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Zum journalistischen Leitbild von t-online.80. Jahrestag der Bombardierung Dresdens "Das wäre vor zehn Jahren nicht möglich gewesen"
![Blick auf die Ruine der Frauenkirche im Jahr 1975. Blick auf die Ruine der Frauenkirche im Jahr 1975.](https://images.t-online.de/2025/02/KRRalWITGUML/0x110:4000x2250/fit-in/1920x0/blick-auf-die-ruine-der-frauenkirche-frauenkirche.jpg)
Auch 80 Jahre nach der Zerstörung ringt Dresden um den richtigen Weg des Gedenkens. Die diesjährige Zeremonie war ein Schritt in die richtige Richtung, findet Historiker Matthias Neutzner.
Vor 80 Jahren, am 13. Februar 1945, zerstörten Bombenangriffe der Alliierten weite Teile der Dresdner Innenstadt. Tausende Menschen starben während der Bombardierung. Doch erst vor 15 Jahren schaffte die Dresdner Historikerkommission Fakten und räumte wissenschaftlich mit den Lügen der Nazis auf, die sich weltweit verbreitet hatten. Matthias Neutzner hat in dieser mehrjährigen Untersuchung den Teil des Projekts geleitet, das besonders umstritten war: die Opferzahl der Luftangriffe.
Neben der historischen Aufarbeitung sensibilisiert der 64-jährige Dresdner für einen Wandel im Gedenken. Die diesjährigen Gedenkveranstaltungen der Stadt seien für ihn ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung gewesen. "Was heute versucht wurde, war der Versuch eines Gesprächs über Generationen und Nationen hinweg – aus ganz unterschiedlichen Perspektiven", resümiert Neutzner. "Eine solche offizielle Gedenkveranstaltung wäre vor zehn Jahren noch nicht möglich gewesen."
Auf Podiumsdiskussionen am Donnerstag schlug die Stadt selbstkritische Töne an. Dresdens Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Linke) erklärte auf der Bühne, dass Dresden der Zerstörung der Stadt eine Sonderstellung in der Erinnerung einräumt – anders als andere deutsche Städte. "Ich glaube, wir haben als Stadt einen Lernprozess hinter uns, ein vielfältigeres Gedenken zu lernen und auszuhalten", sagte Klepsch am Donnerstag.
Die Stadtverwaltung sei damit einer Entwicklung gefolgt, welche die Stadtgesellschaft laut Neutzner längst durchgemacht habe. Doch ein großer Kritikpunkt bleibt: Der 64-Jährige hätte sich gewünscht, dass auch die Stadtbevölkerung an der Zeremonie teilnehmen kann und nicht nur geladene Gäste.
"Der Canaletto-Blick reicht nicht mehr"
Besonders eindrücklich empfand er die Rede der Zeitzeugin Nora Lang, die dafür plädierte, den Blick nicht auf die zerstörte Altstadt zu versteifen: "Für mich reicht in der Erinnerungskultur dieser Canaletto-Blick nicht mehr – den brauche ich auch – aber er reicht nicht mehr", sagte Lang, die zum Zeitpunkt der Zerstörung Dresdens 13 Jahre alt war.
Stattdessen solle man den Blick weiten, etwa auf die Trümmerberge, wo auf den Trümmern etwas Neues wächst. Oder auf den Keil vor dem Militärhistorischen Museum richten, der auf die Stelle weist, wo die Flieger ihre Bomben ausgeklinkt haben. "Das ist etwas, das mahnt", sagte Lang.
Was Neutzner an der Rede begeisterte, wurde von Teilen des Publikums allerdings auch kritisch aufgenommen. "Jede Generation ist vielfältig und es gibt diejenigen, die zu Recht einfordern, dass sie an das Leid erinnern dürfen, das sie persönlich, ihre Familien und ihre Stadt erfahren haben", räumt der Historiker ein. Das müsse unbedingt gewahrt bleiben.
"Gleichwohl müssen sie anerkennen, dass die Generation, die nach ihnen geboren wurde, eben auch kritische Fragen an die Geschichte stellen muss – und damit auch an sie." Die von Nora Lang angesprochene Friedenssehnsucht sei bei aller Verschiedenheit der Auffassungen aber "absolut mehrheitsfähig", ist sich Neutzner sicher.
- Gespräch mit Matthias Neutzner nach der Gedenkveranstaltung am 13. Februar 2025