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Handwerk unter Druck: "Ohne Humor könnte ich nachts nicht schlafen"


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Gaspreis steigt um das Sechsfache
Fleischer rechnet mit 85.000 Euro Mehrkosten für Energie


02.10.2022Lesedauer: 3 Min.
Malte Luers in seiner Fleischerei in Westerstede.Vergrößern des Bildes
Malte Luers in seiner Fleischerei in Westerstede. (Quelle: Malte Luers)

Fleischermeister Malte Luers zahlt für Gas rund 1.000 Euro monatlich. Doch damit ist es nun sehr wahrscheinlich vorbei. Ein Blick in seine Rechnungen schockiert.

Malte Luers hat als Fleischer schon so einiges erlebt. Die BSE-Seuche, in der Fleisch als verpönt galt, aber auch die lange Zeit gelebte "Geiz ist geil"-Praxis vieler Verbraucher. All das hat seinen Betrieb in Westerstede, rund 30 Autominuten von Oldenburg entfernt, nicht aus der Bahn geworfen. Kunden blieben treu, die Umsätze stabil, sagt Luers.

Doch die Zeiten haben sich geändert, die Preise für Strom und Gas sind explodiert. Luers hat t-online einen Blick in seine Energierechnungen werfen lassen. Rechnungen, die zeigen, unter welchem Druck viele klein- und mittelständische Handwerksbetriebe zurzeit stehen. Rechnungen, die man zweimal anschauen muss, bevor man die dort verlangten Summen auch wirklich glauben kann.

Für das laufende Jahr bezahlt Luers einen Gasabschlag von 11.925 Euro, also rund 1.000 Euro pro Monat. Vor wenigen Wochen habe ihm sein Energieversorger Post geschickt – mit einer vorläufigen Kalkulation von rund 60.000 Euro. Doch dabei blieb es nicht: Luers soll 2023 jetzt exakt 74.730,42 Euro berappen – "ein Schock", wie er sagt.

Für 2023 muss Luers mit mehr als 85.000 Euro Mehrkosten rechnen

Das Ende ist das jedoch noch lange nicht, wie Dokumente zeigen, die t-online vorliegen. Auch der Preis für Strom hat satte Sprünge gemacht. Verlangt Luers' regionaler Energieversorger für dieses Jahr 18.419,72 Euro, sollen es 2023 bereits 46.249,28 Euro sein. Während sich die Kosten für Gas also fast um das Sechseinhalbfache erhöht haben, ist es beim Strom mehr als das Doppelte. Zusammengerechnet soll der Fleischermeister gut 85.000 Euro mehr bezahlen. Doch wie soll das gehen?

Luers sagt, er sei in der komfortablen Situation, in den vergangenen Jahren gute Umsätze gemacht zu haben. Finanziell würden ihn die rasant steigenden Kosten nicht so schnell in Richtung Ruin bringen können. Gewinn werde er 2023 aber auch nicht machen. "Das wird ein Null-Jahr. Das ist dann so, was soll ich machen."

Der 56-Jährige nimmt seine Situation mit einer gehörigen Portion Galgenhumor. Die satte Kostenerhöhung für Strom im Vergleich zum Gas sei "fast noch human, ein Witz", meint Luers und lacht. Seit 1993, als er den Betrieb von seinem Vater Fritz übernommen hatte, habe das Geschäft immer mal wieder Höhen und Tiefen durchlebt. "Das packen wir jetzt auch noch", sagt er.

Auch in anderen Bereichen steigen die Preise rasant an

Er habe das Glück, dass die Kundenzahlen weiterhin "top" seien. Würde er die geforderten Preiserhöhungen von 85.000 Euro eins zu eins auf seine Waren umlegen, "bleiben mir die Kunden weg, dann kommt keiner mehr", ist er sich sicher. Und blieben Kunden weg, werde Ware alt. Genau das dürfe in einem Fleischerbetrieb nicht passieren: "Die Ware muss immer im Durchfluss gehalten werden. Das ist wichtig."

Wie es im kommenden Jahr aussehen wird, sei schwer abzuschätzen – in vielerlei Hinsicht. Werden die Kunden bleiben und auch 2023 regelmäßig Wurst- und Fleischwaren kaufen? Wie werden sich die Kosten für Rohstoffe entwickeln, wie die für Zubehör und Löhne?

Vieles sei ungewiss – außer, dass auch in anderen Bereichen seit geraumer Zeit deutliche Preisanstiege zu verzeichnen seien. So muss Luers unter anderem für Kunst- und Naturdärme sowie Gewürze mittlerweile zwischen 20 und 40 Prozent mehr bezahlen, für andere Produkte fast das Doppelte. "Das ist ein Fass ohne Boden."

Luers: "Kündigen werden wir niemandem"

Eines könne er trotz der Situation jedoch versichern: "Kündigen werden wir niemandem." Das liege nicht zuletzt daran, dass es kaum Fachkräfte gebe. "Die, die wir haben, behalten wir", so Luers in Bezug auf die derzeit 17 Angestellten im Betrieb.

Da niemand abschätzen könne, in welche Richtung sich die derzeitige Preisspirale drehen werde, will Luers vorbereitet sein. Demnächst werde er sich einen Heizspeicher einbauen lassen – betrieben mit Hackschnitzeln. Zwar müsse er dafür auch etwa 50.000 Euro inklusive Installation zahlen, doch das Verfeuern des Holzes koste ihn nur etwa 15 Prozent im Vergleich zu den aktuellen Gaspreisen. Nach nur zwei Jahren würde sich die Investition bereits rechnen.

Mit Hackschnitzelofen und Solaranlage in die Zukunft

Da die Lieferzeit für ein solches Gerät momentan bei etwa neun bis elf Monaten liege, lasse er sich den Speicher von einem Metallbau-Unternehmen aus der Region anfertigen. Zudem will der 56-Jährige auch eine Fotovoltaikanlage auf dem Betriebsdach installieren lassen.

Luers wisse es zu schätzen, einen finanziellen Puffer zu haben. Wie 2023 aussehen könnte? Ungewiss. Das Einzige, was ihm auch in dieser Zeit helfe, sei Humor. "Ohne Humor könnte ich nachts nicht schlafen"

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Malte Luers, Inhaber der Fleischerei Luers
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