Streik am Flughafen BER "Endlich ist mal Platz zum Putzen"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der Streik am BER legt den Flugverkehr lahm. Das große Chaos bleibt aus, ein paar Gestrandete gibt es aber. Dabei entstehen sogar neue Freundschaften.
Wenn Anzeigetafeln an Flughäfen noch klappern würden, würde das Klappern heute am BER laut durch die Halle tönen. Denn am Berliner Flughafen BER, wo sich um diese Uhrzeit normalerweise Tausende mit teurem Kaffee gegen die Müdigkeit wehren, ihre Koffer ans Ende langer Schlangen wuchten oder mit Blumensträußen auf ihre Liebsten warten, herrscht heute gespenstische Stille.
"Gestrichen" steht in roten Buchstaben an jedem einzelnen Flug auf der digitalen Anzeigetafel. Niemand startet, niemand landet. Ein Streik legt den Flughafen am Mittwoch lahm. Chaos ist aber zunächst keines ausgebrochen. Da der Streik bereits am Montag angekündigt wurde, sind fast alle Fluggäste zu Hause geblieben. Die meisten, aber nicht alle.
"Wir schauen kein deutsches Fernsehen"
"Ich dachte erst, die Anzeigetafel wäre kaputt", sagt Emre. Der junge Mann ist gemeinsam mit seiner Freundin Patricia aus Polen mit dem Bus zum BER gefahren, um nach Singapur zu fliegen. Von dort aus soll es weiter nach Thailand gehen. Die Fluglinie habe sie nicht über den Streik informiert, sagen sie. "Und wir schauen kein deutsches Fernsehen", sagt Emre. Jetzt müssen sie 24 Stunden auf den nächsten Flug warten.
Langweilig wird ihnen bisher nicht, denn sie haben neue Freunde gefunden. Vaclav und Domenica aus Prag wollten denselben Flieger nach Singapur nehmen und dann weiter nach Bali reisen. Jetzt schenkt Vaclav sich und Emre in der BER-Terminalhalle erst mal ein Glas Wein ein und nimmt einen tiefen Schluck.
Streik am BER "bestraft die falschen Leute"
Sie hätten zwar eine E-Mail bekommen, dass es einen Streik gebe, sagt Vaclav. "Aber wir haben gehofft, dass unser Flug vielleicht doch abhebt", sagt er. Eine Frau läuft an der Gruppe vorbei, auch sie will nach Singapur. "Mir hat der Reiseleiter gestern Abend noch gesagt, dass der Flug startet", sagt sie. Kurz bricht Unruhe bei den vier Wartenden aus. "Was, wir fliegen doch?", ruft Domenica. "Nein, er hat Quatsch erzählt", antwortet die Frau. Die Gestrandeten sinken in ihre Sitze zurück.
Vaclav erzählt, dass er sich mit einem Angestellten über den Streik unterhalten habe. "Ich verstehe ihre Wut", sagt er. Offenbar werde viel Geld in den Flughafen, aber nur wenig in die Angestellten investiert. Aber er ist sich nicht sicher, ob er den Streik für angemessen hält. "Das bestraft die falschen Leute. Die Passagiere leiden, nicht der Flughafen." Er hätte sich wenigstens mehr Hilfe vor Ort gewünscht.
Jacqueline López sucht hektisch auf ihrem Smartphone nach einer neuen Verbindung nach Barcelona. Von dort aus fliegt sie in ein paar Tagen zurück in ihr Heimatland Mexiko. Sie hat ihre Schwester Karen besucht, die in Hennigsdorf als Krankenschwester arbeitet. "Als am Montag ihr erster Flug gecancelt wurde, hat sie sich schnell einen anderen für heute gebucht", sagt Karen. Dass es einen Streik gibt, hätten sie nicht mitbekommen. "Am Montag noch konnte man den Flug buchen, jetzt reagiert die Airline nicht auf E-Mails. 350 Euro hat der gekostet", sagt Karen.
Insgesamt scheint die Kommunikation allerdings ganz gut funktioniert zu haben. Nur vereinzelt kommen Menschen mit Koffern am Terminal an. Die Reporterinnen und Reporter der Hauptstadtpresse sind beinahe in der Überzahl.
Verdi fordert 500 Euro mehr Gehalt
Vor dem Flughafen ist mehr los. Auf dem Willy-Brandt-Platz haben sich die Streikenden in gelben Warnwesten versammelt. Auf einer großen Bühne läuft Musik, Biertischgarnituren sind aufgebaut, es gibt gegrillte Würstchen mit Toastbrot.
Die Gewerkschaft Verdi hatte die etwa 6.000 Beschäftigten der Bodenverkehrsdienste, der Flughafengesellschaft und der Luftsicherheit zum Warnstreik aufgerufen. Die Beteiligung sei sehr hoch, sagt Verdi-Verhandlungsführer Holger Rößler. In den drei parallel laufenden Tarifverhandlungsrunden liege man stellenweise noch sehr weit auseinander. "Deshalb mussten wir heute zu dieser Maßnahme greifen", sagt er. Für die Mitarbeiter der Bodenverkehrsdienste und der Flughafengesellschaft fordert Verdi 500 Euro mehr pro Monat. Für die Luftsicherheit geht es um höhere Zeitzuschläge.
"Ich hoffe, dass wir das jetzt endlich mal bekommen", sagt Sven, der als Luftsicherheitsfachkraft am BER arbeitet. "Es ist ein starkes Zeichen, dass wir den Flughafen komplett lahmlegen." Er denke und hoffe, dass der BER damit auch Vorbild für Beschäftigte an anderen Flughäfen sein könnten. Auch Katrin und Marco aus der IT-Abteilung nehmen am Streik teil. "Wir streiken hier solidarisch mit für die unteren Lohngruppen. Alles wird teurer, viele können sich kaum noch die Miete leisten", sagt Katrin. "Die Leute, die hier am Terminal stehen, sind die Prellböcke der Nation."
"Eigentlich sollten wir streiken"
Zurück im Terminal, noch immer ist wenig los. Die tschechisch-polnische Neufreundesgruppe sitzt noch am gleichen Platz und sucht nach Hotels, die Kamerateams suchen nach Gesprächspartnern.
In der Leere fallen Menschen auf, die sonst in der Masse untergehen. Eine Frau entstaubt die Check-in-Schalter, eine weitere wischt ein Treppengeländer, eine dritte fegt den Boden. Für ihre Arbeit sei der Streik toll, sagt eine von ihnen. "Endlich ist mal Platz zum Putzen da, sonst stehen ständig Passagiere im Weg", sagt sie. Sie seien nicht Teil des Streiks, weil sie bei einer externen Dienstleistungsfirma angestellt seien. "Eigentlich sollten wir streiken. Wir bekommen hier am wenigsten", sagt sie. Heute freue sie sich über die Ruhe, "aber irgendwann streiken wir auch".
- Reporter vor Ort