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Erftstadt ein Monat nach der Flut – "Wir können nicht einfach loslassen"


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Anwohner bauen Erftstadt wieder auf
Ein Monat nach der Flutkatastrophe: "Die ganze Existenz ist weg"

T. Christ, D. Sommerfeld, S. Klemm

Aktualisiert am 19.08.2021Lesedauer: 7 Min.
Waltraud und Günter Groten: Das Ehepaar wurde am 16. Juli mit einem Hubschrauber von seiner Garage gerettet. Ihr Haus befindet sich knapp hinter der Abbruchkant von Erftstadt-Blessem.Vergrößern des Bildes
Waltraud und Günter Groten: Das Ehepaar wurde am 16. Juli mit einem Hubschrauber von seiner Garage gerettet. Ihr Haus befindet sich knapp hinter der Abbruchkant von Erftstadt-Blessem. (Quelle: Sebastian Klemm / Dominik Sommerfeld)
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In Erftstadt hat die Flut Mitte Juli einen Teil des Ortes weggerissen. Einen Monat nach der Katastrophe kämpfen die Anwohner rund um die Abbruchkante in Blessem noch immer mit dem Chaos – und den traumatischen Erinnerungen.

Am 14. Juli kam das Hochwasser nach Erftstadt-Blessem. Die Stadt im Rhein-Erft-Kreis gehört zu den Orten, die am härtesten von der Katastrophe getroffen wurden. Das Wasser riss einen riesigen Krater in den Ort, Bilder des Unglücks gingen um die Welt.

Häuser und Autos wurden von den abrutschenden Erdmassen mitgerissen, Autobahn 1 und Bundesstraße 265 überspült. Auch jetzt, einen Monat nach der Flutkatastrophe gleicht der Ort einem Kriegsgebiet. In den Straßen türmt sich Unrat, Bagger rollen durch die Straßen.

t-online-Reporter Tobias Christ hat hier Menschen getroffen, deren Leben die Flut für immer verändert hat.

Radmacherstraße 12: Ein Haus wird beerdigt

Wie eine Blume zerpflückt der Bagger den Dachstuhl. Immer weiter frisst sich der Greifarm in das Haus an der Radmacherstraße 12 hinein. Mehr als 100 Jahre hat das weiße Gebäude mit dem hübschen grünen Eingangstor überlebt. Aber die Folgen des Hochwassers waren zu viel.

Lange Risse ziehen sich durch das Mauerwerk, das nicht mehr standsicher ist und abgebrochen werden muss. Drei weitere Gebäude auf dieser Straßenseite sind bereits beseitigt worden, dieses Haus ist das vorerst letzte.

Thomas Hillebrandt bezeichnet sich als Pragmatiker, als Mann der Fakten. Jetzt geht dem Wissenschaftsjournalisten das wachsende Loch im Dach seines Hauses aber doch an die Nieren. "Scheiße alles", sagt der Mann mit der Sonnenbrille und dem kahlrasierten Kopf. "Das tut doch ein bisschen weh, weil ich jeden Ziegel mit Namen kenne."

Zeitlang wohnte der 61-Jährige mit seinen Kindern selbst in dem alten, aber kürzlich noch aufwendig renovierten Gebäude, zuletzt waren beide Wohnungen vermietet. An den Tagen der Katastrophe befand sich die Familie mit den beiden Kleinkindern im Urlaub. Der Mieter im Obergeschoss war zu Hause, als der Pegel stieg und sich die nahegelegene Kiesgrube durch die Wassermassen der Erft zu einem riesigen Loch ausweitete.

Mieter sah, wie vier Häuser mitgerissen wurden

Hillebrandt bekam mit, wie in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli an der Straßenseite gegenüber mit riesigem Krach vier Häuser in die Tiefe gerissen wurden. Unterhalb seines Hauses habe die Abbruchkante Pause gemacht, berichtet er. Quasi in letzter Sekunde: "Genau vor der Toreinfahrt blieb sie stehen."

Der Mieter wurde rechtzeitig evakuiert, konnte später aber nur ein paar persönliche Gegenstände aus der Ruine holen. So ging es auch anderen Anwohnern. Manchmal hält der Baggerfahrer an diesem Vormittag inne, um Spielzeug oder Handtücher aus den Trümmern der Radmacherstraße zu ziehen. Es sind kleine Gesten der Menschlichkeit inmitten des Chaos.

Zum Glück sei niemand ums Leben gekommen, meint Hillebrandt. Und doch spricht er von einer Beerdigung – der seines Hauses. "Die Beerdigung ist wichtig, um auch mit der Trauer abzuschließen und nach vorne zu schauen", sagt der Erftstädter, jetzt wieder ganz Pragmatiker.

Er wolle ein neues Gebäude bauen lassen, diesmal hochwassersicher. Das Haus gehöre schließlich zu seiner Altersvorsorge. Er tue es aber auch für die Mieter, die wieder zurückwollten – und für die Radmacherstraße, die eines Tages wieder so idyllisch sein soll wie früher. Und: So schnell werde es kein Hochwasser wie dieses mehr geben. Da ist sich Thomas Hillebrandt sicher.

Radmacherstraße 3: Ein ungutes Gefühl, eines Tages wieder hier zu leben

Eigentlich könnten Waltraud und Günter Groten von Glück reden, dass sie jetzt in einer Baustelle stehen dürfen. Ein freiwilliger Helfer hämmert lautstark Dichtmaterial von einer Wand, auf der Straße lärmt ein Abbruchbagger, in der Badewanne klebt noch der Schlamm des Hochwassers.

Mehrere Häuser in der direkten Umgebung müssen jetzt wegen akuter Einsturzgefahr abgerissen werden. Das Heim von Waltraud und Günter Groten an der Radmacherstraße 3 blieb stehen, sie dürfen hier sogar wieder wohnen.

"Was heißt Glück?", sagt Waltraud Groten. "Mama, das kann immer wieder kommen", habe ihr Sohn gesagt. Auch sie habe ein ungutes Gefühl, eines Tages wieder hier zu leben. Was, wenn sich das Hochwasser wiederholt?

Rippenbruch bei der Hubschrauber-Rettung

Am 16. Juli wurden Waltraud und Günter Groten vom Dach ihrer Garage mit einem Hubschrauber gerettet. Das Wasser stand im Erdgeschoss mehr als einen Meter hoch. Beim Hochziehen wurde Waltraud Groten eine Rippe gebrochen, weil das Seil in einer Wetterfahne hängen blieb. Fünf Tage lag sie im Krankenhaus. Schmerzen habe sie noch immer. Dazu kommen die kreisenden Gedanken. "Die Geschehnisse kommen immer wieder hoch, man muss sich so zusammenreißen", so die 77-Jährige. Ihr Mann wacht in der Nacht immer wieder auf: "Da läuft immer so ein Film", sagt er.

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Bäume und Tiere fielen dem Wasser zum Opfer

Das Ehepaar geht zum Bauzaun hinter dem Haus. Vor der Katastrophe fing hier der Garten erst an und reichte bis zum benachbarten Pferdehof. Doch das Grundstück ist der Abbruchkante zum Opfer gefallen, mittlerweile wurde ein Teil des Geländes wieder mit Sand aufgeschüttet. "Wir hatten da einen Apfelbaum stehen", sagt Waltraud Groten. Auch einen Pflaumenbaum, eine Eiche, einen Kirschbaum und einen Taubenschlag. 86 Tauben hatte ihr Mann einmal, 69 davon haben das Unglück nicht überlebt.

Günter Groten, ein drahtiger 79-Jähriger mit Baseballkappe, wollte dem Statiker zunächst spontan sein Haus schenken, als der ihm sagte, das Haus sei bewohnbar. "Weil ich gedacht habe: Dieses schwere Unglück und wer weiß, was danach noch kommt." Aber was seien die Alternativen? "Ziehst du zur Miete um, kaufst du eine Eigentumswohnung?" Aber wo gebe es die? Und wovon bezahlen? "Wir sind nicht versichert."

Und dann die ganzen Erinnerungen. In den 1960er Jahren baute der Rentner das Haus selbst auf. 10.000 Klinker seien von ihm persönlich vermauert worden. Zwei Söhne sind hier aufgewachsen. Günter Groten entschied, zu bleiben.

Also baut das Ehepaar sein Haus jetzt wieder auf. Bezahlt aus eigener Tasche, aber mit Unterstützung vieler ehrenamtlicher Helfer, denen die Grotens das Bundesverdienstkreuz verleihen würden, wenn sie könnten. Werden sie sich nochmal wohlfühlen hier? Waltraud Groten überlegt: "Ich weiß es nicht, ich glaube es nicht. Man hat immer ein mulmiges Gefühl." Ihrem Mann zuliebe will sie dennoch zurückkehren: "Was will ich denn machen, ich kann ihn ja nicht alleine lassen."

Frauenthaler Straße 118b: "Die ganze Existenz ist weg"

Thorsten Müller (Name geändert) steht auf der Terrasse seiner Gaststätte an der Frauenthaler Straße und zündet sich eine Zigarette an. "Zur kleinen Rast" heißt die Gastronomie mit Blick auf eine Pferdekoppel, hinter der sich die Erft wieder als das harmlose Flüsschen geriert, als das sie bis zum 14. Juli bekannt war. Nach dem Hochwasser durfte der Pächter lange nicht zurückkehren. Was er dann vor einigen Tagen zu sehen bekam, "war nicht berauschend". Dreiviertel des Inventars sei zerstört, Kühlschränke, andere Elektrogeräte: "Die ganze Existenz ist weg und wir haben keine Versicherung."

Es ist der vorläufige Tiefpunkt einer emotionalen Achterbahnfahrt, die Thorsten Müller und seine Partner in letzter Zeit zu bewältigen hatten. "Wir haben das Ding letztes Jahr 14 Tage vor Corona übernommen", sagt der 46-Jährige. Anspruch auf staatliche Unterstützung gab es während der Lockdowns nicht, "wir haben versucht, uns mit einem kleinen Lieferdienst über Wasser zu halten". Als es wieder möglich war, konnte das Restaurant wieder öffnen. Vier Wochen lang. Dann kam die Flut.

"Wir können nicht einfach loslassen"

Thorsten Müller hat derzeit kein Einkommen, finanziell ist er auf seine Familie angewiesen. Auf die Frage, ob er darüber nachgedacht habe, die "kleine Rast" nicht wieder zu eröffnen, antwortet er schnell: "Ja. Man hadert sehr oft mit dem Schicksal." Und dennoch soll es nun irgendwie weitergehen. "Wir haben so viel Mühe und Zeit hier reingesteckt, dass wir nicht einfach loslassen können."

Auf der Terrasse stehen Getränkeflaschen auf Paletten und Suppenterrinen auf einem Tisch. Obwohl sie selbst auf Spenden angewiesen sind, um ihre Küche wieder in Gang zu bringen, wollen Thorsten Müller und sein Team etwas für die anderen Opfer der Katastrophe tun. Deshalb verteilen sie gespendete Lebensmittel.

"Wir wollen das Dorf nicht im Stich gelassen", sagt der Gastronom: "Es geht nicht, immer nur an sich zu denken." Von offizieller Seite komme übrigens keine Unterstützung, alles passiere auf private Initiative, sagt er: "Von der Stadt kommt gar nichts, nicht mal eine Flasche Wasser."

Mit der Spendenaktion will sich Thorsten Müller auch ein bisschen ablenken von seiner Misere. "Wenn Sie 24 Stunden nur darüber nachdenken würden, könnten Sie verrückt werden." Einfach sei sein Leben derzeit nicht. Doch seine "kleine Rast" soll wieder öffnen. Weggehen sei keine Alternative, sagt Thorsten Müller: "Dazu haben wir zu lange gekämpft."

Klaus-Schäfer-Straße 8: "Ich bin sofort losgedüst"

Auf dem Gelände der Kirche St. Michael verteilen Freiwillige Suppe und Getränke an Menschen, die vor lauter Wiederaufbau keine Zeit zum Kochen haben. Lisa Grünwald sitzt unter einem kleinen Zeltpavillon und regelt die Übergabe ihres Aufgabenbereichs an eine Kollegin. Bis vor zwei Wochen wusste sie nichts von Erftstadt-Blessem, nun kann sie sich nur schwer trennen.

Eigentlich kommt sie aus dem Schwarzwald. Nachdem sie ihren Job als Erzieherin gekündigt hatte, ging sie mit Hündin Selda und eigenem Transporter auf Europa-Tour. Die 26-Jährige befand sich in Spanien, als sie von der Hochwasserkatastrophe in Deutschland hörte. "Den Urlaub konnte ich einfach nicht mehr genießen", sagt sie: "Ich habe nur gehört, dass hier Hilfe gebraucht wird und dann bin ich losgedüst."

Zunächst kümmerte sich Lisa Grünwald in einer Lagerhalle um Sachspenden. Danach war sie am "Infopoint" an der Kirche für die Koordination der Helfer zuständig. Freiwillige dorthin lotsen, wo sie gebraucht werden – das war ihr Job.

Es ging um Menschen wie Sabine aus Pulheim, die an diesem Mittag mit einem Bollerwagen Muffins und Kaffee an die Haustüren des Orts bringt und sich wünscht, dass "die Leute hier nicht in ein, zwei Wochen vergessen werden". Es ging um Menschen wie den 28-jährigen Jonathan, der als Polizist leerstehende Häuser vor Plünderungen schützt, aber jetzt im Haus von Franz Hick zusammen mit Kollegen Putz von den Wänden stemmt: "Wenn wir auftragslos sind, dann suchen wir uns Arbeit", so der Polizeikommissar aus Düsseldorf.

"Das sind ganz tolle Leute hier", so Lisa Grünwald. Mittlerweile habe sie in Blessem Freundschaften geschlossen. Ihr Job als Helfer-Koordinatorin endet an diesem Mittag. Weiterfahren in andere Hochwassergebiete will die junge Frau aber vorerst nicht: "Ich kann noch nicht ganz loslassen, ich glaube, ich werde noch ein bisschen beim Ausräumen der Häuser helfen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Gespräche vor Ort
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