Sprecherin der "Letzten Generation" "2022 war erst der Anfang unseres Widerstands"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Carla Hinrichs ist das Gesicht der "Letzten Generation". Sie hat für ihren Protest eine Geldstrafe bekommen. Was sie nun vorhat, erklärt sie im Interview mit t-online.
Carla Hinrichs hat vor einigen Tagen bekannt gegeben, dass sie eine Geldstrafe von 1.800 Euro zahlen muss. Die Sprecherin der "Letzten Generation" hatte sich am 12. April in Frankfurt am Main auf eine Straße geklebt. In jener Woche war der Finanzplatz der Schwerpunkt der Proteste, es wurden bis zu sieben Straßen gleichzeitig blockiert. Sie habe wegen Nötigung durch ihre Teilnahme an dem Protest einen Strafbefehl mit 60 Tagessätzen über 30 Euro erhalten, schrieb sie auf Twitter.
Im Gespräch mit t-online erklärt die 25-Jährige, was sie nun vorhat, welche Ziele sie und die Klimaaktivisten der "Letzten Generation" für das neue Jahr haben.
t-online: Frau Hinrichs, Sie haben vor einigen Tagen einen Strafbefehl vom Amtsgericht Frankfurt erhalten. Welchen Schritt unternehmen Sie jetzt?
Carla Hinrichs: Ich habe Einspruch eingelegt. Wahrscheinlich wird der Fall vor Gericht landen. Dann werde ich deutlich machen, warum es gerade jetzt notwendig ist, Widerstand zu leisten. Wir sind mitten im Klimanotfall, und deswegen ist mein Widerstand gerechtfertigt.
Sie haben einmal in einem Interview angegeben, dass Sie von Ihren Eltern finanziell unterstützt werden. Der Richter, der den Strafbefehl gegen Sie unterschrieb, ging bei Ihnen von einem monatlichen Nettoeinkommen von 900 Euro aus. Stimmt das?
Ich werde inzwischen von Spenden finanziert. Es gibt immer mehr Menschen, die verstehen, warum es in der Klimakrise notwendig ist zu stören und die uns unterstützen wollen. Die Spenden reichen aus, dass ich meine Miete und meinen Lebensunterhalt bezahlen kann.
Zur Person
Carla Hinrichs ist die Pressesprecherin der klimaaktivistischen Gruppe "Letzte Generation". Sie klebt sich auch selbst auf die Straße und hat dafür zwei Strafbefehle erhalten. Die 25-jährige Jurastudentin aus Bremen tritt zudem regelmäßig in Talkshows wie "Anne Will" auf.
Wie schätzen Sie ihre Erfolgsaussichten vor Gericht ein? Klimaaktivisten argumentieren bislang fast immer erfolglos mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: Die Politik sei beim Klimaschutz verpflichtet, Freiheitsrechte künftiger Generationen zu achten und zu schützen.
Ich werde dem Gericht darlegen, warum ich mein Verhalten nicht für strafbar halte. Wir rasen in eine Klimakatastrophe, in der auch meine Zukunft massiv gefährdet ist. Ich sehe mich moralisch dazu verpflichtet, Widerstand zu leisten. In solchen lebensbedrohlichen Notlagen rechtfertigt das Gesetz mein friedliches Unterbrechen des Alltags.
Inwiefern wollen Sie vor Gericht Ihr Verhalten darlegen?
Dass wir auf dem Weg in eine Klimahölle sind. Ich werde die wissenschaftlichen Fakten und das Versagen der Regierung, uns zu schützen, darlegen. Dass sich die Erde bis Ende des Jahrhunderts um drei bis vier Grad erwärmen wird. Dadurch werden Milliarden Menschen sterben.
Im August 2022 gab es die erste Verurteilung eines Aktivisten der "Letzten Generation". Seitdem folgten weitere. Sie haben nun auch vom Amtsgericht Berlin einen weiteren Strafbefehl erhalten. Allein in der Hauptstadt hat die Staatsanwaltschaft über 200 Strafbefehle gegen Klimaaktivisten beantragt. Ist es Ihnen das wert, am Ende möglicherweise im Gefängnis zu landen?
Ich bin bereit, alles zu geben, was mir friedlich möglich ist, um eine unfassbare Katastrophe in den nächsten Jahren abzuwenden. Wenn die Regierung entscheidet, mich ins Gefängnis zu sperren, dann sagt das viel über den Klimaschutz in Deutschland. Sitze ich im Gefängnis, werden viele meinem Widerstand folgen.
In einigen Medien wird die "Letzte Generation" als "Klima-Chaoten" oder "irre" bezeichnet. Sie wurden für den Tod einer Radfahrerin in Berlin teilweise mitverantwortlich gemacht. Es gab in der Wohnung Ihrer Eltern in Bremen eine Durchsuchung. Wie gehen Sie damit um?
Der Gegenwind, der mir entgegenweht, ist nicht schön. Aber wir sind inzwischen viele und wir halten zusammen. Das macht uns stark. Trotz des Gegenwindes werde ich weiter stören. Ich bringe jeden Tag in die Öffentlichkeit, was alle ignorieren wollen, nämlich, dass wir in einer Klimakrise sind und, wenn wir nicht handeln, am Ende in einer Katastrophe landen.
Kurzer Schwenk zurück nach Frankfurt: Seit einem Jahr besetzen dort Klimaaktivisten im Osten der Stadt den Fechenheimer Wald. Ab nächster Woche wird wohl die Räumung und alsbald die Rodung beginnen – für den Ausbau einer Autobahn. Neben Lützerath die zweite anstehende Räumung. Das Jahr könnte für Sie als Klimaaktivistin nicht schlechter beginnen.
Ich bin im Katastrophenjahr eingeschlafen und am 1. Januar im neuen Katastrophenjahr aufgewacht. Die Krisen häufen sich, ob jetzt für den Autobahnausbau in Frankfurt oder dass Lützerath für Braunkohle, den fossilen Wahnsinn, abgebaggert werden soll. Das zeigt eindeutig, dass die Bundesregierung uns weiter in die Katastrophe führt.
Werden auch Aktivisten der "Letzten Generation" die Aktivisten in Frankfurt und Lützerath unterstützen?
Klar. Wir unterstützen uns gegenseitig. Als ich das letzte Mal in Frankfurt war, habe ich die Aktivisten dort besucht. Auch in Lützerath sind Aktivisten von der "Letzten Generation" dabei und schließen sich dort dem Protest an.
Lassen Sie uns auf das neue Jahr blicken. Wie geht es für Sie und die "Letzte Generation" weiter? Welche Ziele setzen Sie sich für 2023?
2022 war erst der Anfang unseres Widerstands. 2023 werden wir deutschlandweit weiter Widerstand leisten. Die Regierung darf keinen weiteren Schritt auf ihrem todbringenden Weg gehen. Für unseren Protest setzen wir weiter friedliche Mittel ein, um so massiv das 'Weiter so' zu unterbrechen. Denn wir sind die letzte Generation vor den Kipppunkten.
Frau Hinrichs, vielen Dank für das Gespräch!
- Gespräch mit Carla Hinrichs
- Eigene Recherche