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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bochum-Boss Kaenzig "Dieser Verein ist der Robin Hood der Bundesliga"
Der VfL Bochum will in seinem dritten Bundesligajahr in Folge angreifen. VfL-Boss Ilja Kaenzig erklärt, wie das klappen soll.
"Gekommen, um zu bleiben" – unter diesem Motto startet der VfL Bochum an diesem Samstag in Stuttgart in die neue Bundesliga-Saison. Der Klub aus dem Pott geht die dritte Erstliga-Spielzeit in Folge mutig an und will sich endgültig im Fußball-Oberhaus etablieren.
Warum jetzt der richtige Zeitpunkt ist, auch finanziell mehr zu wagen, wie man sich gegen die Konkurrenz behaupten will und warum er selbst garantiert nicht nervös wird, darüber hat sich Ilja Kaenzig, Sprecher der Geschäftsführung des VfL, mit t-online unterhalten.
t-online: Ilja Kaenzig, seit 2018 tragen Sie beim VfL die Verantwortung. Mehr als fünf ereignisreiche Jahre – welche Überschrift würden Sie als ehemaliger Sportjournalist Ihrer Zeit in Bochum geben?
Ilja Kaenzig: Die Zeit ist geradezu verflogen. "The trend is your friend" beschreibt es ganz gut, auch wenn das nicht originär von mir ist. Es war damals ein Kaltstart, aber ich glaube, wir haben instinktiv die richtigen Entscheidungen getroffen – sei es bei der strategischen Entwicklung oder bei dem Ton, den wir gesetzt haben.
Wir haben ein Wachstum verzeichnet in allen Bereichen, auf und neben dem Platz, das bis heute anhält und weitere Energie entwickelt. Mit jedem erreichten Meilenstein werden die Mitarbeiter noch hungriger, noch motivierter. Sie sehen das Potenzial, das in den dunklen Zweitligazeiten brachlag. Insofern hoffe ich, dass die gewählte Überschrift auch in Zukunft Bestand hat.
Wenn man es etwas emotional betrachtet: Wäre in Ihrer Überschrift auch Platz für Begriffe wie Wunder oder Märchen?
Man kann vieles planen im Fußball – was nicht bedeutet, dass es auch immer umgesetzt werden kann. Aber was beim VfL passiert ist, war beabsichtigt und ist kein Zufall. Wer hart arbeitet, wird meistens auch belohnt. Und so ist es für mich kein Märchen und schon gar kein Wunder.
Trotzdem brauchst du natürlich ein gewisses Schlachtenglück. Gefühlt steht über dem VfL in meiner Zeit ein guter Stern. Immer, wenn wir ein gutes Ergebnis oder Ereignis gebraucht haben, ist es auch eingetreten. Immer, kurz bevor die Erfolgsgeschichte vielleicht abgerissen wäre. Das ist faszinierend. Und um auf das Emotionale zurückzukommen: Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass es nicht auch das Herz berührt.
Dass ein Klub mit einem Stehplatz-Stadion Champions League spielen kann, finde ich wunderbar.
Ilja Kaenzig über Union Berlin
Was genau berührt Ihr Herz beim VfL?
Zum einen sicher der familiäre Charakter, den es so immer weniger gibt im Fußball. Zum anderen diese Wucht, die der VfL mitbringt und die nur ganze wenige Klubs entwickeln. Das genieße ich, darauf bin ich stolz. Aber am Ende müssen wir trotzdem einen kühlen Kopf bewahren, denn der Weg ist ja zum Beispiel mit dem Klassenerhalt nicht zu Ende.
Wir müssen viel weiter nach vorne denken, um die gleiche Geschichte zu schreiben wie Mainz, Augsburg oder Union Berlin. Zu sagen, wir haben es jetzt geschafft, wäre falsch. Wir haben mit dem VfL gerade erst angefangen.
Union hat sich seit dem Aufstieg nicht nur in der Bundesliga etabliert, sondern spielt nach vier Jahren Champions League – ein Vorbild für den VfL?
Dass ein Klub mit einem Stehplatz-Stadion Champions League spielen kann, finde ich wunderbar. Auch wenn sie aufgrund der Vorgaben in der Champions League woanders spielen müssen. Was die Rahmenbedingungen angeht, gilt Ähnliches für Brighton oder Bournemouth in der Premier League. Das zeigt, was möglich ist. Daher nennen wir Union gerne in einem Atemzug mit dem VfL, allerdings ohne gleich über die Champions League zu sprechen.
Union nimmt eine tolle Entwicklung, auch neben dem Feld. Sie machen 160 Millionen Umsatz, bauen ein neues Stadion, ein neues Leistungszentrum, eine neue Geschäftsstelle. Aber der Einsatz war sehr riskant. Und sie hatten dieses Schlachtenglück, über das wir gesprochen haben. Hätte man den Weg von Union vorher so aufgeschrieben, hätte das wie der Plan eines Investors geklungen. Das kannst du so nicht planen.
Union steht für den kultigen Arbeiterverein. Sehen Sie da auch eine Parallele zum VfL Bochum?
Der VfL ist komplett unpolitisch, das ist nicht überall so. Das ist auch ein Grund für die hohe Zahl an Sympathisanten, die wir mit 17,9 Millionen Fans bundesweit haben. Der VfL steht für den Underdog, der sehr hart arbeiten und aus wenig viel machen muss. Der VfL ist ein bisschen der Robin Hood der Bundesliga. Diese Rolle spielen wir seit Jahrzehnten, aber diese Geschichte ist auch 2023 attraktiv und aktuell. Das müssen wir nutzen, um zu wachsen. Das ist sicher einer der Hebel, um den Rückstand schneller zu schließen, den wir uns in elf Jahren zweiter Liga eingehandelt haben.
Unser Tempo muss höher sein als bei den anderen. Es ist immer noch nicht so, dass wir alle erreicht und überzeugt haben, dass das Potenzial des VfL Bochum so groß ist, dass bei uns die gleiche Geschichte geschrieben werden kann wie in Mainz, Augsburg oder bei Union.
Du musst als VfL Bochum mutig sein. Aber immer mit dem Bewusstsein, nicht leichtsinnig zu werden.
Ilja Kaenzig über finanzielle Investitionen
Um den Rückstand aufzuholen und ein höheres Tempo an den Tag zu legen, haben Sie für diese Saison den Etat auf 40 Millionen plus x erhöht. Wie mutig ist es, jetzt All-in zu gehen?
Wir gehen nicht All-in – das eben gerade nicht! Kontrollierte Offensive trifft es eher. Der VfL hat jetzt eine historische Chance. Nur Union Berlin hat es als normaler Aufsteiger geschafft, das dritte Jahr Bundesliga zu erreichen. Wenn du das geschafft hast, ändert sich alles – die Wahrnehmung, die Relevanz, die Autorität, die Preise.
Wenn wir weiter effizient arbeiten und demütig bleiben, müssten wir mit mehr Geld eigentlich eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, erneut in der Liga zu bleiben. Dann setzt der Schneeballeffekt ein. Deswegen war jetzt der Moment, bewusst ein negatives Ergebnis am Jahresende in Kauf zu nehmen.
Bleibt mit Blick auf die Konkurrenz auch kaum eine andere Möglichkeit?
Alle Klubs rüsten auf. Selbst die Aufsteiger Darmstadt und Heidenheim, die man zu Unrecht ein bisschen belächelt, geben Gelder aus, die vor Jahren nicht denkbar waren. Du musst als VfL Bochum mutig sein. Aber immer mit dem Bewusstsein, nicht leichtsinnig zu werden. Entscheidend ist die Effizienz – wenn wir nicht effizient sind, haben wir keine Chance. Das müssen wir uns bei jedem Transfer und bei jeder Entscheidung bewusst machen.
Mehr Geld verleitet leider auch dazu, nicht mehr so präzise zu ein, als wenn ich meinen letzten Euro ausgeben muss. Wir machen es also Schritt für Schritt, aber wir wollen diese Schritte unbedingt machen. Das Feuer brennt! Und wir sind gewissermaßen auf einer Mission: Die größte Klippe haben wir mit dem Erreichen des dritten Bundesligajahres umschifft.
Wie sehr hat es die Wachstumspläne des VfL getroffen, dass der geplante Investoren-Einstieg bei der DFL geplatzt ist?
Das tut weh! Geld aus einem Investoreneinstieg hätten wir gerade jetzt in unserer Wachstumsphase sehr gut gebrauchen können als zusätzliche Förderung von außen. Wir haben gezeigt, dass wir aus einem Euro zwei machen können. Das hätte jetzt gut gepasst.
Stattdessen wurden die DFL-Abgaben für die Vereine erhöht, um die Liga finanziell auszustatten. Mit dem neuen Grundlagenvertrag bekommt der DFB mehr Geld von der DFL. Für uns bedeutet das unter dem Strich einfach mal 1,8 Millionen Euro weniger für diese Saison.
Der VfL tanzt immer auf der Rasierklinge, das ist seit Jahrzehnten so.
Ilja Kaenzig über Siege und Niederlagen
Der angedachte Einstieg eines Investors beim VfL könnte Abhilfe schaffen.
Der Markt hat sich seit Corona komplett verändert. Deshalb müssen wir als VfL die Leitplanken neu definieren. Die Profile der Investoren haben sich geändert. Zum Teil sind sie in andere Ligen eingestiegen, in denen die Preise deutlich günstiger sind als in Deutschland. Du musst dir überlegen, ob du deinen Preis auch anpasst – oder ob du abwartest. Das muss alles gut vorbereitet und besprochen werden, denn ein Investoreneinstieg ist eine Generationenentscheidung, die nicht mehr korrigiert werden kann.
Das verändert einen Klub total, das sieht man in ganz Europa. Deswegen bleiben wir in Bochum bei unserem Kurs: Wenn es den geeigneten Investor nicht gibt, dann lieber nichts machen. Zumal wir gezeigt haben, dass wir auch ohne Investor ganz gut unterwegs sein können.
Mit der Pokalniederlage ist die Saison für den VfL suboptimal gestartet. Sollte auch der Ligastart holprig werden – wann ist der Punkt erreicht, an dem Sie nervös werden?
Der VfL tanzt immer auf der Rasierklinge, das ist seit Jahrzehnten so. Wenn ich auf meine Zeit in Bochum schaue, bin ich eigentlich nie nervös geworden. Zum einen ist es nie so eng geworden, dass du noch den Ausgleich in der Nachspielzeit gebraucht hättest – auch wenn das 1:1 bei Hertha zum genau richtigen Zeitpunkt gefallen ist.
Zum anderen wissen wir, dass sich unsere Saison am 34. Spieltag entscheidet. So realistisch muss man bleiben. Da kann man auch gleich allen den Zahn ziehen, die den VfL in der neuen Saison auf Platz acht bis zwölf tippen. Augsburg spielt seit zwölf Jahren in der Bundesliga und deren Saisonziel ist immer noch der Klassenerhalt. Das wird beim VfL auch immer so bleiben. Und deswegen werde ich auch nicht nervös, sonst wäre ich nicht geeignet für diesen Verein.
- Gespräch mit Ilja Kaenzig