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PCR-Partyexperiment in Berlin: Die Hauptstadt feiert wieder – "Hab Gänsehaut"


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Partyexperiment in Berlin
Die Hauptstadt feiert wieder – "Hab Gänsehaut"


Aktualisiert am 08.08.2021Lesedauer: 5 Min.
Menschen stehen im strömenden Regen dicht an dicht am Eingang zum KitKat-Club: Im Rahmen eines Pilotprojektes durften Partygänger in sechs Clubs ohne Maske und Abstand tanzen.Vergrößern des Bildes
Menschen stehen im strömenden Regen dicht an dicht am Eingang zum KitKat-Club: Im Rahmen eines Pilotprojektes durften Partygänger in sechs Clubs ohne Maske und Abstand tanzen. (Quelle: Paul Zinken/dpa)
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"So müssen auch die Orgien nach der Pest gewesen sein": Kein Abstand, keine Masken und Engtanz bis zum Morgen – in Berlin durfte erstmals seit Monaten wieder völlig legal in den Clubs gefeiert werden.

Endlich wieder hemmungslos tanzen, flirten, den Duft der wilden Berliner Nächte einatmen und die Isolation und die AHA-Regeln der Pandemiemonate vergessen: Mit dieser Hoffnung beteiligten sich etwa 2.000 Berliner am Wochenende am sogenannten "Clubculture Reboot“. Zusammen mit der Berliner Senatsverwaltung und Wissenschaftlern der Charité soll das Kultur-Experiment aufzeigen, ob und wie klassische Tanzveranstaltungen in naher Corona-Zukunft möglich gemacht werden können.

Die Versuchskaninchen: Junge, zumeist bereits geimpfte Musik- und Szenefans. Doch vor dem Exzess steht die Testpflicht und eine doppelseitige Einverständniserklärung. Denn die Regel-freiste Party seit Pandemieausbruch beginnt über 24 Stunden vor dem Start der DJ-Sets mit einem Rachenabstrich. Die Tickets für einen der personalisierten PCR-Testslots, welche den Eintritt zu den Tanzveranstaltungen ermöglichen, waren in Windeseile ausverkauft.

Am Freitagnachmittag wurden in beteiligten Clubs wie dem SO36 oder dem Festsaal Kreuzberg Proben entnommen. Mit einem Online-Nachweis und einem negativen Test, sollte es von Freitagabend bis Sonntagmittag möglich sein, ungehindert zwischen den sechs am Projekt beteiligten Clubs – Wilde Renate, Crack Bellmer, Metropole, Festsaal Kreuzberg, SO36, KitKat – hin- und herzuwechseln. Eine Woche später, am 13. August, sollen sich die Teilnehmenden zur selben Zeit am selben Ort einfinden, um sich erneut testen zu lassen. Zehn Euro des Ticketpreises werden denen erstattet, die sich an die Vorgaben halten.

Mehrere Corona-Fälle aufgespürt

Schon beim Warten auf den ersten PCR-Test in der Schlange des KitKat Clubs in der Köpenicker Straße wird klar: Trotz Vorverkaufsstress und Extra-Bürokratie liegt eine besondere Stimmung in der Luft. Vor allem die Stammgäste des Erotik-betonten KitKat Clubs, in dem neben kontemporären Techno auch die Grenzen der Intimität ausgelotet werden, äußern sich aufgeregt: "Der Flair von 'Safe Spaces' wie dem KitKat kann nicht auf einem Open Air hergestellt werden. Musikveranstaltungen und Konzerte waren auch schon letzten Sommer unter freiem Himmel wieder möglich. Aber geschützte Räume, in denen man auch mit Nacktheit experimentieren kann, mussten seit März 2020 geschlossen bleiben", erklärt eine Studentin, die für sich und ihre Clique Karten besorgt hat.

Der Aufwand ist für alle Teilnehmenden des Experiments, alleine durch zwei Testtermine vor Ort, höher als vor der Pandemie. So spontan wie früher ist dieses Feiern also nicht. Dennoch bringen die Berliner viel Verständnis für die Verantwortlichen des Modellprojekts auf, auch wenn Chaos bei der Ticket-Personalisierung und lange Wartezeiten in der prallen Sonne natürlich lästig sind.

Am Samstagmorgen wird jedoch klar: Der Aufwand hat sich gelohnt. Es wurden mehrere positive Corona-Tests bei der PCR-Einlasskontrolle aufgespürt. Für die einen geht es leider in Quarantäne, die anderen starten mit mehreren Cluboptionen in den Samstagabend.

"Mensch, ich hab Gänsehaut"

Zertifikat vorzeigen, Maske abnehmen, rein ins Getümmel. Viele Stammgäste des Kreuzberger Kultladens SO36 haben sich zur berühmten Veranstaltung "Dancing with Tears in your Eyes – Xberg finest 80er Party" eingefunden. "Ich bin einfach nur froh, dass diese Instanz überlebt hat. Es sah zwischendrin nicht gut aus. Ich hab mir sofort ein Ticket gekauft und werde hier auch einige Biere trinken – das SO36 tut so viel für die Community. Es ist Zeit für uns als Besucher, das jetzt zurückzugeben", sagt ein Erdkundelehrer aus dem benachbarten Neukölln und spielt auf die vielen sozialen Projekte des Kultladens im Herzen Kreuzbergs an.

Auch wenn noch lange nicht so viel los ist wie vor der Pandemie, strömen immer mehr Menschen mit Glitzer-Make-Up und 80er-Jahre Schulterpolstern in den bunt beleuchteten Innenraum, in dem zum ersten Mal seit langer Zeit wieder ungehindert umarmt und zugeprostet werden darf. Zwei Mädels kippen an der Bar eine Runde Shots. Dann kommt die Retro-Power-Ballade "Africa" von Toto. "Mensch, ich hab Gänsehaut", sagt die eine zur anderen. "Ich habe es so vermisst", stimmt die Freundin zu, dann springen sie auf die Tanzfläche. "Weißt du, warum der Abend so geil wird? Alle haben richtig Bock", sagt ein Typ in Neon-Leggins, der sich gerade einen Longdrink die Kehle runterrinnen lässt.

Großer Andrang im KitKat Club

Dass die Motivation ganz weit oben ist, wird beim rund eineinhalb Kilometer weit entfernten KitKat Club schon in der Schlange davor deutlich. Bereits um 20 Uhr standen hier die ersten an. Denn nur wer ein Ticket für den KitKat Club direkt erworben hat, kommt – mit ein bisschen Gnade der Türsteher – auch sicher rein. Wer Tickets für einen der anderen Clubs besitzt, darf zwar potenziell von Disco zu Disco wechseln. In diversen Whatsapp-Party-Gruppen der Hauptstadt wurde jedoch in den vergangenen Tagen stark diskutiert, wie viele Partygäste der Kink-Club an der U-Bahn-Station Heinrich-Heine-Straße in seine heiligen Hallen lassen darf, was den Hype um das seit 532 Tagen zum ersten Mal wieder stattfindende Event "CarneBall Bizarre" noch zusätzlich befeuerte.

Wie sehr das "Kitty" von den Berlinern geliebt wird zeigt sich auch an der Mühe, mit der sich die exhibitionistischen Partygäste in Schale geworfen haben. Dass viele der knappen Outfits keinen Platz für viel Gepäck lassen kommt den Regeln des Clubs entgegen: Das Handy muss am Eingang abgegeben werden. Die Besucher sollen im Moment leben und die digitale Privatsphäre ihrer Mitmenschen wahren.

Neben diversen Tanzflächen und gepolsterten Rückzugsorten sind auch der Pool und die Sauna des Clubs geöffnet. Eine junge Frau kommt mit zufriedener Miene aus dem Wellnessbereich, sie hat offenbar etwas sehr Aufregendes in der Sauna erlebt: "So müssen auch die Orgien nach der Pest gewesen sein", freut sie sich, bevor sie an einem Joint zieht.

"Kitty ist wie Fahrradfahren, das verlernt man nicht"

Verschwitzte, glückliche Gesichter sind auch vor dem DJ-Pult zu sehen. Das gemeinsame Tanzen und die vielen wiedervereinigenden Umarmungen sind weit entfernt von einer oberflächlichen Bussi-Bussi-Gesellschaft. Hier wird liebevoller Hedonismus zelebriert. Und das auf eine Art, darin sind sich die meisten Besucher einig, die nicht ins Digitale übersetzt werden konnte.

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Trotz der Euphorie gibt es kein nahtloses Anknüpfen an die Ära vor der Pandemie. "Puh, ich bin nicht mehr im Training", sagt ein Typ im Lederharness, der eine kurze Pause vom Raven braucht und seine Beine in den Pool hängen lässt. Auch der "soziale Muskel" muss erst wieder trainiert werden: "Wie geht nochmal Smalltalk?", scherzt eine Israelin, die erst kurz vor der Pandemie in die Hauptstadt gezogen war.

Später, da ist es draußen schon fast taghell, laufen zwei Männer in inniger Umarmung aus dem Club. Der eine atmet tief durch und sagt mit versonnenem Blick: "Kitty ist wie Fahrradfahren, das verlernt man nicht."

Verwendete Quellen
  • Besuch im SO36 und im KitKat Club
  • Eigene Recherche
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