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WM in Katar: Betroffene berichten über Arbeitsbedingungen und fordern Boykott


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Keine Rechte, kein Geld
WM 2022: Betroffene berichten über Arbeitsbedingungen in Katar

Von Sophie Vorgrimler

Aktualisiert am 25.09.2022Lesedauer: 4 Min.
Bauarbeiter Jeevan KC, WM-Stadion in Doha:Vergrößern des Bildes
Bauarbeiter Jeevan KC, WM-Stadion in Doha: Aus Sicherheitsgründen muss der Nepalese vermummt auftreten. (Quelle: Sophie Vorgrimler/Imago/Xinhua (Montage: t-online))
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Beim Bau der WM-Stadien in Katar kamen tausende Menschen ums Leben. In Frankfurt berichteten Arbeiter jetzt über die Bedingungen vor Ort.

Die Hoffnung, die Jeevan KC hatte, als er sich 2003 über eine Agentur als Arbeitskraft in Katar bewarb, sah anders aus als die Realität. Aus Sicherheitsgründen sitzt der Nepalese nur mit Kapuze, Sonnenbrille und OP-Maske auf der Bühne im Frankfurter Haus am Dom. Der Große Saal bei der Podiumsdiskussion "Boycott Qatar 2022 – nicht unsere WM" ist gut besucht.

"Eigentlich wollte ich studieren. Weil meine Eltern und ich uns das nicht leisten konnten, wollte ich dort für drei, vier Jahre Geld verdienen und auch meine Familie damit unterstützen", sagt Jeevan KC auf Englisch. "Wir wurden mit sechs oder acht Menschen in einem kleinen Raum untergebracht, es gab keine Schränke für persönliche Gegenstände." In den ersten Monaten habe er regelmäßig sein erarbeitetes Geld erhalten - später sei das oft nicht mehr so gewesen.

WM-Vergabe nach Katar: "Wahnwitzige Idee"

Seit im November 2010 die WM 2022 nach Katar vergeben wurde, blickt die Welt besorgt in das Land am persischen Golf. Die Arbeits- und Menschenrechtslage wird von vielen Organisationen als absolut unzureichend eingestuft. Für den Bau der acht großen Fußballstadien wurden viele ausländische Arbeiter eingesetzt; die meisten aus Nepal, Bangladesch, Indien oder ostafrikanischen Ländern.

Die Entscheidung der FIFA, die WM dorthin zu vergeben stieß und stößt auf laute Kritik. Vielfach wird zum Boykott der WM aufgerufen. Der Fußballfunktionär Andreas Rettig sagt auf dem Podium, er halte die Vergabe für eine "wahnwitzige Idee".

Die Podiumsdiskussion in Frankfurt wurde von der Kampagne Boycott Qatar 2022, der Fan-Organisation Unsere Kurve, dem Netzwerk Nie Wieder und der Initiative Gesellschaftsspiele veranstaltet, die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat sie finanziert – und fünf Betroffene eingeladen.

Extremes Abhängigkeitsverhältnis für ausländische Arbeiter

"Seit der Vergabe liegt unser Fokus verstärkt auf Katar", sagt Katja Müller-Fahlbusch, Expertin für die Golfregion bei Amnesty International Deutschland. "Aber auch vor der Vergabe 2010 war die Menschenrechtslage in Gutachten dokumentiert. Das ist unsere Kritik an der Fifa: Die Situation war bekannt." Amnesty International geht von 15.000 Menschen aus, die während der Arbeit für die Fußball-WM in Katar zu Tode gekommen sind, durch Überarbeitung und Überhitzung oder Gewalt. Im Foyer des Gebäudes sind Bilderreihen und Geschichten Schwerverletzter und Hinterbliebener ausgestellt.

"Vieles hat sich auch verbessert", sagt Jeevan KC. Zu seinem Beginn in Katar habe das Kafala-System gegolten, bei dem Arbeitgeber eine Bürgschaft für Arbeitende übernehmen. Für ausländische Arbeiter gelten andere Gesetze, ein extremes Abhängigkeitsverhältnis entsteht. "Man verpflichtete sich, mindestens zwei Jahre zu bleiben. Wenn man früher nach Hause möchte, braucht man ein Zertifikat vom Arbeitgeber, das der einem aber natürlich oft nicht ausstellen will", sagt er.

Schutzausrüstung hätte man damals selbst besorgen müssen, heute werde sie gestellt. "Wenn man Beschwerden erstellen will oder Dokumente übersetzen lassen muss, muss man das selbst bezahlen." Aber oft sei es dabei darum gegangen, dass das Gehalt nicht ausgezahlt wurde. Heute ist er Mitglied eines Netzwerks für migrantische Arbeiter und Gesundheits-, Sicherheits- und Umwelt-Beauftragter auf den Baustellen in Katar.

Wegen Erfahrungsberichten verhaftet

Malcolm Bidali ist im Januar 2010 aus Kenia nach Katar gekommen. "Auch wir waren in sogenannten Arbeitslagern außerhalb der Stadt untergebracht, bis zu 12 Leute in einem Raum", sagt er. "Wir hatten keine Küche, haben aber auch kein Catering bekommen. Dabei ist ordentliches Essen ein Menschenrecht."

Bidali arbeitete als Sicherheitsangestellter und Wachmann. "In meiner zweiten Firma waren Überstunden nicht freiwillig, oft arbeitete ich zehn, zwölf oder mehr Stunden am Tag. Dazu die Anreise von weit außerhalb." Ihm wurde zum Verhängnis, dass er anfing, seine Erfahrungen und die seiner Kollegen aufzuschreiben und regelmäßig auf einer Webseite zu veröffentlichen. "Nach einem Jahr wurde ich verhaftet." Nach seiner Entlassung ist er zurück nach Kenia gegangen, wo er eine Hilfsorganisation für Migranten gegründet hat.

Die Mitbegründerin sei migrantische Haushaltskraft in einem Golfstaat gewesen. "Viele denken bei Katar nur an die Baustellen, und andere Jobs bekommen wenig Aufmerksamkeit", sagt Bidali. "Aber Frauen, die in Haushalten arbeiten, sind komplett von ihren Arbeitgebern abhängig."

"Macht, Dinge zu verändern"

Sein erster Artikel auf der Webseite über die Arbeit der Migranten hat Kreise gezogen. "Auch mein Management hat ihn gelesen und die Veränderung kam sofort", sagt er. Es gebe eine "Macht, Dinge zu verändern", sagt er. Besonders hierzulande hätte man diese. Er habe etwa Hoffnung, dass sich die Fanclubs großer Vereine an den DFB wendeten und dieser mehr Druck auf die FIFA ausübe.

Daran glaubt auch Müller-Fahlbusch von Amnesty International. "Die Regierung in Katar verkauft Reformen der Rechtslage zwar immer als Veränderungen, die das Land von sich aus anstößt, aber es ist ganz klar, dass diese von Außen getrieben sind." Der Blick der Welt nach Katar habe viel bewirkt. Skeptisch sei sie, was die Zukunft angeht. "Auch nach der WM muss der Druck aufrecht erhalten werden, und die öffentliche Aufmerksamkeit darf nicht abnehmen.

Aufsehenerregende Rede vor dem Botschafter Katars

Auf dem Podium sitzt auch der Frankfurter und Eintracht-Fan Dario Minden. Er hat in der vergangenen Woche mit einer Rede vor dem katarischen Botschafter Aufsehen erregt. Als einer der Vorsitzenden des Fanvereins "Unsere Kurve" hat er sich bei dem DFB-Kongress mit sehr direkten Worten als homosexuell bekannt. "Das ist normal. Gewöhnen Sie sich daran oder verschwinden Sie aus dem Fußball. Fußball ist für alle da", sagte er.

In Katar gilt für Homosexualität zumindest auf dem Papier noch die Todesstrafe. "Es war schon cool, wenn man so ununterbrochen das Wort hat und die, die das Sagen haben, mal zehn Minuten schweigen müssen", sagt Minden zu t-online. "In der Situation konnte der Botschafter natürlich nicht viel dazu sagen."

Im Haus am Dom betont Minden auf der Bühne: "Der Sport muss sich fragen, vor welchen Karren lasse ich mich spannen." Natürlich herrsche eine Marktwirtschaft, aber der Fußball dürfe nicht für Menschenleben verkauft werden. "Die Fifa sollte nicht jeden Euro aufheben, egal wie blutig er ist." Viele Fanvereine und Initiativen veranstalten parallel zu den Spielen öffentlichkeitswirksame Boykott-Aktionen, wie Ausstellungen, Vorträge oder eigene Kicker- oder Fußball-Turniere.

Verwendete Quellen
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