Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Debatte um Kölner Karnevalssong Niemand will dieses Schnitzel verbieten
Ein angeblich Fleischkonsum verherrlichender Song erregt die Gemüter – und zeigt, wie einfach sich eine "Was darf man noch sagen?"-Debatte entzünden lässt.
Zwischen dem 6. und dem 30. Januar liegen rund drei Wochen. Drei Wochen, in denen das mittlerweile zum "Schnitzel-Song" verkürzte Lied "Et letzte Schnitzel" des Duos "Zwei Hillije" ("Zwei Heilige") in Kölns Kneipen und Brauhäusern ein ziemlich unaufgeregtes Schattendasein führte. So lange nämlich wird der Song bei den lokal sehr beliebten "Loss mer singe"-Abenden schon gespielt, als Teil des Wettbewerbs für die besten Karnevalslieder der Session 2023. Niemand in Köln redete darüber, es gab keinen Aufschrei von Vegetariern oder Veganern in den sozialen Medien, es gab keine öffentlich bekannt gewordenen Beschwerden gegen den "Loss mer singe"-Veranstalter, dass man das Lied gefälligst aus dem Repertoire zu nehmen habe.
Bis zum vergangenen Samstag – denn dann war sie plötzlich da: die "Debatte". Hier ganz bewusst in Anführungszeichen gesetzt, denn sie ist eigentlich vollkommen konstruiert und ein wahres Lehrstück der gegenwärtigen Empörungskultur.
Kommt als Nächstes der "Piloten-Song"?
Dass eine Lokalzeitung offenbar ganze zwei Beschwerden von verärgerten Kneipenbesuchern zum Anlass nahm, über den angeblich polarisierenden Song zu berichten, zeigt, wie einfach es ist, in diesen aufgeregten "Was darf man überhaupt noch sagen?"-Zeiten Aufmerksamkeit zu bekommen. Man schreibt einen Song zu einem Reizthema, irgendwann wird irgendein Medium darauf aufmerksam, berichtet über die Kritik der beiden Besucher, macht daraus in der Überschrift eine "Diskussion", andere (auch t-online) springen auf und los geht die "Debatte" – und die PR-Rakete.
Denn die Künstler von "Zwei Hillije" haben die Anfragen der Medien natürlich auch dankend angenommen. "Wir wollten bewusst reinpiksen und polarisieren", haben sie im Gespräch mit t-online gesagt. Anstatt also bei der Anfrage der Lokalzeitung dankend abzuwinken und darauf hinzuweisen, dass sich ja lediglich zwei Gäste empört haben, gaben sie gerne Auskunft zu ihrem Song und Standpunkt. Und der lautet: Im Karneval sollte so ein bisschen Humor doch erlaubt sein, auch wenn es richtig und wichtig sei, den Fleischkonsum zu reduzieren. Und so sehen es übrigens wohl auch die meisten Vegetarier, denn die bleiben bei der ganzen Social-Media-Aufregung erstaunlich still.
Die Quintessenz ist also: Hier sorgen sich gerade Tausende (mal wieder) öffentlich um ihre Meinungsfreiheit, weil sich zwei unbekannte Kneipenbesucher in Köln über ein angeblich fleischverherrlichendes Liedchen beklagt haben – und diese Beschwerde irgendwie in den Medien gelandet ist. Dabei waren die Meinungsfreiheit und der Charakter des Karnevals nie in Gefahr. Das alles ist in einer Woche wieder vergessen – bis vielleicht der "Piloten-Song" um die Ecke kommt, der angeblich das Fliegen verherrlicht. Dann können wir uns alle wieder empören: "Was darf man denn überhaupt noch sagen?" Im Kölner Karneval offensichtlich noch (fast) alles – es sei denn, man möchte bundesweite Aufmerksamkeit.