AWI-Forscher im ewigen Eis Neue Studie zeigt: Die Arktis verändert ihren Kurs

Lange Zeit glaubten Forscher, sie würden die Abläufe in der Arktis kennen. Jetzt stellen neue Erkenntnisse die Jahrhunderte alten Annahmen auf den Kopf.
Eine der wichtigsten Meeresströmungen der Arktis verändert ihren Lauf – mit weitreichenden Folgen für das Weltklima. Die sogenannte Transpolardrift transportiert riesige Mengen Süßwasser, Nährstoffe und auch Schadstoffe quer durch den Arktischen Ozean. Doch wie genau diese Strömung funktioniert, war bisher kaum erforscht.
Jetzt hat ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Universität Bristol gemeinsam mit dem Alfred-Wegener-Institut (AWI) und der Universität Kiel erstmals ein ganzjähriges Bild dieser gewaltigen Umverteilungsmaschinerie erstellt. Das teilte das AWI in einer Mitteilung mit.
Die Forscher stützen sich auf Daten der bislang größten Arktis-Expedition mit dem Namen Mosaic, bei der das deutsche Forschungsschiff Polarstern ein Jahr lang eingefroren im arktischen Meereis driftete. Die einmalige Fahrt ermöglichte es, auch im arktischen Winter Proben zu nehmen und damit Veränderungen zu dokumentieren, die sonst im Dunkeln geblieben wären.
Arktisches Meereis wirkt wie ein "Mischer"
Mit speziellen Messmethoden, etwa der Analyse von Sauerstoff- und Neodym-Isotopen, konnten die Wissenschaftler den Weg von Wasser- und Stoffströmen aus sibirischen Flüssen bis weit in den zentralen Arktischen Ozean zurückverfolgen.
Dabei zeigte sich: Der Transport von Flusswasser, Mikroplastik, Schwermetallen und anderen Stoffen verläuft keineswegs so stabil wie lange angenommen. Stattdessen schwanken die Wege je nach Jahreszeit, Meereisbedeckung und Strömungsverhältnissen stark.
Besonders überraschend sei die aktive Rolle des Meereises. Anders als bisher gedacht, speichert es nicht nur Stoffe, sondern wirkt wie ein "Mischer": Es nimmt Materialien aus mehreren Flüssen auf, vermischt sie und transportiert diese komplexen Mixturen über weite Strecken durch die Arktis.
Eigentlich stabiles System gerät ins Wanken
"Wir haben deutliche Veränderungen in der Zusammensetzung des Flusswassers entlang der Transpolardrift beobachtet – ein Hinweis auf hochdynamische Prozesse", sagt Studienleiter Dr. Georgi Laukert von der Universität Bristol. "Die Interaktion von Flusswasser, Meereis und Strömungen erzeugt ein System, das viel variabler ist als gedacht." Die Daten aus allen Jahreszeiten eröffneten den Wissenschaftlern erstmals ein vollständiges Bild der Stoffflüsse in der Arktis, betonten die Forscher.
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Was diese Ergebnisse besonders brisant macht: Mit der Klimaerwärmung zieht sich das sommerliche Meereis immer weiter zurück – und das verändert auch die Strömungen. Damit gerät ein bisher als stabil angenommenes System aus dem Gleichgewicht. "Die Verteilung von Süßwasser und Schadstoffen verändert sich grundlegend", erläuterte Benjamin Rabe vom AWI. Das könne Folgen für die empfindlichen Ökosysteme der Arktis haben – aber auch für die weltweite Ozeanzirkulation, die eng mit dem arktischen Wasserkreislauf verknüpft ist.
Studie stellt 130 Jahre alte Annahme auf den Kopf
Die neue Studie stellt auch eine alte Annahme infrage. Schon Polarforscher Fridtjof Nansen hatte Ende des 19. Jahrhunderts die Transpolardrift als stabiles "Förderband" beschrieben. Mehr als 130 Jahre später zeigt sich: Dieses Förderband ist alles andere als geradlinig. Es ist unberechenbar, verändert sich ständig – und könnte damit zu einem Kipppunkt im arktischen System werden.
"Unsere Studie zeigt nicht, welche Schadstoffe konkret sich ausbreiten", so die Forscher. "Aber sie erklärt, wie sich ihre Transportwege verändern – und das ist ein entscheidender Schritt, um zu verstehen, wie verletzlich die Arktis wirklich ist."
- awi.de: Mitteilung vom 14. April 2025
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