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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Für mich ist Hochdeutsch eine Fremdsprache" Bestatterfamilie bietet Beerdigungen auf Kölsch an
Bei Hildegard und Philipp Kling finden Verstorbene ihre letzte Ruhe auf besondere Art, nämlich auf Mundart. Über Angehörige, die Bestattungen vergessen und Selfies am Grab.
Philipp Kling ist kein Mann der lauten Worte. Aber wenn es um Sprache geht, wird er deutlich: "Für mich ist Hochdeutsch eine Fremdsprache. Ich habe dann immer so ein bisschen das Gefühl, dass meine Zunge anschwillt", sagt er. Kling ist in Köln-Kalk aufgewachsen.
"Damals war es so: Wenn man eingeschult wurde, dann wurde erst mal ein Jahr lang Deutsch gelernt, weil die Lehrer einen nicht verstehen konnten." Kölsch war die "Amtssprache", die im Veedel galt. "Diese Generation stirbt jetzt nach und nach weg", sagt er. "Wir haben aber alle an dem alten Köln gehangen."
Besondere Beisetzung: Tünnes un Schääl am Grab
Dem Verschwinden des geliebten Dialekts wollen Philipp Kling und seine Ehefrau Hildegard etwas entgegensetzen. In ihrem Familienbetrieb bieten sie deshalb Bestattungen auf Kölsch an. "Op kölsche Aat en kölsche Ääd", das ist ihr Motto. Auf kölsche Art unter die kölsche Erde.
Die besondere Beisetzung ist auf verschiedenen Weisen möglich – mit Blumenbouquet in "rut und wiess", mit einem Sarg mit Köln-Panorama, mit "Tünnes un Schääl"-Figuren oder dem Geißbock am Grab. "Brings" könnte aus den Boxen schallen, oder eben der Trauerredner mit Dialekt sprechen.
30 Prozent aller Bestattungen seien komplett "op Kölsch", sagt Hildegard Kling. "Aber es gibt auch weiche Übergänge. Dann heißt es zum Beispiel: 'Bitte klassische Trauermusik, aber einige Gedichte auf Kölsch' oder 'Rede hochdeutsch, aber ich will rut-wiess in der Dekoration.'"
Das, was die Person ausmachte, rückt in den Vordergrund
Kling kommt gebürtig aus dem Münsterland. Für Fußball und den FC, sagt sie, interessiere sie sich genauso wenig wie ihr Mann. Aber die beiden wissen, wie sie einem "Effzeh"-Fan auf schöne Weise die letzte Ehre erweisen können. Ihr Hauptanliegen in den Gesprächen mit Angehörigen: herausfinden, was die verstorbene Person ausgemacht hat und was davon bei der Trauerfeier in den Vordergrund gestellt werden soll.
Zwar könnte Kling die Planung der Beerdigung komplett selbst gestalten, aber sie ermutigt die Angehörigen, die Dinge in die eigene Hand zu nehmen. "Viele Menschen sind froh, wenn sie sich persönlich einbringen können", sagt sie.
Für den Schornsteinfeger bastelt der Bestatter ein Aluminium-Bein
Im Familienbetrieb ist Hildegard Kling für die kaufmännische und psychologische Seite der Bestattungen zuständig, ihr Mann Philipp für die praktische. Als Thanatopraktiker balsamiert er die Verstorbenen ein und präpariert sie für einen würdevollen Abschied.
Eine Beerdigung sei den Angehörigen besonders gut in Erinnerung geblieben – wegen eines wichtigen Details, das Philipp Kling beigesteuert hat. "Ein Schornsteinfegermeister war verstorben. Als wir ihn abgeholt hatten, fiel uns auf, dass sein linkes Bein amputiert war", erinnert sich Kling.
"Der Mann sollte schornsteinfegermäßig angezogen werden – mit Jacke, weißem Tuch, Zylinder und weißen Handschuhen. Aber es fehlte das Bein." Also formte der Kölner kurzerhand eine Prothese aus Aluminiumfolie, besorgte Hose und Socken. "Die Angehörigen waren ganz begeistert."
Kölsche Beerdigungen sind immer maßgeschneidert
Früher hat Philipp Kling auch noch die Trauerreden selbst gehalten. Heute ist Thomas Noll dafür zuständig. Noll wurde vor drei Jahren über eine Zeitungsanzeige auf den Familienbetrieb aufmerksam. Der pensionierte Lehrer macht schon seit vier Jahrzehnten Stadtführungen auf Kölsch, war Guide bei Hafenrundfahrten und Brauhaustouren. "Ich wollte mal was anderes machen", sagt er zu seiner Motivation.
Viele ältere Verstorbene seien mit Kölsch aufgewachsen. "In meiner Zeit war das aber verpönt. Meine Mutter hat immer gesagt: 'Sprich nicht so viel Kölsch, das ist ordinär'", erinnert sich Noll. "Dann wurde die Sprache salonfähig durch Bands wie die Bläck Fööss und die Höhner, auch durch die Literatur. Viele ältere Leute waren im Karnevals- und Sportverein. Für die ist Kölsch ein Seelenbestandteil."
Bei der Beerdigung ein Kölschglas ins Grab hinabgelassen
Für den Trauerredner ist der Job zeitaufwendig. Die To-do-Liste ist vor jeder Beerdigung lang: ausführliche Gespräche führen – erst per Telefon, dann persönlich, Gedanken und Erinnerungen sortieren und auf Kölsch übersetzen, den ersten Entwurf schreiben, Änderungswünsche aufnehmen und dann erst: die Rede halten.
Dabei sei Noll besonders wichtig, dass die Angehörigen zwar loslassen könnten, aber auch, dass die Erinnerungen in ihnen weiterlebten. Die kölsche Sprache, die nicht nur karnevalistische und klamaukige Töne, sondern auch melancholische anschlagen könne, helfe dabei, sagt der Trauerredner.
Ein bisschen Spaß gehöre aber auch dazu. "Ich habe mal erlebt, dass ein Professor der Ethnologie mit 70 starb. Bei der Beerdigung auf Melaten wurde ein Kölschfässchen angekarrt und es gab für jeden ein Glas", erinnert sich Noll. "Sie haben sogar ein Kölschglas ins Grab hinabgelassen."
Selfies mit Verstorbenen machen, um Abschied zu nehmen
Überhaupt gebe es häufig kuriose Beerdigungen: Da können auch die Klings aus dem Nähkästchen plaudern. "Alles war gemacht. Alle waren da. Nur die Angehörigen nicht", denkt Hildegard Kling schmunzelnd an eine Zeremonie zurück. "Die haben den Termin vermasselt. Dann hat der Trauerredner – es war nicht Herr Noll – die Rede alleine am Grab gehalten. Ich habe es gefilmt und den Angehörigen geschickt." Als diese merkten, dass sie die Beerdigung verpasst hatten, hätten sie "verstört" reagiert.
Weil den Klings auch andere Kulturen und Religionen willkommen sind, hätten sie auch schon zum Beispiel eine Beisetzung für Angehörige der Sikh-Religion veranstaltet. Auch Russlanddeutsche seien häufig Kunden. Diese würden auch gern am offenen Sarg Abschied nehmen, erklärt Hildegard Kling. "Dann stellen sich die Angehörigen zum Verstorbenen und machen ein Fotoshooting mit der Person. Da merkt man richtig, dass es eine eigene Kultur ist. Das ist nichts Anstößiges."
Jeder nach seiner Fasson, aber keiner mit KI
Wie auch immer die Beerdigung aussieht – "Jeder soll nach seiner Fasson selig werden", sagt Kling. Aber auch für sie gibt es Grenzen. Immer häufiger bekäme die Familie Anfragen, die Trauerreden von einer KI schreiben zu lassen. Das werde kategorisch abgelehnt, sagt sie.
"Wir leisten uns den Luxus, menschlich an die Sache heranzugehen. Das mag geschäftlich nicht so schlau sein, aber macht eine Zufriedenheit auf einer anderen Ebene." Und den Verstorbenen, egal ob kölsch geprägt, Sikh oder passionierter Schornsteinfeger, wird auf würdevolle Weise die letzte Ehre erwiesen.
- Gespräch mit Familie Kling und Thomas Noll