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Lützerath: Fridays for Future-Aktivisten kämpfen gegen die Kohlebagger


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Enttäuscht von den Grünen
Der Schock von Lützerath

Von Tobias Christ

Aktualisiert am 07.10.2022Lesedauer: 4 Min.
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Klimaaktivisten wollen verhindern, dass das Dorf abgebaggert wird. (Quelle: t-online)
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Lützerath muss weg – so der Plan der Bundesregierung. Die Kohle aus dem Gebiet wird dringend benötigt. Klimaaktivisten kämpfen dagegen.

Wann es losgeht, weiß hier niemand. Aber dass es bald passiert, gilt seit Dienstag als so gut wie sicher. Lützerath, der Weiler zwischen Düsseldorf und Aachen am Rande des Braunkohlereviers Garzweiler II, soll den riesigen Tagebaubaggern zum Opfer fallen. Das haben der Stromkonzern RWE, das Bundeswirtschaftsministerium und das NRW-Wirtschaftsministerium in dieser Woche gemeinsam bekannt gegeben.

Fünf Dörfer und drei Höfe drumherum sollen, anders als befürchtet, stehen bleiben. 280 Millionen Tonnen Kohle würden nicht ausgebaggert, weil schon 2030 anstatt 2038 die Braunkohleverstromung in Nordrhein-Westfalen enden werde, so die offiziellen Mitteilungen. Aber ausgerechnet Lützerath, wo seit zwei Jahren Klimaaktivisten gegen Garzweiler II mobil machen, könne nicht gehalten werden. Die darunter liegende Kohle werde gebraucht, "um die Braunkohlenflotte in der Energiekrise mit hoher Auslastung zu betreiben und gleichzeitig ausreichend Material für eine hochwertige Rekultivierung zu gewinnen", teilte RWE mit.

Klimaaktivisten: Eine Grenze, die nicht überschritten werden darf

Ronni Zepplin führt über die Wiese hinter dem ehemaligen Hof von Landwirt Eckhardt Heukamp. Der letzte Bewohner Lützeraths weigerte sich lange, sein Grundstück an RWE zu verkaufen. Nach einer Niederlage vor dem Oberverwaltungsgericht Münster tat er es in diesem Jahr schließlich doch. Die Klimaaktivisten, denen er sein Gelände zur Verfügung stellte, sind geblieben. Auch auf seinem Hof wohnen nun einige von ihnen. Für sie ist Lützerath die Grenze, die auf dem Weg zur international vereinbarten maximalen Erderwärmung von 1,5 Grad nicht überschritten werden darf.

Nach der Entscheidung vom Dienstag habe es im Protestcamp eine Vollversammlung gegeben, berichtet Ronni Zepplin, Sprecherin der Initiative "Lützerath lebt". Es sei auch um "weitere Blockadetechniken gegen RWE" gegangen. "Wir gehen davon aus, dass jetzt jederzeit eine Räumung passieren könnte, darauf bereiten wir uns vor." Die aktuellen Entwicklungen hätten nicht für Unruhe im Camp gesorgt, vielmehr für Aufbruchstimmung und Tatendrang.

Keine Angst vor körperlichen Auseinandersetzungen

Die 25-Jährige aus der Nähe von Kassel lebt seit zwei Jahren ununterbrochen im Protestcamp, das aus selbst gebauten Holzhütten und Zelten besteht. Vor einem Dreivierteljahr hat sie ihr eigenes Baumhaus am Rande der Wiese gezimmert. Wie weit sie im Ernstfall gehen würde, weiß sie genau: "Ich würde mich aus meinem Baumhaus räumen lassen, wenn es so weit ist." Falls nötig, würde sie sich auch anketten. Körperlichen Auseinandersetzungen werde sie nicht aus dem Weg gehen.

Sie hoffe, dass der Protest ähnliche Dimensionen annimmt wie einst im Hambacher Forst, den die Anti-Kohlekraft-Bewegung erfolgreich gegen den Tagebau verteidigte: "Wenn es losgeht, werden hier sehr, sehr viele Leute herkommen." Bei einer Unterschriftenaktion hätten schon rund 10.000 Menschen zugesagt, zivilen Ungehorsam zu leisten. "Es geht uns nicht nur um das Dorf, es geht um die Klimakatastrophe als existentielle Bedrohung der Menschheit."

Der vorzeitige Ausstieg aus der Braunkohle reicht den rund 150 dauerhaft in Lützerath lebenden Aktivisten nicht aus. Ihnen geht es um ein Wirtschaftssystem, das nicht auf Kosten der Menschen im globalen Süden funktioniert, die unter dem Klimawandel besonders zu leiden haben. Anstatt den Energieverbrauch zu senken, werde er aber immer weiter erhöht, sagt David Dresen von "Alle Dörfer bleiben", einem Bündnis aus Betroffenen aller Braunkohlereviere Deutschlands.

Die Folge sei, dass "sich die grüne Regierung gezwungen sieht, einen Tagebau zu vergrößern, damit sie nichts am grundsätzlichen Stromsystem ändern müssen". Das Argument der Versorgungssicherheit lässt er nicht gelten: "Ich weiß nicht, ob zur Versorgungssicherheit gehört, dass VW morgens um 4 Uhr produzieren kann."

Kohleförderung an anderer Stelle zu teuer

Gerade von den Grünen fühlen sich die Aktivisten im Stich gelassen. Sowohl das nordrhein-westfälische als auch das Bundeswirtschaftsministerium werden von Grünen geführt. Die Mitteilung vom Dienstag habe er deshalb als Schock empfunden, sagt David Dresen: "Weil ich natürlich schon den Wunsch hatte, dass eine grüne Regierung andere Entscheidungen trifft als eine Vorgängerregierung aus Schwarz-Gelb. Für uns war klar, die Grünen werden sich dafür einsetzen, dass das Dorf bleibt." Generell sei es nämlich möglich, auch südlich und nördlich von Lützerath Kohle zu fördern, auch wenn das kostspieliger sei.

"Für eine Befriedung der Region wäre das das Mindeste gewesen, was die Grünen hätten rausholen können. So haben sie das gemacht, was der Konzern will", sagt David Dresen, der auch sonst vom Ergebnis enttäuscht ist: "Wir steigen acht Jahre früher aus der Kohle aus, aber die nächsten zwei Jahre laufen erst mal Kraftwerke länger, als sie eigentlich gedurft hätten."

Klimaschutz und persönliche Verbindungen

Der 31-Jährige ist an diesem Nachmittag mit dem Fahrrad nach Lützerath gekommen. Denn er wohnt nicht im Protestcamp, sondern im Nachbarort Kuckum, das nun von den Riesenbaggern verschont bleibt. Hier ist er aufgewachsen, hier lebt er auf dem Hof seiner Eltern. Auch Lützerath kenne er schon immer. Daher habe er auch jenseits des Klimakampfes eine Beziehung zum Dorf.

Gegen die bevorstehende Räumung würden sich die "Alle Dörfer bleiben"-Aktivisten aber moderater wehren als offenbar so mancher Bewohner des Protestcamps. Sich anzuketten sei nicht die Protestform, zu der die Menschen in der Gegend bereit seien: "Sie wollen sich schützend vor das Dorf auf die Straße setzen."

Ein Ehepaar aus der Nähe von Moers hat das schöne Herbstwetter genutzt, um an diesem Tag einen spontanen Ausflug nach Lützerath zu unternehmen. Beide machen Fotos von dem riesigen Tagebau-Krater, der sich nur 100 Meter vom Symbol-Dorf entfernt auftut. Und sie machen sich Gedanken. "Die richtige Antwort gibt es nicht", sagt der über 60-Jährige, der seinen Namen nicht verraten will. "Ich möchte natürlich, dass die Landschaft erhalten bleibt."

Andererseits gebe es die aktuellen Versorgungsprobleme in Folge des Ukraine-Krieges. Der Ausweg liege wohl in regenerativen Energien. Ihr Holzhaus werden die Ruheständler deshalb nun mit einer Photovoltaikanlage ausstatten.

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
  • Pressemitteilung von RWE
  • Pressemitteilung des Wirtschaftsministeriums
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