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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Explosion in Ratingen "Verbrannte rannten in Unterwäsche aus dem Haus"
Einen Tag nach der Explosion in Ratingen sucht die Polizei weiterhin nach Spuren. Anwohner beschreiben einen mutmaßlichen Täter, der sich sehr verändert habe.
In der Berliner Straße in Ratingen stehen am Freitagmorgen Nachbarn auf ihren Balkonen. Sie flüstern, beobachten die Polizisten, die immer noch in schusssicheren Westen Spuren sichern und Zeugen befragen. Passanten bleiben vor dem Haus mit dem Balkon stehen, der sich schwarz vor Ruß von den anderen abhebt. Sie schauen hoch zu ihm, hoch zum zehnten Stock.
Einen Tag zuvor, am Donnerstag, hat dort oben ein 57-Jähriger mutmaßlich gezielt eine Explosion ausgelöst und dabei Polizei- und Feuerwehrkräfte teils schwer verletzt. Viele Menschen, die hier leben, sind von dem, was sich da vor ihren Augen, in ihrer Nachbarschaft abspielte, noch immer schockiert. In der Berliner Straße gibt es an diesem Morgen nur eine Frage: Wie konnte das passieren?
Eine ältere Dame, die in der Nähe des Hauses wohnt, erzählt, wie sie auf dem Bürgersteig die Verletzten liegen sah: "Ich musste weinen, weil es so schrecklich war." Inzwischen hat die Polizei das Gebiet großflächig abgesperrt, Schaulustige weggeschickt. An einem Kinderspielplatz flattert noch immer das Absperrband.
"Wir dachten, ein Drogenlabor wäre in die Luft geflogen"
"Wie in einem Film" sei es gewesen – so beschreibt der Handwerker einer Hausverwaltung, der auf dem Areal arbeitet, die Szenen. "Wir haben die verbrannten Menschen gesehen, die kamen in Unterwäsche aus dem Haus gelaufen", sagt er. Noch immer bekomme er beim Gedanken an die Bilder vom Vortag eine Gänsehaut. "Dann kamen von allen Seiten die Einsatzkräfte an, die Scharfschützen kletterten auf die Dächer." Blendgranaten hätten die Polizisten in die Wohnung des Verdächtigen geworfen; ein Video, das er auf seinem Handy gespeichert hat, zeigt, wie Beamte mit Schrotflinten in die Wohnung schießen. "Keiner wusste, wie viele sich da in der Wohnung verschanzen und ob die bewaffnet sind."
Der Handwerker sagt, er habe in der Siedlung an der Berliner Straße schon vieles erlebt. Menschen etwa, die von den Dächern der Hochhäuser gesprungen seien. "Aber so was noch nicht. Wir mussten hier selbst schon einige Türen öffnen, da kommt man jetzt schon ins Nachdenken", sagt er. "Als wir von der Explosion hörten, dachten wir, dass ein Drogenlabor in die Luft geflogen sein könnte. Das ist hier auch nicht auszuschließen."
Mutmaßlicher Täter habe sich "sehr verändert"
Was den Tatverdächtigen angetrieben haben könnte, darüber wird in Ratingen-West viel spekuliert. "Er soll ja ein Corona-Leugner gewesen sein", sagt ein Passant, "aber da wird jetzt, glaube ich, vieles zusammengeworfen. Auf jeden Fall kann der nicht ganz richtig gewesen sein."
Paranoid, also krankhaft misstrauisch, von Ängsten und Wahnvorstellungen getrieben soll der Mann gewesen sein, heißt es. Die Polizei habe nach ihm per Haftbefehl gesucht. Eine Nachbarin beschreibt den 57-Jährigen als "freundlichen und lieben Menschen, der sich rührend um seine Mutter kümmerte". Allerdings habe er sich in der letzten Zeit sehr verändert. "Ich habe ihn nicht mehr wiedererkannt", sagt die Frau.
Ein anderer Passant erzählt, dass es am Mittwoch schon einmal zu einem Polizeieinsatz in dem Hochhaus gekommen sei: Eine Wohnung sollte geräumt werden. Ob es sich um die Wohnung des Täters handelte, weiß aber niemand so recht. "Vielleicht hat er dadurch Angst bekommen und sich für diesen Wahnsinn entschieden."
- Reporter vor Ort