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Frankfurter Bahnhofsviertel: Wer ist hier gescheitert?


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Gentrifizierung und Bundespolitik
Frankfurts Bahnhofsviertel – wer ist hier gescheitert?


26.09.2022Lesedauer: 3 Min.
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Ein Mensch schläft auf dem Boden im Frankfurter Bahnhofsviertel: Viele sehen die Schuld an der aktuell brisanten Situation im Bahnhofsviertel in einer gescheiterten Drogenpolitik. (Quelle: imago-images-bilder)
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Im Frankfurter Bahnhofsviertel spitzt sich die Situation zu – doch woran liegt das eigentlich? Diese Frage beschäftigt auch die Stadt.

Seit einiger Zeit häufen sich wieder Berichte über die verheerenden Zustände im Frankfurter Bahnhofsviertel: Gastronomien werden geschlossen, große Ketten ziehen sich aufgrund der Verwahrlosung des Viertels zurück. Viele glauben, dass sich durch die Pandemie die Situation verschlimmert hat – aber hängt das wirklich mit Corona zusammen? Und kann man die Frankfurter Drogenpolitik als gescheitert betrachten? Fragen, welche auch die Stadtverordnetenversammlung am vergangenen Donnerstag beschäftigten.

Gleich zweimal wird der Magistrat gefragt, wann er endlich handele, um die haltlosen Zustände im Viertel zu beenden, um dem schon jetzt eingetretenen massiven Imageschaden für Frankfurt entgegenzuwirken. Der Vorwurf: Die Stadt sei mit ihren Konzepten, wie dem Frankfurter Weg, gescheitert. Antwort gibt Frankfurts Gesundheitsdezernent Stefan Majer (Grüne): Die Situation im Bahnhofsviertel sei zweifellos schwierig – Corona habe zur Verschärfung der Situation beigetragen.

Für Obdachlose und Suchtkranke musste beispielsweise eine quarantänegerechte Unterkunft geschaffen werden– auch um Suchthilfeangebote wie Substituierung sicherzustellen. Die Zahl der Drogentoten sind Majer zufolge im Jahr 2021 von 40 auf 30 gesunken – dies sei allerdings kein Grund, sich auszuruhen.

Die Legalisierung des Besitzes geringer Drogenmengen als Lösung?

Deswegen sei "der Magistrat fortlaufend damit beschäftigt, die Angebote für Suchtkranke im Viertel zu erweitern". Dafür sei das städtische Projekt "Ossip" erst Anfang des Jahres neu organisiert worden – am Beispiel des Züricher Modells. Mit Konsumräumen und engmaschigen therapeutischen Angeboten hat Zürich seinen öffentlichen Raum praktisch drogenfrei gekriegt. Auch in Frankfurt wurde es 2020 als Update für die bisherige Drogenpolitik auf den Weg gebracht. Ziel war es, die Drogenszene in die Hilfeeinrichtungen zu verlagern, auch durch eine bessere Versorgung mit Wohnraum für Abhängige.

Doch warum will das in Frankfurt nicht gelingen? Ein Grund dafür sind, laut Majer, die unterschiedlichen Grundbedingungen in Zürich: Zum Beispiel gebe es in der Schweiz auch Konsumräume und Drogenhilfeangebote in den umliegenden Kommunen. Zudem sei dort der Kleinhandel mit illegalen Drogen geduldet, weshalb sich Drogenabhängige weniger auf der Straße aufhielten. Ein entscheidender Punkt für den Gesundheitsdezernenten, der den Bund hier in der Verantwortung sieht: Seit Jahren herrsche ein "drogenpolitischer Stillstand" auf Bundesebene, der auch die städtische Drogenpolitik ausbremse.

Drogen-Szene (Archiv): Bei dem Verdächtigen wurde auch ein geraubter Pass gefunden.
Drogendealer im Frankfurter Bahnhofsviertel (Quelle: imago-images.de)

Der Frankfurter Weg

Ende der 1980er-Jahre hielten sich in Frankfurt auf der Taunusanlage mehr als 1.000 Konsumierende auf. Der traurige Höhepunkt waren über 100 Drogentote im Jahr. Die Stadt reagierte und setzte ab den 90er-Jahren auf einen pragmatischen und akzeptierenden drogenpolitischen Ansatz. Frankfurt führte unter anderem Konsumräume ein, um die Abhängigen von der Straße zu holen. Die Drogenhilfe setzt hierbei auf ein Vier-Säulen-Modell: Durch "Prävention" soll der Einstieg in den Drogenkonsum vermieden oder zumindest verzögert werden. "Beratung und Therapie" dienen dazu, den Ausstieg zu erleichtern. Gesundheitliche Risiken sollen durch die "Überlebenshilfe" vermindert werden. Die "Repression" gilt vor allem den Dealern, um den Drogenhandel zu bekämpfen. Durch den Frankfurter Weg ist seit 1991 die Zahl der Drogentoten konstant auf 25 pro Jahr gesunken.

"Bei uns werden die Drogenabhängigen regelrecht auf die Straße gezwungen", so Majer. Er spricht sich ausdrücklich gegen repressive Maßnahmen aus – und erntet dafür Applaus. Die "Repression" gilt vor allem den Dealern, um den Drogenhandel zu bekämpfen.

Viele stehen dem Züricher Modell allerdings auch kritisch gegenüber: Es ziele hauptsächlich darauf ab, Drogenkonsumierende durch die "sip züri" aus dem Stadtbild zu vertreiben. Die städtischen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter patrouillieren tägliche durch Zürich und sorgen dort für "Ruhe und Ordnung". Eine solche "Sozialpolizei" wollte Majer 2020 noch verhindern. Doch die Situation im Viertel spitzt sich immer weiter zu, viele Anwohner fordern mehr Sicherheit vor Ort. Wie die "Frankfurter Rundschau" berichtet, wurde dafür sogar kürzlich ein eigener Sicherheitsdienst von Bürgern und Bürgerinnen engagiert.

Gentrifizierung des Bahnhofsviertels sorgt für verschärfte Lage.

Zudem ist das Züricher Modell nicht günstig: Majer zufolge gebe Zürich "weit mehr als fünf Millionen Franken" für das Projekt aus. Dieses Geld fehlt in Frankfurt. Man merkt dem Stadtrat die Frustration deutlich an: Immer wieder habe er versucht, mit Vorschlägen auf Bundesebene durchzukommen: "Es ging gar nichts."

Erst relativ spät fällt das Stichwort "Gentrifizierung" in der Debatte – für einige Drogenforscher einer der ausschlaggebenden Gründe für die zugespitzte Situation im Viertel. Die "sukzessive Aufwertung" des Viertels habe auch Majer zufolge dafür gesorgt, dass man klassische Gentrifizierung-Merkmale im Bahnhofsviertel wahrnehmen kann.

Bernd Werse ist verantwortlich für die Szenebefragung des Monitoring-System Drogentrends (MoSyD), gefördert von der Stadt Frankfurt, in der alle zwei Jahre 150 Angehörige der lokalen "harten" Szene befragt werden.
Bernd Werse ist verantwortlich für die Szenebefragung des Monitoring-System Drogentrends (MoSyD), gefördert von der Stadt Frankfurt. (Quelle: Privat)

Drogenforscher: "Die Situation für Abhängige hat sich verschärft"

Der Soziologe und Drogenforscher Bernd Werse beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit unterschiedlichen Aspekten des Umgangs mit Drogen und ist Mitgründer des an der Frankfurter Goethe-Universität angesiedelten Centre for Drug Research. Für Werse liegen die Hauptgründe für den Zustand des Viertels und Drogenszene woanders. Ein Gastkommentar.

Durch die Sanierung verschiedener Gebäude und deren Hinterhöfe seien viele Obdachlose und Suchtkranke dazu gezwungen gewesen, sich auf wenige Straßen zu verteilen. Private Sicherheitsdienste verstärken diesen Effekt: "Wollen wir aus dem Bahnhofsviertel ein zweites Nordend oder Sachsenhausen machen?", fragt Majer.

Laut dem Frankfurter Drogenforscher Bernd Werse würden Maßnahmen, wie "den Besitz geringer Drogenmengen zu legalisieren und den Zugang zu Substitutionsmitteln wie Methadon sowie zu Drogen deutlich zu vereinfachen", wesentlich zur Verbesserung der aktuellen Lage beitragen. In einem Gastkommentar auf t-online hat er die Situation im Frankfurter Bahnhofsviertel eingeordnet.

Die Debatte bei der Stadtverordnetenversammlung zeigt: Die aktuelle Situation in Frankfurts berüchtigten Viertel ist komplex und ein Produkt jahrelanger politischer Entscheidungen – auch auf Bundesebene. Die Stadt setzt ihre Hoffnungen nun in den neuen Bundesdrogenbeauftragten, der auch bald Frankfurt besuchen soll. Zudem setze man auf eine stärkere Zusammenarbeit der einzelnen Dezernate in Verbindung mit Polizei und Bund.

Verwendete Quellen
  • Teilnahme per Livestream an der Stadtverordnetensammlung
  • fr.de: "Anwohner engagieren eigenen Sicherheitsdienst – 'Endlich ist hier Ruhe'"
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