Clans und Prostitution in Duisburg Ex-Polizeipräsidentin mahnt: "Frauen sind dem völlig ausgeliefert"
Elke Bartels, Ex-Polizeichefin in Duisburg, spricht über Prostitution, Clankriminalität und Menschenhandel. Sie hat klare Forderungen, um Frauen stärker zu schützen.
Die Prostitution ist in Deutschland seit 2002 legal, aber nicht unumstritten. Viele Kritiker sehen in ihr eine Form der Gewalt gegen Frauen, die oft unter Zwang und Ausbeutung leiden. Auch die Verbindung zwischen Prostitution und organisierter Kriminalität ist ein großes Problem.
Wie sieht die Situation in Duisburg aus, wo der zweitgrößte Bordellkomplex des Landes steht? t-online hat mit Elke Bartels, der ehemaligen Polizeipräsidentin von Duisburg, gesprochen. In dem kürzlich erschienen Buch "Sexkauf" stellt sie sich hinter die Autoren und fordert eine Reformation des Prostitutionsgesetzes.
t-online: Frau Bartels, im Buch "Sexkauf" schreiben die beiden Autoren, dass in Duisburg der zweitgrößte Bordellkomplex Deutschlands steht. Haben Sie eine Erklärung dafür? Warum ausgerechnet Duisburg?
Elke Bartels: Der Zuzug von Menschen aus dem Balkan seit 2007, insbesondere aus Rumänien und Bulgarien, hat dazu geführt, dass die Stadt Duisburg zu einer Hochburg des Migrationsstroms aus diesen Ländern wurde. Grund dafür ist zum einen sicher die Tatsache, dass die Stadt ohnehin schon einen hohen Anteil an Migranten hatte, aber vor allem auch der hohe Wohnungsleerstand und die äußerst niedrigen Mieten. Damit einhergehend ist auch die Anzahl von osteuropäischen Frauen, die im sogenannten Vulkankarree arbeiteten, stetig gestiegen.
Was meinen Sie mit Vulkankaree?
Das Rotlichtmilieu in Duisburg befindet sich im sogenannten Vulkankarree, einem Straßenviertel in der Altstadt am Außenhafen.
Abgesehen davon, dass in Duisburg viele osteuropäische Frauen im Rotlichtmilieu arbeiten, was begünstigt außerdem, dass in Duisburg einer der größten Bordellkomplexe steht?
Duisburg liegt an einem Knotenpunkt mehrerer Autobahnen und ist aus allen Himmelsrichtungen daher sehr verkehrsgünstig zu erreichen. So sind in dem Bordellkomplex auch stets viele Autos mit auswärtigen Kennzeichen zu finden.
Prostitution steht oft im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität. Gerade im Ruhrgebiet ist Clankriminalität ein Problem. Welcher Zusammenhang besteht Ihrer Meinung nach zwischen Clankriminalität und Prostitution?
Das Prostitutionsgeschehen ist für die verschiedenen Clans in Deutschland eine wichtige Einnahmequelle. Bordelle und der Straßenstrich sind weitgehend in der Hand der organisierten Kriminalität – darunter befinden sich auch arabische, türkische und osteuropäische Clans. Zudem ist es so: Wo viel Geld verdient wird, gibt es auch viel Rivalität und Streitpunkte, zum Beispiel um die Lage und die Größe von "Revieren" oder Ablösesummen, die für Frauen gezahlt werden.
In Bezug auf Clanfamilien haben Sie mal gesagt: "Sie (die Frauen) werden geboren, um da (ins Bordell) irgendwann reingeschickt zu werden." Was genau meinen Sie damit?
Frauen aus bestimmten ethnischen Kulturen sind weder gleichberechtigt noch haben sie das Recht, über sich selbst zu bestimmen. Sie sind von Geburt an in der Hand der Familie – und zwar der männlichen Familienmitglieder. Vater, Bruder oder Ehemann können über sie bestimmen. Sie sind oft Analphabeten, erhalten keine Ausbildung, haben dadurch kein Einkommen und sind von ihrem Clan abhängig. Schon von Kindesbeinen an wird ihnen ihre Rolle klargemacht.
Da verwundert es nicht, dass so viele Frauen in Bordelle und auf den Strich geschickt werden, um das Gesamtvermögen des Clans zu mehren. Eine Verweigerung kommt für diese Frauen nicht infrage, da sie dem Clan völlig ausgeliefert sind und dieser es nicht zulassen würde, dass sie aus den Strukturen ausbrechen.
Das klingt schon nach einer Form des Menschenhandels. Dabei sollte man in einem Rechtsstaat wie Deutschland davon ausgehen, dass Menschenhandel nicht stattfindet.
Der Handel mit Menschen, mit dem Ziel ihrer sexuellen Ausbeutung, gehört zu den bedeutenden Geschäftsfeldern in der organisierten Kriminalität. Für die Ware Mensch braucht es kein Anfangskapital. Stattdessen werden die Opfer häufig unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aus dem Ausland nach Deutschland gebracht und dort zur Prostitution gezwungen. Dies geschieht unter Gewalt oder auch durch Drohungen, der Person selbst oder einem Angehörigen in der Heimat Leid zuzufügen.
Können Sie das an einem Beispiel aus Ihrer aktiven Zeit als Polizeipräsidentin erklären?
In einem Fall hatten Täter nigerianische Frauen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ins Bordell gebracht. Dort wurden sie einer "Madame", einer Aufpasserin, unterstellt, die für jede eine Voodoopuppe bereithielt. Wenn die Frauen nicht den Anweisungen folgten, wurden Nadeln in die Puppen gestochen als Zeichen dafür, dass für ihr Fehlverhalten in ihrer Heimat einem nahen Angehörigen wehgetan wurde.
Wie sehen die Ermittlungserfolge in solchen Fällen aus?
Der Duisburger Polizei ist es in einigen Fällen gelungen, Frauen aus den Fängen ihres "Loverboys" zu befreien. Das sind Männer, die jungen Frauen die große Liebe und ein schönes Leben zu zweit vorgaukeln, für das es allerdings des Geldes bedarf, das die Frau dann durch Prostitution anschaffen soll.
Diese Ermittlungserfolge waren natürlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Dunkelziffer ist enorm und nur zu erahnen. Hunderttausenden importierter und zur Zwangsprostitution gezwungener Frauen stehen in Deutschland höchstens 400 Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels jährlich gegenüber. Denn kaum eine Frau offenbart sich der Polizei aus Angst vor größeren Repressalien.
Es scheint, als kämpfe die Polizei gegen Windmühlen. Was muss Ihrer Meinung geschehen, um Zwangsprostitution zu unterbinden?
Dafür bedarf es einer Gesetzgebung, die Frauen wirklich schützt, und einer effektiven Kontrolle der Einhaltung der Gesetze. Das Prostitutionsgesetz von 2002 und das Prostitutionsschutzgesetz von 2017, die jeweils von Freiwilligkeit in der Prostitution ausgehen, hatten vor allem gewerberechtliche Vorgaben zum Inhalt.
Das Nordische Modell
Das Nordische Modell ist eine Form des Verbots von Prostitution, die in einigen Ländern wie Schweden, Norwegen, Island, Frankreich und Irland angewendet wird. Es basiert auf dem Gedanken, dass Prostitution eine Form der Gewalt gegen Frauen ist und die Gleichberechtigung der Geschlechter untergräbt. Das Nordische Modell wird kontrovers diskutiert, da es unterschiedliche Ansichten über die Wirkungen und Auswirkungen des Sexkaufverbots gibt.
Um massenhafte Zwangsprostitution einzudämmen, bedarf es des Nordischen Modells. Dieses verbietet Sexkauf und bestraft die Täter. Zudem beinhaltet es soziale und rechtliche Hilfsangebote für Frauen in der Prostitution.
- Gespräch mit Elke Bartels