Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Impfprozess gestört Astrazeneca-Muffel leisten sich einen unsolidarischen Luxus
Während Millionen Menschen auf eine Impfung gegen das Coronavirus warten, verschmähen manche den Impfstoff von Astrazeneca. Das muss man sich erstmal leisten können, findet t-online-Autorin Johanna Tüntsch.
Nun wurde also für Astrazeneca die Priorisierung aufgehoben, weil Hausärzte den Impfstoff an die priorisierten Gruppen nicht loswurden: kein Interesse. Dafür kann man mit Blick auf die wechselnden Nachrichten zu diesem Mittel Verständnis haben – doch man kann auch hinterfragen, ob dieses Zögern wirklich angemessen ist. Immerhin darf man voraussetzen, dass Hausärzte ihre Patienten kennen und diesen Impfstoff genauso wie jedes andere Medikament nur denen verabreichen, bei denen keine medizinischen Bedenken bestehen.
Wenn trotz der ärztlichen Empfehlung das Impfangebot nicht angenommen wird und man lieber auf einen (vermeintlich) besseren Impfstoff wartet, dann sagt viel darüber aus, wer – aber das war schon bekannt – zu diesem privilegierten Personenkreis gehört: Menschen, die nicht mehr dem Zwang unterworfen sind, Tag für Tag die Geborgenheit ihrer vier Wände zu verlassen, um arbeiten zu gehen.
Ein paar Wochen länger Einschränkungen hinzunehmen, macht für sie keinen lebensentscheidenden Unterschied. Überhaupt, die Einschränkungen. Wenn die nicht aufgehoben werden für Geimpfte, lohnt sich dann die Impfung überhaupt? Was hat man schon davon, geimpft zu sein, wenn weiterhin Museen, Geschäfte und Konzerthäuser geschlossen sind?
Wer den Impfstoff nicht will, zieht den gesamten Impfprozess künstlich in die Länge
Da kann man doch wirklich besser warten. Ja, das kann man, wenn man sich den Luxus einer unsolidarischen Unverschämtheit erlauben möchte. Denn nichts anderes ist es, wenn diejenigen, die bei der Impfung priorisiert werden, weil es mit all den Einschränkungen nicht zuletzt darum geht, genau ihre besonders empfindliche Gesundheit zu schützen, sich erdreisten, den gesamten Impfprozess künstlich in die Länge zu ziehen.
Was die Aufhebung der Priorisierung von Astrazeneca bedeutet, kann man unschwer voraussehen: Diejenigen, die sich im Alltag am wenigsten dem Risiko einer Infektion entziehen können, werden das Angebot annehmen. Das sind aber in großen Teilen genau diejenigen, für die der Impfstoff bislang nur eingeschränkt empfohlen wurde – Menschen mittleren Alters.
Wer sich täglich anstecken kann, für den zählt jeder Tag
Eine Kassiererin, die im Supermarkt jeden Tag mit Hunderten von Kunden Kontakt hat, kann sich, wenn sie nach Feierabend außerdem als alleinerziehende Mutter ihre Kinder versorgen muss, schlichtweg nicht leisten, wochen- oder gar monatelang durch Covid-19 und Long-Covid auszufallen. Dann doch lieber eine Impfung mit Astrazeneca, und das lieber heute als morgen: Wer sich täglich anstecken kann, für den zählt in Sachen Impftempo jeder Tag.
Trotzdem bleibt ein bitterer Nachgeschmack angesichts der Tatsache, dass so viele derer, für die dieser Stoff uneingeschränkt empfohlen wurde, sich auch um den Preis einer längeren Wartezeit auf Biontech & Co. kaprizieren – nicht zuletzt deswegen, weil sie die "Vorteile für Geimpfte" ohnehin überschaubar finden. Hat man sich einmal in der unsolidarischen Unverschämtheit häuslich eingerichtet, ist es leicht, diese Sichtweise zu vertreten.
Doch zur Information dieser Astrazeneca-Verweigerer sei gesagt: Es ist ein Vorteil, geimpft zu sein. Der Vorteil besteht darin, dass man vermutlich nicht Corona-krank in einer Intensivstation ersticken wird. Diesen Vorteil eines vollständigen Impfschutzes haben derzeit 8,6 Prozent der Menschen in Deutschland. Heißt im Umkehrschluss: 93,4 Prozent der Menschen haben diesen Vorteil nicht. Angesichts dieser Tatsache scheint die Frage nach "Vorteilen für Geimpfte" wie echter Hohn.
- Eigene Beobachtungen