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Essen: Bayerischer Wirtschaftsminister Aiwanger hat "Kulturschock" bei Besuch


"Offene Parallelgesellschaften"
"Kulturschock" für Hubert Aiwanger in der Innenstadt


Aktualisiert am 08.09.2024Lesedauer: 4 Min.
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Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (links) stutzt über den Zustand der Essener Innenstadt.Vergrößern des Bildes
Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (links) stutzt über den Zustand der Essener Innenstadt. (Quelle: Marie Illner)

Der Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, war am Freitag in Essen zu Gast. Was er sah und hörte, schockierte den gebürtigen Bayern nicht nur einmal.

Ein "kleiner Kulturschock" sei es schon gewesen, aber er habe es verkraftet, sagt Hubert Aiwanger und lacht. Er sei schließlich nicht das erste Mal außerhalb Bayerns unterwegs. "Aber ja – hier in Essen sieht man offene Parallelgesellschaften und was passiert, wenn die öffentliche Hand nicht durchgreift", sagt Aiwanger. "Das gäbe es bei uns in Bayern nicht."

Der Vorsitzende der Freien Wähler ist zu Besuch in die Essener Innenstadt gekommen, es ist der Abschluss seiner Ruhrgebietstour. "Mit Blick auf die schrecklichen Attentate in Solingen und die politische Diskussion um die Änderung des Waffenrechts wird sich Herr Aiwanger ein Bild von der durch Drogenhandel, Clanstrukturen und Niedergang des Einzelhandels gebeutelten Innenstadt Essens machen", hatte das Essener Bürger Bündnis (EBB), das den Freien Wählern angehört und Aiwanger eingeladen hatte, zuvor mitgeteilt.

Start am Rheinischen Platz

Sein Stadtspaziergang in Essen beginnt am Rheinischen Platz. Der Fraktionsvorsitzende des EBB, der Polizist Kai Hemsteeg, gibt Aiwanger ein paar Infos an die Hand. Er zeigt ihm fünf installierte Überwachungskameras an dem Platz nahe der Friedrich-Ebert-Straße. Sechs bis acht Beamte brauche es, um diese Kameras auszuwerten, sagt Hemsteeg. "Ob die nicht besser auf Streife aufgehoben wären?", fragt er. Das, was durch die Kameras an dieser Stelle in Essen passiere, sei reine Verdrängung.

Verdrängung, keine Bekämpfung

"Die Drogengeschäfte verlagern sich einfach in die Seitenstraßen oder in die Fußgängerzone", sagt er. Unternehmer Frank Baumeister von der Immobilien- und Standortgemeinschaft City.NORD kann ihm das bestätigen.

Er berichtet von offenem Drogenkonsum und -handel auf der Straße. Der untere Teil der Innenstadt, der Bereich vor allem zwischen Viehofer Platz, Schützenbahn, Pferdemarkt und Rottstraße, sei besonders gebeutelt. Aiwanger hört zu, nickt angestrengt, schaut oft entsetzt.

"Das ist der Wurmfortsatz der Innenstadt, der schon immer mit spitzen Fingern angefasst wurde", meint Baumeister. Der Unternehmer klagt darüber, dass man zwar die Erkenntnisse habe, dass sich etwas ändern müsse, es aber immer wieder an der Umsetzung hapere. Politik, Verwaltung, Bürgerschaft – das komme nie produktiv zusammen.

Drogenhandel auf offener Straße

Aiwanger blickt resigniert, eine Patentlösung hat er auch nicht parat. Nur eins: Es hätte gar nicht so weit kommen dürfen. Das sei das, was man von Bayern lernen könne. "Wenn das Kind einmal in den Brunnen gefallen ist, lässt sich die Schraube nur schwer zurückdrehen", sagt er.

Baumeister berichtet weiter von den Problemen in der Stadt. "Die Leute lassen sich selbst dabei filmen und fotografieren, wie sie tagsüber ihre Notdurft vor den Geschäften verrichten", klagt er. Aiwanger meint: "Wir müssen das Thema Drogen auf allen Ebenen ernster nehmen." Die Cannabis-Legalisierung sei eine Katastrophe. Selbst, wenn jemand mit abgepackten 25 Gramm herumlaufe, die offensichtlich nicht zum Eigenkonsum gedacht seien, werde man ihm nicht habhaft.

Verteilung von Migranten vor Ort

Baumeister lächelt müde. "Es geht hier um Crack, Heroin – die harten Drogen", meint er. An einem Tag sei ein Kind auf ihn zugekommen, das am Spielplatz gegenüber des GOPs eine Drogenspritze gefunden habe. Man müsse "durchgreifen", sagt Aiwanger wie so oft an diesem Nachmittag. Es brauche Kontrollen durch die Behörden und man müsse Räume für Drogensüchtige und Obdachlose schaffen, wo sie sich aufhalten könnten.

Baumeister sagt, auch die Migration müsse endlich vernünftig gesteuert werden – vor Ort in den Kommunen. "Es darf nicht nur um die Verteilung in Europa gehen, sondern auch hier in den Städten selbst", meint er. Sonst entstehe eine Segregation, wie man sie etwa im Stadtteil Altendorf bereits erlebe. "Macht ihr mal Wind von Bayern aus", gibt der Unternehmer Aiwanger mit auf den Weg, bevor es weitergeht.

Tötungsversuch in Innenstadt

Aiwanger geht vorbei an Dönershops, türkischen Hochzeitsläden und Gruppen von migrantischen Jugendlichen. Ein Stand verteilt kostenlos den Koran, ein paar hundert Meter weiter liegt ein großes Gebäude brach, in dem früher die Mayersche saß. "Hier hat erst in dieser Woche ein Mordversuch stattgefunden", sagt Hemsteeg, als die Gruppe um Aiwanger an der Föntanengasse Ecke Viehofer Straße angekommen ist.

In der Nacht zum Sonntag, 1. September, war ein 33-jähriger Mann niedergestochen aufgefunden worden. Die Polizei nahm kurz darauf einen 22-Jährigen an der Schützenbahn und einen 24-Jährigen im Parkhaus am Porscheplatz fest.

Wirbel im Vorfeld

Aiwanger schüttelt ungläubig den Kopf. "Bei uns in Deutschland, auf offener Straße", sagt er, mehr zu sich selbst als zur Gruppe. Als Nächstes wird dem Politiker der Kopstadtplatz gezeigt.

Unmittelbar entfernt befindet sich das Restaurant "Der Löwe". Das hatte im Vorfeld Wirbel verursacht, weil es die Reservierung für Aiwangers im Anschluss an den Spaziergang geplante Veranstaltung abgesagt hatte. Aiwanger wollte dort mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Manuel Ostermann, über das Thema "Innere Sicherheit" sprechen. Inhaber Lars Becker war das zu heikel.

"Mir braucht kein bayerischer Landwirt erklären, was hier los ist"

Er wolle sich "möglichst weit weg von den Rändern bewegen" und könne den Verlauf der Veranstaltung "überhaupt nicht einschätzen", hatte er begründet und sagte: "Ich wohne und arbeite in der Essener Innenstadt, und mir braucht kein bayerischer Landwirt vom Dorf erklären, was hier los ist." Ersatzweise fand der Abend im Select Hotel am Hauptbahnhof statt.

Als Aiwanger mit seiner Entourage an dem Restaurant von Becker vorbeiläuft, wird gewitzelt, ob man nicht kurz "Hallo" sagen wolle. Man entscheidet sich dann doch für den direkten Weg zum Kopstadtplatz. Die Stadt selbst bezeichnet den Platz mittlerweile wieder als "City Oase". Früher galt dieser einmal als einer der schönsten Marktplätze Essens, zuletzt verkam er aber mehr und mehr.

Wohl künftiges Negativbeispiel

Die Stadt half deshalb nach: mit Sitzgelegenheiten aus Europaletten und Hochbeeten. Parkplätze mussten teilweise dafür weichen – in den Augen vom EBB kein Erfolg. Noch Mitte des Jahres hatten Bürgerinnen und Bürger die Umgestaltung in einer Umfrage mehrheitlich als Erfolg bewertet. "Jetzt fliegen die Europaletten hier rum, das Gegenteil von Verschönerung ist erreicht worden", sagt Hemsteeg.

"Jede Stadt hat ihre Probleme, aber hier versucht man es gar nicht mehr zu kaschieren", sagt einer aus der Gruppe. Essen – es wird wohl in künftigen Reden und Talkshowbesuchen Aiwangers als Negativbeispiel herhalten müssen.

Verwendete Quellen
  • Reporterin vor Ort
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