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Zum journalistischen Leitbild von t-online.SPD und Grüne in Berlin Eisige Stimmung
Theoretisch hätte Rot-Grün-Rot in Berlin weiterregieren können. Doch das Vertrauen zwischen SPD und Grünen ist gebrochen.
Vor einer "Rücktrittskoalition" warnte Bettina Jarasch (Grüne) am Mittwochabend, als sich die SPD offiziell für eine Große Koalition in Berlin aussprach. Ein Schock für die Spitzenkandidatin der Grünen, die bereits während des Wahlkampfes immer wieder betonte, im bestehenden Bündnis aus Rot-Grün-Rot bleiben zu wollen. Nun werden die Grünen nach sechs Jahren in der Regierung – genauso wie die Linken – wohl in der Opposition landen. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Bezeichnend ist etwa, dass die Grünen und Linken – trotz noch laufender Sondierungsgespräche mit der SPD – offenbar erst aus der Presse von dem Vorhaben der SPD erfahren haben. "Montag sind wir mit der Verabredung auseinandergegangen, dass wir Mittwoch unsere rot-grün-roten Gespräche gemeinsam bewerten und abschließen", sagte Jarasch. Tatsächlich kündigte auch Giffey einen "gangbaren Weg" für eine mögliche rot-grün-rote Koalition an. "Nun hat sich Franziska Giffey gegen die Fortsetzung einer progressiven Politik für Berlin ausgesprochen", so Jarasch wenig später.
"Wahlkampf macht vergesslich"
Ein Vorwurf der Grünen, der zeigt, wie zerrüttet das Verhältnis zwischen Giffey und Jarasch auch auf persönlicher Ebene zu sein scheint. Symbolisch dafür steht auch der Streit um die Friedrichstraße im Wahlkampf. Jarasch setzte als Verkehrs- und Umweltsenatorin ein Autoverbot in Teilen der Straße durch, Giffey bezeichnete dies als "Alleingang." Im t-online-Interview konterte Jarasch, es habe einen festen Zeitplan gegeben, den sie mit Giffey geteilt habe. Anschließend stichelte sie: "Wahlkampf macht offensichtlich vergesslich". Giffey monierte daraufhin, Jarasch habe sie lediglich eine halbe Stunde vor Presseinladung angerufen. Mehr dazu lesen Sie hier.
Aber auch über das persönliche Verhältnis hinaus ist die Stimmung zwischen SPD und Grünen angespannt: "In nahezu allen politischen Teilbereichen haben die Grünen erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Verabredungsfähigkeit aufkommen lassen", heißt es in einem Papier des SPD-Koalitionsausschusses, welches t-online vorliegt.
"Insbesondere wurden sektorübergreifend Zielzahlen oder die Verbindlichkeit von Absprachen in Abrede gestellt", so die Kommission. Aufgelistet sind die betroffenen Themen: Wohnungsbau- und Wohnungsbauförderung, Schulneubau und Schulsanierung, Lehrkräftebildung oder die Fortführung des 29-Euro-Tickets.
Die SPD-Sondierungsgruppe sah sich in den Gesprächen demnach mit ständigen Relativierungen konfrontiert. Den Grünen sei es um "stark überwiegende Eigeninteressen" gegangen, heißt es. Nach der Wahl trennten die SPD und die Grünen lediglich 53 Stimmen. Gut möglich also, dass die Grünen in den Gesprächen ein größeres Mitspracherecht forderten.
Größere Schnittmengen mit der CDU
Der "Tagesspiegel" sieht einen Beleg dafür in einem Papier der Grünen unter dem Titel "Gutes Gelingen – was heißt das konkret?" Darin soll es heißen: "Der/die Regierende Bürgermeister*in macht inhaltliche Vorschläge zu bestimmten Themenbereichen aus den Fachressorts nur nach Einbindung der/des zuständige/n Ressorts sowie nach Kenntnisgabe an die zuständige Senator*in." Giffey sollte also in der Entscheidungsfreiheit eingeschränkt werden, was der SPD offenbar nicht gefiel.
Wie die Zeitung schreibt, war aus Grünen-Kreisen zu hören, dass dieses Papier nur eine Sammlung von Ideen sei. Die Partei um Jarasch sah in der Kritik der SPD demnach einen Vorwand, um die Koalition mit der CDU zu rechtfertigen.
- Schwarz-Rote Koalition: Was wird aus Franziska Giffey?
"Wie kleine Schuljungen behandelt"
Das Tischtuch zwischen Grünen und SPD scheint erstmal zerschnitten zu sein. Die Grüne Bundestagsabgeordnete Renate Künast bezeichnete die Ausführungen der SPD-Sondierer als "Papier der Niedertracht". "Schämt euch, SPD Berlin", schrieb sie in einem Tweet.
Die Grünen warfen den Sozialdemokraten laut "Tagesspiegel" zudem vor, "wie kleine Schuljungen behandelt" worden zu sein. Weiter heißt es aus dem Grünen-Lager, die Stimmung während der Gespräche untereinander sei mies gewesen. Giffey habe es demnach darauf angelegt, die Verhandlungen scheitern zu lassen.
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Die SPD hingegen verweist in ihrem Papier auch auf die "hohe Anzahl ungelöster koalitionsinterner Konflikte im Verlauf der vergangenen sechs Jahre". Diese machten es schwer, mit Rot-Grün-Rot für eine Verbesserung der wichtigen Themenfelder zu sorgen, zumal sich auch die Linken vor einer "Zerreißprobe, deren Ausgang aktuell ungewiss erscheint" befänden.
Letztendlich gebe es in vielen Themenbereichen größere Schnittmengen mit der CDU, heißt es seitens der SPD. Mit den Christdemokraten sehe man eine "bessere Umsetzung der eigenen Vorhaben". Und eine "verbesserte Profilbildung". Der Blick geht also auch gen Zukunft. 2026 stehen in Berlin die nächsten Wahlen an.
- Eigene Recherchen
- Papier des Koalitionsausschusses der SPD Berlin
- tagesspiegel.de: "Wie es zum Bruch der rot-grün-roten Koalition in Berlin kam"
- Mit Informationen der Nachrichtenagentur dpa
- Twitter/Renate Künast