Vorwurf der Polizeigewalt Experte fordert nach Polizeieinsatz in Düsseldorf unabhängige Aufklärung
Nach dem Polizeieinsatz gegen einen 15-Jährigen in Düsseldorf am Samstag werden Vorwürfe der Polizeigewalt laut. Ein Experte fordert jetzt Aufklärung durch unabhängige Stellen.
Nach dem umstrittenen Polizeieinsatz in der Düsseldorfer Altstadt gegen einen 15-Jährigen fordert der Bochumer Kriminologe Prof. Tobias Singelnstein eine Aufklärung durch neutrale Stellen – nicht durch Staatsanwaltschaft und Polizei selbst.
"Je mehr Unabhängigkeit desto besser in solchen Fällen", sagte Singelnstein der Deutschen Presse-Agentur. Das spreche gegen die bisher übliche Aufarbeitung durch Polizisten einer anderen Dienststelle: "Es ist unmittelbar nachvollziehbar, dass es menschlich eine problematische Situation ist, wenn man dann Kollegen als Beschuldigte hat, für die man beruflich ein besonderes Verständnis aufbringt. Die Polizei hat eine starke Binnenkultur."
Vergleiche mit George Floyd in den sozialen Medien
In mehreren anderen Ländern – zum Beispiel Großbritannien – sei die Aufklärung solcher Fälle wegen der besonderen Problematik an differenziert besetzte externe Gremien mit Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Gruppen gegeben worden.
Bei dem Einsatz hatte ein Polizeibeamter am Samstagabend in Düsseldorf einen 15-Jährigen mit dem Knie am Kopf auf dem Boden fixiert. Ein Augenzeugen-Video des Einsatzes hatte sich im Internet verbreitet und Vergleiche mit dem Fall George Floyd in den USA ausgelöst. Aus Neutralitätsgründen hat die Polizei Duisburg zusammen mit der Staatsanwaltschaft Düsseldorf die Ermittlungen übernommen. Der betroffene Beamte mache vorläufig Innendienst, teilten die Behörden mit.
Embed
Fälle werden selten angezeigt
In Deutschland sei die Anzeigebereitschaft der Bürger bei möglichen Fällen von rechtswidriger Polizeigewalt sehr gering, sagte der Forscher, der zu diesem Thema 2019 eine Studie der Ruhr-Universität Bochum vorgelegt hatte. Weniger als ein Zehntel der Bürger, die sich ungerecht behandelt gefühlt hatten, hätten nach den Ergebnissen der Studie auch eine Anzeige erstattet.
"Hauptmotiv war, dass die Betroffenen den Eindruck haben, sie haben da keine Chance, sie kommen gegen die Polizei nicht an." Aus rechtsstaatlicher und polizeilicher Sicht sei ein solcher Eindruck hoch problematisch, sagte Singelnstein.
Kennzeichnung von Beamten "bewährtes Mittel"
Die deutsche Polizei sei befugt, Maßnahmen mit Gewalt umzusetzen, betonte der Jurist. "Das passiert hundertfach, tausendfach." Dass dabei auch Fehler, Missbräuche und Grenzüberschreitungen vorkämen, sei nicht verwunderlich. "Was ich als Problem ansehe, ist, dass damit dann oft kein offener Umgang stattfindet, dass versucht wird, es unter den Teppich zu kehren, es klein zu reden." Das sei auch nach innen schwierig: "Wenn die Beamtinnen und Beamten das Gefühl haben, es passiert gar nichts, wenn einer über die Stränge schlägt, dann ist das auch ein Signal."
In diesem Zusammenhang sei eine Kennzeichnung von Beamten mit äußerlich erkennbaren Dienstnummern ein "bewährtes Mittel". "Mir ist kein einziges sinnvolles Argument gegen diese Regelung bekannt." Die Nicht-Identifizierbarkeit von Polizisten sei bisher ein großes Problem und führe oft zu Einstellungen von Verfahren. Außerdem würden Betroffene auch deshalb keine Anzeige erstatten, weil sie davon ausgingen, dass die Beamten ohnehin nicht identifiziert werden könnten.
Embed
Jugendlicher soll nach Einsatzvorgaben fixiert worden sein
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte am Montag, er habe einen Zwischenbericht zu dem Vorfall bekommen. Demnach sei die Polizei am Samstagabend zunächst wegen zehn Randalierern zu einem Schnellrestaurant gerufen worden. Der 15-Jährige, der offenbar nichts mit dem eigentlichen Einsatz zu tun hatte, habe sich eingemischt und einen Beamten angegriffen.
Danach sei der Jugendliche zu Boden gebracht, gefesselt und zum Streifenwagen gebracht worden. Dies sei in einem Zeitraum von zwei bis drei Minuten geschehen. Eines der Videos im Internet ist 28 Sekunden lang. Dort ist zu sehen, wie ein Polizeibeamter den Jugendlichen mit dem Knie zu Boden drückt.
Wie Reul am Montag ausführte, wären Knie und Schienbein auf Ohr und Schädel des jungen Mannes durch die Einsatzvorgaben der Landespolizei abgedeckt gewesen. Auf dem Hals wäre dies wegen der Verletzungsgefahr nicht erlaubt. Was genau in dem Moment passiert sei, müsse daher nun "objektiv geklärt werden".
- Nachrichtenagentur dpa