Streik auf Raststätte in Gräfenhausen Lkw-Fahrern fehlen über 97.000 Euro: Firma lässt Ultimatum verstreichen
Die Fernfahrer auf der Raststätte an der A5 machen weiter Druck auf ihren Auftraggeber. Gegen die polnische Speditionsfirma gibt es neue Vorwürfe.
Bis 13.30 Uhr hatte die polnische Speditionsfirma Mazur Zeit, den streikenden Lkw-Fahrern ein Angebot für den fehlenden Lohn von mehr als 97.000 Euro vorzulegen. Diese Zeit ist längst verstrichen. "Es steht noch immer eine Summe von fast 100.000 Euro aus", sagte Anna Weirich vom Beratungsnetzwerk "Faire Mobilität" am Freitag.
Die genaue Summe der ausstehenden Löhne und Tagesgelder steht mittlerweile in großen Buchstaben an der Plane eines der Lastwagen auf der Raststätte an der A5: Insgesamt 97.585 Euro fehlen demnach noch, auch wenn Mazur, für den die meist aus Georgien und Usbekistan stammenden Männer fahren, in Einzelverhandlungen einen Teil des Geldes überwiesen hat.
Die anfängliche Freude über diesen Erfolg ist jedoch getrübt. Auf ihren Lastern führen die Fahrer auch die jeweiligen Einzelsummen auf, die weiterhin ausstehen – 1.733 Euro in einem Fall, fast 2.500 Euro in einem anderen Fall. "Die Fahrer sind verzweifelt und frustriert", beschrieb Weirich die aktuelle Stimmung auf der Raststätte.
Neue Vorwürfe gegen polnische Speditionsfirma
Unterdessen gibt es nach Angaben der "Faire Mobilität"-Beraterin weitere Vorwürfe gegen den Speditionsunternehmer. In Belgien hätten die Behörden einen Lastwagen des Unternehmens konfisziert, hieß es. Ein junger usbekischer Fahrer, der auf einem anderen Parkplatz gleich auf der anderen Seite der Autobahn ebenfalls die Arbeit niedergelegt habe, habe sich bedroht gefühlt. "Er hat die Polizei gerufen, als plötzlich nachts ein Minibus mit der Aufschrift des Unternehmens und vier Männern da stand", sagte Weirich.
Die Beamten hätten ihn zu seinen Kollegen in Gräfenhausen-West gelotst, wo die Sicherheit leichter zu gewährleisten ist: Seit der Unternehmenschef zusammen mit einem paramilitärisch wirkenden Sicherheitsunternehmen am Karfreitag versucht hatte, die Lastwagen wieder zu übernehmen, fährt die Polizei dort regelmäßig Streife; gegen Firmenchef und Sicherheitsdienst laufen Ermittlungen.
Die Streikenden werden von den Beratern von "Faire Mobilität" sowie deutschen und niederländischen Gewerkschaftern unterstützt. Anwohner und andere Fahrer unterstützen die Männer mit Lebensmitteln. Der Fall hat mittlerweile weit über den Streik hinaus den Blick auf die Arbeitsbedingungen im internationalen Güterverkehr gelenkt.
Verdi stellt Forderungen
So forderte die Gewerkschaft Verdi am Freitag verbesserte Regelungen für den Gütertransport auf der Straße wie etwa eine Durchgriffshaftung, eine Transparenzpflicht, die konsequente Einführung von elektronischen Frachtbriefen und die Ausweitung behördlicher Kontrollen, um Fahrerinnen und Fahrer vor Ausbeutung und unzumutbaren Lebensbedingungen zu schützen. Verkehrsstaatssekretär Oliver Luksic (FDP) sieht in Deutschland ein massives Defizit bei der Kontrolle von Sozialvorschriften für Lastwagenfahrer.
"Der Widerstand der Lkw-Fahrer in Gräfenhausen wirft auch ein Schlaglicht auf die Situation von Zehntausenden Fahrerinnen und Fahrern in der Europäischen Union", sagte die stellvertretende Vorsitzende Andrea Kocsis. Standards wie das Recht auf angemessene Bezahlung, Zugang zu sauberem Wasser, Sanitäranlagen und angemessenen Schlafplätzen würden permanent unterlaufen. "Insbesondere bei Fahrerinnen und Fahrern aus Drittstaaten, deren Aufenthaltsrechte an ihre Arbeitsverträge gekoppelt sind, entstehen zusätzliche Abhängigkeiten von den Arbeitgebern. Hier findet Ausbeutung in besonderem Maße statt", sagte Kocsis.
Ikea und VW sind Auftraggeber der polnischen Speditionsfirma
Die Speditionsfirma Mazur gehört zu den größten polnischen Transportunternehmen und besitzt zwischen 1.000 und 2.000 Fahrzeuge. Sie transportieren im Auftrag europäischer Speditionen und Unternehmen Waren durch Westeuropa. Zu den Auftraggebern zählen etwa Ikea, Volkswagen oder Kühne + Nagel.
Auch im EU-Parlament wurde der Streik auf die Agenda gesetzt. Bei einer Generaldebatte prangerten deutsche EU-Politiker Versäumnisse bei Kontrollen an und pochten auf die Umsetzung der Gesetze aus dem EU-Mobilitätspaket.
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa