"Protest juristisch als legitim bewertet"? "Letzte Generation" feiert Freispruch, der gar keiner ist
Die "Letzte Generation" jubiliert: Ein Gericht habe den Klima-Protest als legitim bewertet. Die zuständige Gerichtssprecherin schränkt allerdings ein.
In Berlin ist eine Aktivistin der "Letzten Generation" vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen worden. Das teilten die Klimaaktivsten am Montag mit. Am Dienstag bestätigte das Gericht auf Nachfrage von t-online die Meldung allerdings nur teilweise: Ganz so, wie von der "Letzten Generation" behauptet, sei die Sache nicht gewesen.
In dem Fall geht es um eine 21 Jahre alte Frau. Sie hatte sich am 7. November 2022 während einer Straßenblockade der "Letzten Generation" auf der Fahrbahn festgeklebt. Die Staatsanwaltschaft forderte nun, sie wegen Nötigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15 Euro zu verurteilen.
Richter: "Haarsträubende Überdehnung des Gewaltbegriffs"
Der zuständige Jugendrichter des Amtsgerichts Tiergarten konnte in der Klebe-Blockade allerdings keine Nötigung erkennen. Laut der "Letzten Generation" sagte er, es sei eine "haarsträubende Überdehnung des Gewaltbegriffs", in Fällen wie diesem, Nötigung anzunehmen.
Die Aktivisten freuen sich. Das Urteil zeige, "dass unsere Proteste auch juristisch als legitim bewertet werden können", schrieben sie. Insgesamt elfmal seien damit inzwischen in Berlin Verfahren erstinstanzlich zugunsten von Unterstützern der "Letzten Generation" mit Freispruch entschieden worden.
Gerichtssprecherin: Ein kompletter Freispruch war es trotzdem nicht
Gerichtssprecherin Lisa Jani betont hingegen: Anders als von der "Letzten Generation" suggeriert, sei am Montag gar kein vollständiger Freispruch erfolgt. Denn der Richter habe zwar den Vorwurf der Nötigung abgewiesen, dafür aber wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz eine Geldbuße von 150 Euro verhängt – weil sich die festgeklebte Angeklagte nach Auflösung der Versammlung nicht unverzüglich entfernt hatte.
"Die Angeklagte ist also nicht freigesprochen worden", folgert die Gerichtssprecherin, "sondern lediglich wegen einer Ordnungswidrigkeit verurteilt worden – nicht aber wegen Straftaten".
Darüber hinaus hielt die Sprecherin fest, dass Richter unabhängig entscheiden. In Hunderten anderen Fällen hätten Richter am Amtsgericht Tiergarten bereits "die Straftatbestände der Nötigung und des Widerstandes bejaht, wobei einige Spruchkörper den Tatbestand des Widerstandes durch Festkleben verneint haben".
Das Kammergericht könnte Klarheit bringen
Und vor allem: "Eine generelle obergerichtliche Klärung zur Strafbarkeit durch das Kammergericht, an der sich die unteren Instanzen Amtsgericht und Landgericht orientieren könnten (und müssten), liegt noch nicht vor, da die Angeklagten ihre Revisionen gegen die Berufungsurteile jeweils wieder zurückgenommen haben."
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Im Klartext: Wurde bisher ein Klimakleber in erster Instanz freigesprochen, in zweiter am Landgericht dann aber doch verdonnert, sei er bis jetzt nie in Revision gegangen. Das Kammergericht, das endgültige Klarheit bringen könnte, sei daher noch nie zum Zuge gekommen.
Anlasslos dürfe das Kammergericht nicht entscheiden, führte Jani weiter aus. Es habe aber in einigen Fällen schon angedeutet, dass es Klebeblockaden grundsätzlich für strafbar halte.
- letztegeneration.org: "Freisprüche am Amtsgericht Tiergarten"
- Anfrage an Gerichtssprecherin Lisa Jani