"Das stinkt zum Himmel" Ausgetretene Flüssigkeit im Tesla-Werk wird zum Streitfall
Was ist am 11. April beim neuen Tesla-Werk bei Berlin wirklich passiert? Eine kürzliche Panne sorgt für Streit zwischen dem Betreiber und den Umweltverbänden. Jetzt heizen plötzlich aufgetauchte Fotos die Debatte an.
Der Austritt einer Flüssigkeit in der Lackiererei der Tesla-Fabrik in Grünheide bei Berlin sorgt weiter für Streit über Schwere und Zeitpunkt des Vorfalls. Nach Angaben des Landesamtes für Umwelt (LfU) hat der Austritt keinen Störfall verursacht. Das Auslaufen von Betriebsflüssigkeiten aus dem Becken der Elektrotauchlackierung stelle lediglich eine Betriebsstörung dar, wie die Behörde am Dienstag mitteilte. Es seien keine störfallrelevanten Stoffe beteiligt gewesen.
Oder war der Vorfall doch gravierender als bislang angenommen? Davon geht die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) Brandenburg aus, die am Wochenende Bilder des Vorfalls an der Tesla-Fabrik veröffentlicht hatte. Auf einem Foto ist zu sehen, wie eine braune Flüssigkeit durch das Tor der Tesla-Lackiererei fließt.
Drohnenvideo soll früheren Austritt der Flüssigkeit zeigen
Die ÖDP fordert einen Produktionsstop, die Umweltverbände Grüne Liga und Naturschutzbund sowie die Bürgerinitiative Grünheide wollen Aufklärung. "Das stinkt zum Himmel", sagte Michael Ganschow, Geschäftsführer der Grünen Liga am Dienstag dem Tagesspiegel. "Das ist sehr beunruhigend", sagte Steffen Schorcht von der BI Grünheide. "In diesem Werk wird mit wassergefährdenden Substanzen gearbeitet. Unsere Befürchtungen, dass es hier nicht hätte gebaut werden dürfen, bestätigen sich."
Das LfU war nach eigenen Angaben am 12. April durch Tesla über den Vorfall am 11. April mündlich unterrichtet worden. Ein schriftlicher Bericht wurde demnach zwei Tage später nachgereicht. Doch hier gibt es Widersprüche. Umweltverbände verwiesen auf ein auf YouTube veröffentlichtes Drohnenvideo, das der lokale Fabrikbeobachter "Fly Brandenburg" veröffentlichte. Das Video dokumentiert (ab Minute 10.30) bereits am 10. April einen deutlich sichtbaren Austritt der Flüssigkeit vor dem Hallentor – einen Tag vor der offiziellen Version. Das stehe im Widerspruch zu den Angaben des Landesumweltamtes über den Zeitpunkt des Vorfalls, wie sie der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag mitteilten.
Nach LfU-Angaben wurde die ausgelaufene Flüssigkeit nach dem Vorfall in der Lackiererei durch ein fachlich zugelassenes Entsorgungsunternehmen abgepumpt. Die im Tesla-Gelände verbliebenen verwendeten Schläuche seien anschließend nicht restentleert worden. So sei es zu einem Auslaufen von Teilen des Schlauchinhaltes auf die befestigte Zufahrt gekommen. Die ausgelaufene Flüssigkeit sei mit einem Bindemittel großflächig aufgenommen worden, wie es weiter hieß.
Grünheide bei Berlin: Kritik von Umweltschützern
Die Umweltbehörde geht von einem wassergefährdenden Stoff aus, der nach Aussage der unteren Wasserbehörde aber nicht in den Boden oder das Grundwasser gelangt sei, wie es weiter hieß. Umweltschützer der Grünen Liga und der Bürgerinitiative Grünheide kritisierten, dass nicht mitgeteilt wurde, welche Substanzen in welcher Konzentration und Menge ausgetreten sind. Auf dem Drohnenvideo sei zu sehen, dass die Flüssigkeit neben dem befestigten Weg bis zum Erdreich geflossen sei.
Bei der ausgetretenen Flüssigkeit handelt es sich weiteren Angaben des LfU zufolge um etwa 15 Kubikmeter Behandlungsbad aus der Elektrotauchlackierung. Der verwendete Lack habe keine gefahrstoffrechtliche Einstufung, wie es weiter hieß. Durch einen Entsorger sei die Flüssigkeit mit Wasser verdünnt und aus der Auffangwanne zur Entsorgung in Sammelfahrzeuge abgepumpt worden. Die Verdünnung werde derzeit auf ihre Zusammensetzung hin analysiert.
Umweltverband: "Vertuschung der realen Gefahr" nahe Wasserschutzgebiet
"Lösemittel kann es nicht sein, das wäre verdunstet. Und am Sonntag wird in der Fabrik nicht gearbeitet", sagte Steffen Schorcht von der Bürgerinitiative Grünheide dem "Tagesspiegel". Knapp tausend Meter von der Stelle entfernt befinde sich die Hauptbrunnenanlage Hohenbinde des Wasserverbandes Strausberg-Erkner mit einer jährlichen Kapazität von 5,6 Millionen Kubikmetern. "Wenn die ausfallen sollte, droht ein Versorgungsnotstand in der Region." Nach den Drohnen-Fotos könne nicht ausgeschlossen werden, dass Chemikalien neben der Straße versickert seien.
Die Umweltverbände sprachen von einer "Vertuschung der realen Gefahr". Der Vorfall habe sich im Bereich eines Wasserschutzgebiets ereignet. Die Hauptbrunnenanlage des Wasserverbandes Strausberg-Erkner (WSE) mit einer Förderkapazität von 5,6 Millionen Kubikmeter pro Jahr befinde sich nur rund 1.000 Meter vom Ort des Schadstoffaustritts entfernt.
Der Wasserverband Strausberg-Erkner hatte kritisiert, dass er nicht über den Vorfall informiert wurde. Er beliefert Tesla mit Wasser. Der WSE brauche Informationen, um im Störfall die Sicherheit der Trinkwasserversorgung zu gewährleisten und den Schadstoffeintrag im Schmutzwassersystem bewerten zu können.
Störfallkonzept habe zum Produktionsstart vorgelegen
Die Fabrik des US-Elektroautobauers war am 22. März eröffnet worden. Dafür musste Tesla auch ein Störfallkonzept vorlegen. Dabei geht es um den Umgang mit gefährlichen Stoffen. Das Störfallkonzept lag nach Angaben des Umweltministeriums zum Produktionsstart vor.
Im Genehmigungsverfahren hatten Grüne Liga und Naturschutzbund wiederholt gewarnt, dass die Störfallvorkehrungen mangelhaft seien. Solche Befürchtungen hatte das Landesumweltamt zuletzt in der 536 Seiten starken Hauptgenehmigung für das Werk als unbegründet zurückgewiesen.
Für Geschäftsführer Michael Ganschow von der Grünen Liga stellt sich die Frage, "ob Tesla alle Auflagen der Genehmigung erfüllt hat und wer das kontrolliert", berichtete der "Tagesspiegel". Die Vorfälle zeigten, wie berechtigt die Warnungen seien. "Was, wenn doch einmal ein größerer Störfall geschieht? Die Genehmigungsbehörde ist in der Pflicht."
- Pressemitteilung der ÖDP Brandenburg, 19.4.2022
- Mit Informationen der Nachrichtenagentur dpa