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Berlin: Überraschende Wende vor Gericht – kein Grundrecht auf "oben ohne"


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Nach Vorfall an der Berliner "Plansche"
Kein Grundrecht auf "oben ohne" – überraschende Wende vor Gericht


Aktualisiert am 15.09.2022Lesedauer: 4 Min.
Kein Anspruch auf Schadensersatz: Das Kammergericht hat die Klage von Gabrielle Lebrenton (hier mit ihrer Anwältin Leoni Thum) gegen das Land Berlin abgewiesen.Vergrößern des Bildes
Gabrielle Lebreton (r) mit ihrer Anwältin Leonie Thum: Das Landgericht hat ihre Klage gegen das Land Berlin abgewiesen. (Quelle: Olaf Wagner)
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Das Landgericht Berlin hat die Klage einer Frau abgewiesen, die darauf bestand, "oben ohne" zu gehen. Die Richterin brach die Verhandlung nach einer überraschenden Wende ab.

Es sollte ein "Meilenstein" der Justizgeschichte werden. Die 26. Zivilkammer des Landgerichts Berlin sollte prüfen, ob das Land Berlin gegen sein eigenes Antidiskriminierungsgesetz verstoßen hat, als eine junge Mutter an einem heißen Tag im Juni 2021 erst von zwei Security-Männern und dann von Polizisten aufgefordert wurde, sich auf dem beliebten Wasserspielplatz "Plansche" im Plänterwald ein T-Shirt überzuziehen.

Die Frau, Gabrielle Lebreton, hatte das Land deshalb auf 10.000 Euro Schadensersatz verklagt. Ihre Anwältin hatte angekündigt, dass es ihr darum ging, zu testen, wie belastbar das erst vor zwei Jahren verabschiedete Anti-Diskriminierungsgesetz sei.

Doch die Verhandlung hatte noch gar nicht richtig begonnen, da wurde sie schon wieder abgebrochen. Eike Heinrich Duhme, der Anwalt des Landes Berlin, hatte erklärt, zum Zeitpunkt des Oben-ohne-Vorfalls habe es gar keine schriftliche Nutzungsordnung für den Wasserspielplatz gegeben.

"Keine Nutzungsregeln? Keine Kleiderordnung?"

Ein Raunen ging durch den Gerichtssaal. Das sei ihr neu, bemerkte die Anwältin der Klägerin, Leonie Thum. In den Akten stehe etwas anderes. Auch die Richterin glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. "Keine Nutzungsordnung? Keine Kleiderregel? Das Land Berlin hat damit also gar nichts zu tun?"

An dieser Stelle wurde es spannend. Warum war eine schriftliche Nutzerordnung kurz nach dem Oben-Ohne-Zwischenfall aufgetaucht, und warum wurde sie inzwischen durch den Passus ergänzt: "Die Badebekleidung muss die primären Geschlechtsorgane vollständig bedecken. Dies gilt für alle Geschlechter"? War das Land etwa gar nicht für die Klage von Gabrielle Lebreton zuständig, wenn es zum Zeitpunkt des Vorfalls noch keine schriftliche Ordnung gegeben haben soll? Oder war das nur eine Finte des Anwalts, um das Land Berlin aus der Schusslinie zu nehmen?

Diese Fragen der Journalisten liefen ins Leere. Die Richterin brach die Verhandlung an dieser Stelle ab – sie musste zu ihrer nächsten Verhandlung. Sie werde bis zum Abend prüfen, ob sie noch weitere Beweise brauche oder das Urteil so fällen könnte, kündigte sie an. Drei Stunden später meldete die Pressestelle des Kammergerichts, die Klage der jungen Mutter sei abgewiesen worden. Eine Begründung gab es noch keine. Auf ihren Wortlaut sind Prozessbeobachter schon jetzt gespannt.

"Gerade wenn es keine Nutzungsordnung gegeben haben sollte, hätte das Gericht der Klage stattgeben müssen", sagte die bekannte Frauenrechtlerin Seyran Ateş t-online. Denn wenn es keine Regel gebe, wogegen habe die Frau dann verstoßen?

Haben sich andere Besucher über die nackten Brüste beschwert?

Für die Anwältin von Gabrielle Lebreton spielt das keine Rolle. Auch so hätte es keine rechtliche Grundlage dafür gegeben, dass ihre Mandantin erst von den Security-Männern und dann von der herbeigerufenen Polizei "bis zur Grenze an die Beleidigung" aufgefordert worden sei, sich ein T-Shirt überzuziehen, sagte Leonie Thum.

Andere Eltern hätten sich über ihre nackten Brüste beschwert, hielt der Anwalt des Landes Berlin dagegen – aus Sorge um ihre Kinder, wie er erklärte. "Es geht hier um einen Spielplatz, der ist dafür da, dass sich Kinder frei entfalten können." Und wenn sich Eltern am Anblick der Brüste störten, "weil sie verklemmt oder konservativ sind", dann sei es Aufgabe der Security-Männer, diesen Konflikt gütlich zu lösen. Leider seien die Männer bei diesem Versuch übers Ziel hinausgeschossen, räumte Dume ein. Sie hätten eigentlich nur kontrollieren dürfen, ob sich die Besucher an die Corona-Regeln hielten.

Gesetz soll "Marginalisierte" schützen

Weder das eine noch das andere kaufte ihm die Anwältin der Klägerin ab. Sie wirft der Polizei vor, sie habe in die Freiheitsrechte ihrer Mandantin eingegriffen. Viele Männer seien an diesem Tag bloß mit Badehose oder Badeshorts bekleidet herumgelaufen, ohne dass Besucher am Anblick ihrer nackten Brust Anstoß genommen hätten. Ihrer Mandantin sei dieses Recht aber verwehrt worden, weil sie eine Frau sei.

Thum sagt, das Antidiskriminierungsgesetz sei doch erlassen worden, um "marginalisierte" Menschen vor dem willkürlichen Zugriff der Polizei zu schützen. Welchen Sinn aber mache ein Gesetz, wenn "Hans und Franz sich bei der Polizei beschweren könnten, weil ihnen nicht gefalle, wie der Nachbar herumlaufe – zum Beispiel, weil er lieber Turnschuhe statt Halbschuhe trage?"

Gleiche Brust für alle

Gelächter im Zuschauerraum. Es war nicht der einzige Dialog zwischen den beiden Anwälten, der klang, als hätte ihn sich Loriot ausgedacht. So hatte sich Eike Heinrich Duhme schon geweigert, anzuerkennen, dass auch die männliche Brust ein Geschlechtsmerkmal sei, wenn auch nur ein sekundäres. "Nur beim Bartwuchs können wir uns einigen" , hatte er gesagt.

Der Andrang der Medien bei diesem Prozess war nicht so groß, wie erwartet. Dafür waren einige Sympathisanten und Sympathisantinnen der Klägerin gekommen. Gabrielle Lebreton fährt zweigleisig. Sie hat die Initiative "Gleiche Brust für alle" gegründet, um sich ihr Recht auf "oben ohne" auch mit einer Petition zu erstreiten.

Die Klägerin wird von Feministinnen wie eine Ikone gefeiert

Sie sei "verwirrt", hatte sie nach dem Abbruch der Verhandlung gesagt. Eine schmale und schüchtern wirkende Frau im gelben Pullover. Von Feministinnen wird sie wie eine Ikone gefeiert. Landauf, landab gehen Frauen mit nackten Brüsten auf die Straße, um ihre Forderung zu verbreiten. Entsprechend enttäuscht äußerte sich ihre Anwältin über die Nachricht, dass das Gericht die Klage abgewiesen hat.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Deutschen Presse-Agentur sagte Thum, sie werde es je nach Begründung in jedem Fall anfechten. "Ich sehe hier derzeit keinen überzeugenden Weg, die Klage abzuweisen."

Der Kampf um die "Gleiche Brust für alle", er geht also weiter, egal, ob das besorgten Eltern passt oder nicht.

Verwendete Quellen
  • Reporterin vor Ort
  • Gespräch mit Seyran Ateş
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