstiegsaufbruchstimmung.

Die Euphorie wurde schon kurz nach der Bundesliga-Rückkehr brutal eingebremst, als Schalke Leihprofi Ko Itakura, den wohl besten Spieler der vergangenen Zweitligasaison, trotz Kaufoption nicht fest verpflichtete. Die Klubleitung um Sportvorstand Peter Knäbel und Finanzvorständin Christina Rühl-Hamers erklärte die unpopuläre Entscheidung mit einer Excel-Tabelle, in der für jeden Mannschaftsteil mit einer bestimmten Summe des schmalen Erstligabudgets kalkuliert wurde. Itakura, so brutal wie engstirnig, passte schlicht nicht ins für die Defensive gesteckte Raster.

Diese neue "kaufmännische Vernunft" werde nicht für "Wetten auf die Zukunft" aufs Spiel gesetzt, hieß es gebetsmühlenartig aus der Schalker Klubzentrale. Fans – aber auch Teile der Geschäftsstelle – raunten bald, Knäbel und Rühl-Hamers würden Schalke mit ihrem fehlenden unternehmerischen Mut "kaputtsparen". Dass Itakura, der statt weiter auf Schalke beim Ligakonkurrenten Mönchengladbach anheuerte, seit Sommer 2022 seinen Marktwert laut "Transfermarkt" von 5 auf 12 Millionen Euro erhöhen konnte, bestärkte Kritiker bloß noch weiter.

Diese risikoarme Strategie endete nicht mit der Personalie Itakura: Mit Frank Kramer holte Schalke die kostengünstigste und pflegeleichteste Trainerlösung, nur um gegebenenfalls eingespartes Geld nach der bereits im Oktober ausgesprochenen Entlassung für seine anfallende Abfindung und die Ablösesumme seines Nachfolgers Thomas Reis auszugeben. Ob dies so in der Excel-Tabelle eingeplant war? Wohl kaum.

Schalke schaffte Schröder

Der Frust über die zusehends fragwürdige Vereinsführung schlug schließlich auch Sportdirektor Rouven Schröder in die Flucht. "Don Rouven", wie Fans den Architekten des Wiederaufstiegs andächtig riefen, schmiss Ende Oktober aus "privaten Gründen" vom einen auf den anderen Tag hin. "Entweder schaffst du Schalke oder Schalke schafft dich", hatte Managerübervater Rudi Assauer einst postuliert. Schröder wusste am Ende wohl überdeutlich, auf welcher Seite des "Oder" er sich selbst wiederfand.

Die durch Schröders Blitzabgang entstandene emotionale Leere versucht seitdem Neutrainer Reis zu füllen. Und tatsächlich sorgte der Ex-Coach des Ruhrpottrivalen VfL Bochum mit seiner konkret-korrekten, floskelarmen Art für den Ansatz einer Aufbruchstimmung – die in der WM-Zwangspause jedoch jäh verpuffte.

Die durch die Dauerverletzten Sepp van den Berg, Leo Greiml (beide Innenverteidigung) und Rodrigo Zalazar (Mittelfeld) ohnehin schon angespannte personelle Situation verschärfte sich selbst verschuldet, als man entschied, die beiden Eigengewächse Florian Flick (defensives Mittelfeld, 22) und Kerim Calhanoglu (Linksverteidiger, 20) in die zweite Liga zu verleihen, obwohl sich ausgerechnet auf diesen Positionen in Axel Kral und Thomas Ouwejan zwei Leistungsträger seit geraumer Zeit mit hartnäckigen Blessuren herumplagen und zum Auftakt ins Pflichtspieljahr 2023 ausfallen werden.

Schalke brach sein Mini-Wintertransferbudget von schätzungsweise gerade einmal drei Millionen Euro für die Leihen von Niklas Tauer (defensives Mittelfeld, von Mainz 05) und Jere Uronen (Linksverteidiger, von Stade Brest) an. Zwei Akteure, die in der laufenden Saison zusammengerechnet auf nicht einmal 400 Einsatzminuten kommen. Es ist zu hinterfragen, weshalb Schalke in zwei Bankdrückern anderer Vereine Hoffnungsträger für den Abstiegskampf sieht, während man eigenen Talenten keine Spielzeit in Aussicht stellt.

Ein Schweizer soll Schalkes neuer Torgarant werden

Schalke will sich bis zum Ablauf des Transferfensters Ende Januar noch mit einem echten Mittel- und einem Flügelstürmer verstärken. Bitter nötig angesichts der saisonbeendenden Kreuzbandverletzung von Angreifer Sebastian Polter sowie der weiterhin nicht vorhandenen Dynamik auf den Außenbahnen. Die lange und öffentlich angebahnte Leihe von Union-Stürmer Tim Skarke wird nach einem Veto vom Köpenicker Coach Urs Fischer nicht zustande kommen.

Das Unterfangen "Offensivverstärkungen" wird zudem einmal mehr durch die finanziellen Nöte erschwert. Laut Berichten kann Schalke den zwei anvisierten Neuzugängen in der Rückrunde nur insgesamt 800.000 Euro Gehalt zahlen. Ein selbst für die klammen Schalker Kassen neuer Tiefpunkt. Neuesten Berichten von Transferexperten zufolge soll sich im Schweizer Michael Frey vom belgischen Erstligisten Royal Antwerpen zumindest schon einmal ein neuer formstarker Mittelstürmer gefunden haben.

Einen Plan B für den Flügelflitzer Skarke scheint Schalkes sportliche Spitze um Knäbel derweil offenbar nicht parat zu haben. Der lose gemunkelte französische Juniorennationalspieler Nathanael Mbuku hat sich entschieden, seinen im Sommer auslaufenden Vertrag bei Stade Reims auszusitzen, um dann ablösefrei wechseln zu können. Mit Florent Mollet hat zudem ein weiterer offensiver Kreativspieler, der auch gut und gerne auf den rechten Flügel ausweichen kann und zuletzt einer der Lichtblicke im Schalker Spiel war, den Verein verlassen. Den Franzosen zog es aus Heimweh nach nur einem halben Jahr und neun Bundesligaeinsätzen zum FC Nantes.

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Was macht da also noch Hoffnung, was kann vor dem ersten Bundesligaspiel im neuen Jahr am Samstag gegen Frankfurt (ab 15.30 Uhr im t-online-Liveticker) die Euphorie zurückholen?

Zunächst einmal, so grotesk es klingen mag, der Blick auf die Tabelle. Ja, Schalke mag mit nur zwei Siegen aus 15 Partien die Rote Laterne mit sich tragen, aber der VfB Stuttgart am rettenden Ufer auf Rang 15 liegt mit nur fünf Punkten Vorsprung in Sichtnähe. Im besten Fall könnten die Knappen mit zwei Siegen in Folge den Tabellenkeller wieder verlassen. Etwa durch Sensationserfolge zum Auftakt gegen Frankfurt und Pokalsieger Leipzig. Entscheidender dürfte jedoch die letzte Februarwoche sowie der gesamte Monat März werden. Da trifft Schalke auf die direkten Abstiegskampfkonkurrenten Stuttgart und Augsburg sowie auf Lokalrivalen und Reis-Ex VfL Bochum. Garniert werden diese Wochen der Wahrheit auch noch mit der "Mutter aller Derbys", dem Revierduell gegen die schwarz-gelben Feinde aus Dortmund.

Ein U23-Quartett als Schalker Heilsbringer?

Spätestens bis dahin muss Reis seinem Team wieder den Geist des Novembers einverleibt haben. Vor der WM-Pause präsentierte sich Schalke aktiv und griffig, ging wesentlich intensiver in die Pressingsituationen und wirkte auch bei der großen Offensivbaustelle, potenzielle Umschaltsituationen, wacher als noch unter Kramer.

Zwar offenbarten die Spieler dabei immer noch fehlende Abstimmung. Aber mit dem überzeugenden Sieg gegen Mainz (1:0) sowie bei der ehrbaren 0:2-Niederlage gegen Meister Bayern München zeigte Königsblau, dass sie trotz aller Nackenschläge in der Bundesliga konkurrenzfähig sind. Vor allem der oftmals belächelte Ex-Regionalligakicker Henning Matriciani (22) als abgebrühter Innenverteidiger sowie U21-Nationalspieler Tom Krauß (21) als lauffreudiger Sechser überzeugten nachhaltig. Gemeinsam mit dem aus der eigenen U23 hochgezogenen, torgefährlichen Rechtsaußen Soichiro Kozuki (22) und dem nach einem Mittelfußbruch ins Mannschaftstraining zurückgekehrten Offensivregisseur Rodrigo Zalazar (23) könnten sie unter dem mutig offensiv eingestellten Reis ein unerwartetes Erfolgsquartett bilden.

Sollte Reis mit seinen vier Musketieren Schalke tatsächlich vor dem Abstieg bewahren, muss der Klub dies dringend als Arbeitsauftrag verstehen: die Euphorie des mittleren Wunders Klassenerhalt mittelfristig zu konservieren und folgerichtig zu kanalisieren. Mit mehr Mut und weniger Engstirnigkeit die sportliche Philosophie zu verfestigen, ohne dabei die oft zitierte "kaufmännische Vernunft" aus den Augen zu verlieren. Mit mehr Weitsicht agieren, auf und neben dem Platz. Dann kann aus dem Trümmerhaufen Schalke wieder eine blühende Landschaft werden.

Verwendete Quellen
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