Stuttgart Corona-Proteste werden zu riskantem "Katz-und-Maus-Spiel"
"Spontane" Spaziergänge statt angemeldeter Demonstrationen: Die Gegner von Corona-Maßnahmen setzen nach Ansicht von Landespolizeidirektor Martin Feigl zunehmend auf solche unangemeldeten Versammlungen. "Hier wird schon bewusst das Versammlungsrecht umgangen", sagte Feigl am Dienstag in Stuttgart der Deutschen Presse-Agentur. "Diese Tendenz stellen wir verstärkt fest und das wird vermutlich auch noch eine Weile anhalten." Auch die Zahl der Demos gegen Corona-Maßnahmen und die Zahl der Teilnehmer sei in den vergangenen zwei Wochen gestiegen.
Nach Ansicht von Ministerpräsident Winfried Kretschmann war diese Entwicklung mit Blick auf die mögliche Einführung einer allgemeinen Impfpflicht erwartbar. Eine solche Impfpflicht könne die Gesellschaft mittelfristig befrieden, sagte der Grünen-Politiker am Dienstag in Stuttgart. Aber zu Beginn einer solchen Maßnahme müsse man mit vermehrten Protesten rechnen: "Dass das erst zu vermehrten und auch heftigen Protesten führen kann, das war voraussehbar."
So waren in Mannheim am Montagabend bis zu 2000 Menschen aus Protest gegen die Corona-Politik durch die Stadt gezogen - trotz eines Verbots und ohne eine Anmeldung für eine solche Kundgebung. Als die Stadt die Veranstaltung untersagt und die Polizei Platzverweise ausgesprochen habe, sei der Platz auf einen Schlag von Menschen "geflutet" worden, sagte ein Polizeisprecher. Man gehe davon aus, dass es sich bei dem Protest um eine abgesprochene Aktion gehandelt habe. Die Teilnehmer hätten sich offenbar über die sozialen Medien vernetzt. Im Verlauf des Abends wurden sechs Polizisten verletzt.
Auch in Karlsruhe, Bruchsal, Ettlingen, Rheinstetten, Karlsdorf-Neuthard, Tübingen und Villingen-Schwenningen gab es am Montagabend mehrere teils nicht angemeldete Versammlungen und Zusammenkünfte gegen die Corona-Maßnahmen. Wie die Polizei mitteilte, wurden die Mindestabstände nicht eingehalten und in vielen Fällen fehlten Mund-Nasen-Bedeckungen. In Karlsruhe überwanden mehrere Menschen bei einer Demo eine Polizeikette, nachdem sie Polizeiangaben zufolge von einem Teilnehmer aufgestachelt worden waren.
Der Soziologe Dieter Rucht vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin sieht in solchen unangemeldeten Aktionen eine neue Taktik der Demonstranten: "Um situativ die Oberhand zu behalten, wird ein "Katz-und-Maus-Spiel" mit der Polizei gespielt." Das müsse gar nicht im Detail geplant sein: "In Abhängigkeit der Stärke und dem konkreten Handeln der Polizei wird über die sozialen Netzwerke abgesprochen, was bei einem Treffen im Einzelnen zu tun ist", sagte Rucht. "Man kann sich verstreuen, in Straßen verschwinden und nach Gelegenheiten suchen, den Protest fortzusetzen. So kann man Gewinner oder Überlegener der Situation sein."
Aus Sicht der Polizei werden dabei auch friedliche Teilnehmer von radikaleren Rädelsführern "instrumentalisiert" und die Stimmung gezielt aufgeheizt, wie Landespolizeidirektor Feigl sagte. Friedliche Teilnehmer würden die Beamten "nicht mit Maßnahmen überziehen", sagte Feigl. "Es geht uns um den harten Kern, die Rädelsführer und die, die Krawall machen - und um die kümmern wir uns."
Ein Vorgehen, das Soziologe Rucht für sinnvoll hält: "Man muss den Menschen klar machen, dass man stichprobenartig eingreift und dabei sehr konsequent vorgeht", sagte Rucht. Nur durch Härte und Entschiedenheit erreiche man das Gegenteil: "Man treibt dann alle Leute in eine Ecke. Diejenigen, die unsicher sind - und den harten Kern." Landespolizeidirektor Feigl betonte, die Demonstrationen seien "ein Riesensammelbecken - von Querdenkern, Impfverweigerern, aber auch Reichsbürgern und Rechtsradikalen". Es sei wichtig, da "sehr stark" zu differenzieren, sagte Feigl. "Ein Großteil der Demonstrationen verläuft nach wie vor friedlich."
Nach Überzeugung von Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) wollen Menschen, die Aktionen wie am Montagabend organisieren, aber eine andere Verfassung. "Es geht also nicht um Freiheit, sondern um das Gegenteil, es geht nicht um Frieden, sondern um das Gegenteil, es geht nicht um Abwehr einer Diktatur, sondern um die Etablierung einer Diktatur." Auch mit Blick auf die Vergangenheit müsse die Demokratie sich als wehrhaft erweisen. "Da sind die entsprechenden staatlichen Organe gefordert", betonte Kurz.
Der stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Thomas Mohr, betonte, es sei nicht akzeptabel, dass eine geringe Minderheit diejenigen angreife, die im Staat - für den Schutz der Demonstrationsrechte - den Kopf hinhalte. Seine Einheit war am Montag in Mannheim im Einsatz. Die Gewerkschaft der Polizei forderte eine konsequente Verfolgung der Straftäter und Ahndung der Straftaten mit allen dem Rechtsstaat zur Verfügung stehenden Mitteln. Die Gewaltausbrüche seien ein unhaltbarer Zustand.
Auch der parlamentarische Geschäftsführer und polizeipolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Sascha Binder, verurteilte die teils gewaltsamen Proteste in Mannheim und Reutlingen. "Wer sich nicht an Auflagen und Regeln hält, wer Gewalt anwendet und beleidigt, der kann sich nicht auf das Versammlungsrecht berufen", sagte Binder. "Dann zieht der Rechtsstaat völlig zu Recht die Rote Karte und damit alle Register, die ihm rechtlich zur Verfügung stehen."
Landespolizeidirektor Feigl betonte, Demonstrationen nicht anzumelden sei für die Leiter solcher Versammlungen eine Straftat. Auch wer daran teilnehme, begehe schon eine Ordnungswidrigkeit. "Friedliche Teilnehmer sollten sich von Provokateuren und Gewalt fernhalten, und wenn es dazu kommt, am besten die Veranstaltung verlassen und Anweisungen der Polizei Folge leisten." Sonst müsse man sich auf ein konsequentes Durchgreifen der Polizei einstellen.