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Antisemitismus-Eklat um Gil Ofarim: Wer hat wen angezeigt? Fragen und Antworten


Eklat um Gil Ofarim
Wer hat bis jetzt eigentlich alles wen angezeigt?

Von t-online, mtt

Aktualisiert am 08.10.2021Lesedauer: 5 Min.
Gil Ofarim hat über Antisemitismus im "Westin Leipzig" berichtet: Nachdem er seine Anschuldigungen öffentlich machte, fand eine Demo vor dem Hotel statt; Hotelmitarbeiter hielten währenddessen ein eigenes Banner (links im Hintergrund) hoch.Vergrößern des Bildes
Gil Ofarim hat über Antisemitismus im "Westin Leipzig" berichtet: Nachdem er seine Anschuldigungen öffentlich machte, fand eine Demo vor dem Hotel statt; Hotelmitarbeiter hielten währenddessen ein eigenes Banner (links im Hintergrund) hoch. (Quelle: Knofe/Matzka/dpa)
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Der Fall um die von Gil Ofarim erhobenen Antisemitismus-Vorwürfe wird immer verworrener. t-online sortiert die wechselseitigen Beschuldigungen und beantwortet die wichtigsten Fragen.

Ausgangspunkt des Eklats ist ein Video Gil Ofarims. Montagabend hat es der Sänger und TV-Star vor dem Hotel "Westin Leipzig" sitzend gedreht und am Dienstagmorgen veröffentlicht. Es ist rund zwei Minuten lang, wurde inzwischen mehr als drei Millionen Mal abgerufen und 20.000 Mal kommentiert. Gil Ofarim macht in dem Clip einen schwer erschütterten Eindruck und kämpft mit den Tränen.

Welche Vorwürfe erhebt Ofarim in dem Video genau?

Der Sänger berichtet, wie er am Montagabend im "Westin Leipzig" einchecken wollte. Wegen eines Computerproblems habe sich an der Rezeption eine lange Schlange gebildet. Das könne passieren, sagt der Sänger.

Aber dann habe er gemerkt, wie "eine Person nach der anderen" vorgezogen worden sei. Als er nach dem Grund gefragt habe, habe ihm ein Herr W. am Schalter gesagt: "Packen Sie Ihren Stern ein." Erst wenn Ofarim den Davidstern abnehme, den er an einer Kette um den Hals trug, könne er einchecken.

Auch ein weiterer Hotelmitarbeiter habe ihn aus einer Ecke heraus aufgefordert, den Stern einzustecken, sagt Ofarim.

Was ist ein Davidstern?

Der Davidstern ist eines der bekanntesten Symbole, die mit dem Judentum verbunden werden. Er besteht aus einem Hexagramm, das durch zwei ineinander verwobene gleichschenklige Dreiecke gebildet wird. Obwohl das Hexagramm als jüdisches Zeichen bereits im 7. Jahrhundert vor Christus vorkam, schmückt der Davidstern erst seit dem Mittelalter Synagogen und seit 1948 die Flagge des Staates Israel. Während des Nationalsozialismus wurde der Davidstern den Juden als Stigma ("Judenstern") aufgezwungen.

Warum hat Ofarim den Vorfall öffentlich gemacht?

Gil Ofarim ist der Sohn des israelischen Musikers Abi Ofarim, geboren wurde er in München, wo er auch aufwuchs. 2018 berichtete er in der ARD-Sendung "hart aber fair", er habe in Deutschland sein gesamtes Leben lang Antisemitismus erfahren: Hakenkreuze auf der Schulbank, Hundekot im Briefkasten, Sprüche über Dachau, das ja nicht weit weg von München sei. Die Mehrheitsgesellschaft ignoriere den Antisemitismus, sagte Ofarim. In Deutschland werde eine "Tradition des Wegsehens" kultiviert.

Mittwoch sagte Ofarim bei "Bild TV" über den Vorfall in Leipzig: "Es war einmal zu viel. Ich finde, man soll einfach nicht mehr die Klappe halten und das über sich ergehen lassen."

Wie hat das Hotel unmittelbar nach den Vorwürfen reagiert?

Zuerst ist das Management des Hotels abgetaucht und hat am Dienstag lange nicht auf Presseanfragen reagiert. Dann veröffentlichte es ein Statement, wonach die beiden betroffenen Mitarbeiter vorerst beurlaubt seien. Man sei "ein weltoffenes Hotel", das "jede Form von Intoleranz, Diskriminierung und Antisemitismus auf das Schärfste" ablehne.

Während der Demo stellten sich Mitarbeiter mit einem Banner vor den Eingang. Darauf waren israelische Fahnen und islamische Halbmonde zu sehen. Auch das rief Kritik hervor: Was das Hotel damit bezwecke, ein Symbol des Islam mit ins Spiel zu bringen, sei völlig unklar. Außerdem sei die Israelfahne ein Affront gegen Ofarim, der ja Deutscher ist – und mit der Fahne eines anderen Landes zum Fremden gemacht werde.

Was sagen Polizei und Staatsanwaltschaft?

Ein Sprecher der Leipziger Polizei betonte bereits am Dienstag, dass die mutmaßliche Aussage des Hotelangestellten für ihn "klar antisemitisch" sei. Ob sie allerdings tatsächlich so gefallen sei wie von Ofarim dargestellt, müsse erst überprüft werden.

Am Mittwoch bestätigte die Staatsanwaltschaft, dass sie Ermittlungen aufgenommen habe. Am Freitag teilte die Polizei mit, dass erste Zeugen vernommen worden seien. Außerdem habe man ein Überwachungsvideo aus dem Hotel sichergestellt. Dieses ist jedoch offenbar ohne Ton. Die Ermittlungen würden sicher noch eine ganze Zeit in Anspruch nehmen, sagte Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz.

Was sagt der beschuldigte Hotelmitarbeiter?

Der Mann schildere den Vorfall mit Ofarim "deutlich abweichend von den Auslassungen des Musikers", sagte Polizeisprecher Olaf Hoppe am Mittwoch.

Wer hat in dem Fall bis jetzt wen angezeigt?

Bislang ging bei der Polizei eine Onlineanzeige eines unbeteiligten Dritten wegen Volksverhetzung gegen den Hotelangestellten am Schalter ein. Der Mann selbst hat zwei Anzeigen erstattet: eine wegen Verleumdung, eine weitere wegen Bedrohung, weil sich Menschen in den sozialen Netzwerken völlig entfesselt gegenüber dem Hotelpersonal geäußert hätten.

Gil Ofarim hat bisher keine Anzeige gestellt, kündigte aber an, dies noch zu tun. Sein Management teilte mit, dass seine Anwälte ihm dazu geraten hätten. Kommenden Dienstag habe er in München einen Termin, um als Zeuge auszusagen. Die Gelegenheit wolle er nutzen, um dann auch persönlich Anzeige zu erstatten.

Was weiß man über den Hotelmitarbeiter und seinen Kollegen?

Wenig. Die Staatsanwaltschaft hat bisher nur bekannt gegeben, dass der Mann am Schalter deutscher Staatsbürger ist und es keine Erkenntnisse im Zusammenhang mit rechtsgerichteten und antisemitischen Straftaten gegen ihn gebe. Auch zu der zweiten Person, die aus einer Ecke heraus gerufen haben soll, lägen bisher keine weiteren Erkenntnisse vor.

Wie verhält sich das Hotel inzwischen zu den Vorwürfen?

Hotelchef Andreas Hachmeister äußerte sich erstmals öffentlich in der "Leipziger Volkszeitung" (LVZ) vom Donnerstag. Man setze alle Hebel in Bewegung, um den Fall aufzuklären, hieß es. Eine spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei sei eingeschaltet worden. Bisher seien "ein bis zwei Gäste" befragt worden, die aber die Auseinandersetzung nicht beziehungsweise nicht komplett mitbekommen hätten.

Die anderen Gäste in der Schlange seien kontaktiert worden, hätten sich aber noch nicht geäußert. Dafür habe sich ein Gast von sich aus an die Hotelleitung gewandt, weil er in der Lobby saß und den Vorgang mitbekommen habe. Hotelchef Hachmeister zur "LVZ": "Er hat uns gesagt, es stimme alles nicht, was in dem Video zu hören ist."

In der "LVZ" äußerte sich der mutmaßliche Zeuge inzwischen ebenfalls, blieb dabei allerdings äußerst vage. Über das Verhalten von Gil Ofarim sagte er: "Er redete, gestikulierte, wollte offensichtlich auf sein Zimmer." Anschließend habe Ofarim das Hotel verlassen. An eine Davidstern-Äußerung des beschuldigten Mitarbeiters könne er sich nicht erinnern.

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Was sagt Ofarim zur Verleumdungsanzeige gegen ihn?

Im Gespräch mit dem "Spiegel" reagierte der TV-Star am Mittwoch auf die Anschuldigung, er habe das Geschehen in dem Leipziger Hotel falsch dargestellt: "Ich finde es beschämend und traurig, dass ich mich nach diesem Vorfall auch noch rechtfertigen und erklären muss."

Er konstatierte: "Wenn man den Mund aufmacht, macht man sich zur Zielscheibe." Dem ARD-Magazin "Brisant" sagte Ofarim in einem Interview am Mittwochmorgen, er habe bisher keine Entschuldigung vom Hotel erhalten.

Was sagen andere Jüdinnen und Juden zum Thema Antisemitismus in Deutschland?

"Der antisemitische Vorfall im Westin Hotel Leipzig hat erneut gezeigt, wie verbreitet Antisemitismus in allen gesellschaftlichen Milieus ist, und dass Jüdinnen und Juden mit diesem überall im Alltag konfrontiert werden", sagte die Vorsitzende der Jüdischen Studierendenunion, Anna Staroselski, der "Rheinischen Post". Sie erlebten Judenhass in der Schule, Uni, U-Bahn oder auf der Straße. In den letzten Jahren sei ein Anstieg antisemitischer Taten und Äußerungen zu verzeichnen.

Nur einige der berichteten Episoden: Mitschüler hätten gewitzelt, er würde sicher gut im Ofen brennen, schreibt der User. Ein Bekannter habe ihm zum 17. Geburtstag eine Sektflasche geschenkt, auf deren Etikett er "Zyklon B" geschrieben hatte. Die Teilnehmer eines Junggesellenabschieds hätten ohne Scham und mitten im belebten, öffentlichen Raum mit Hitlergruß auf ihn reagiert, als er einmal eine Kippa trug.

Ein älterer Herr habe ihn angeherrscht, er solle dahin zurückgehen, wo er herkomme. Arbeitskollegen und ein Chef hätten ihm gegenüber Verschwörungstheorien verbreitet und den Holocaust geleugnet. Wenn er koscher esse, werde er ausgelacht. Spreche er Antisemitismus an, reagierten die Leute genervt.

Das Fazit des Users: "Antisemitismus ist kein Randphänomen. Es sind nicht nur Nazis und Islamisten. Leider sind es oft Menschen mit Migrationshintergrund. Aber genauso oft sind es ganz normale Franks und Annas, die nach dem vierten Bier anfangen, Judenwitze zu reißen. Und die Leute gibt es auch in eurem Umfeld. Vielleicht merkt ihr es nicht. Vielleicht wollt ihr das auch einfach übersehen. Aber sie sind da. Überall."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Mit Informationen der Nachrichtenagentur dpa
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