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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Suche nach sexuellen Vorlieben Illegales Baggern: Wie Berliner Polizisten ihre Macht missbrauchen
Immer wieder werden in Berlin Polizisten dabei erwischt, wie sie illegal Daten aus dem Polizeisystem abrufen. Teilweise tun sie das aus sexuellem Interesse.
Ein Mann fragt eine Frau per Kurznachricht nach einem Date. Das Problem an der Sache: Er ist Polizist, sie ist Zeugin in einem Strafverfahren und wurde gerade von ihm vernommen. Statt ihm zu antworten, zeigt sie ihn an. Ihre private Handynummer hatte er sich über Poliks besorgt, die interne Datenbank der Polizei.
Das ist einer der Fälle von verbotenen Datenabfragen durch Polizeibeamte, die im Jahresbericht der Berliner Datenschutzbeauftragten stehen. 2021 wurde insgesamt gegen 15 Beamtinnen und Beamte wegen verbotener Datenabfragen ermittelt, gegen 11 wurden Bußgelder verhängt.
Neben der verbotenen Date-Anfrage haben Beamte zum Beispiel Menschen aus dem Umfeld ihrer Ex-Partner kontaktiert oder Daten über Strafverfahren gegen sie selbst oder gegen Verwandte abgerufen.
Auch aktuell gibt es in Berlin Fälle, in denen Polizisten Frauen mit sexueller Absicht kontaktieren
Die Fälle landen auf den Schreibtischen von Henrike Teitge und Cay Cornelius, zuständig für Sanktionen bei der Datenschutzbeauftragten. Die Zahl der verhängten Bußgelder habe in den vergangenen zwei Jahren deutlich zugenommen. "Auch aktuell haben wir einige Fälle abgeschlossen, bei denen Polizisten sich über Poliks Handynummern von Frauen besorgt haben, um sie zu kontaktieren, zum Teil in sexueller Absicht", sagt Cornelius.
In diesen Fällen seien die Beschuldigten bisher ausschließlich Männer. Beamtinnen seien eher an Ex-Partnern interessiert, sagt Teitge. "Eine Polizistin hat aber zum Beispiel mal nachgesehen, was sie so über den Mann herausfinden kann, den sie gerade datet." Eine andere habe alle Ex-Freundinnen ihres Ex-Partners aufgesucht, um über die Beziehung zu ihm und seine sexuellen Vorlieben zu sprechen.
Abfrage kann auch eine Straftat sein
Die Fälle, die beim Team der Datenschutzbeauftragten landen, sind nicht die schwerwiegendsten Verstöße. "Wenn Polizisten Daten abrufen, um sich selber zu bereichern oder anderen zu schaden, ist das eine Straftat und damit ein Fall für die Staatsanwaltschaft", sagt Teitge. Wenn diese keinen Straftatbestand erfüllt sehe, leite sie die Fälle an die Datenschutzbeauftragte weiter, wo sie als Ordnungswidrigkeiten verfolgt würden.
Wie viel genau über eine einzelne Person bei Poliks abgespeichert sei, sei schwer zu sagen. Abzurufen seien zum Beispiel Daten aus dem Melderegister. Sobald man aber mal an einem Strafverfahren beteiligt gewesen sei, auch als Zeuge oder Zeugin, würden auch ausführlichere Kontaktdaten wie etwa Handynummern oder E-Mail-Adressen gespeichert, sagt Teitge.
Stichproben bei Abfragen von Prominenten
Aber wie fliegen die Fälle überhaupt auf? In einzelnen Fällen würden Beamte selbst gegenüber Bekannten oder Verwandten zugeben, sie abgefragt zu haben, sagt Cornelius. Manchmal seien Personen selber misstrauisch, weil Polizisten plötzlich Dinge über sie wüssten, die sie eigentlich nicht wissen sollten.
Eine dritte Möglichkeit: "Einzelne Sachverhalte können in Poliks 'scharfgestellt' werden", sagt Teitge. Eine Person innerhalb der Polizei, die die Zugriffe überwache, erhalte dann immer eine E-Mail, wenn jemand die Daten abrufe. Das werde etwa bei Strafverfahren gemacht, in denen Polizisten beschuldigt sind. "Eine Pflicht gibt es aber nicht, es liegt im Ermessen der Vorgesetzten", so Teitge.
Teilweise würden auch Stichproben durchgeführt werden und etwa nachgeprüft, wer Daten über Prominente oder prominente Fälle abgefragt habe, sagt Teitge. 2019 ging etwa ein Bericht durch die Medien, dass Polizeibeamte in Frankfurt 83-mal versucht hatten, Privates über Helene Fischer herauszufinden. Im Fall "NSU 2.0" wurden an aus Polizeidatenbanken abgefragte Adressen rechtsextreme Drohbriefe verschickt.
"Meist sehr wenig Unrechtsbewusstsein"
Die Dunkelziffer an illegalen Datenabfragen dürfte hoch sein. "Es ist erschütternd, dass bei den meisten Beschuldigten sehr wenig Unrechtsbewusstsein herrscht", sagt Teitge. Oft bekomme sie zu hören: "Das macht doch jeder." Ihr Kollege Cornelius fügt hinzu, dass die meisten Sanktionierten nicht einmalig gegen die Regeln verstießen, sondern oft eine Vielzahl von verbotenen Abfragen getätigt hätten.
Die Bußgelder für die Vergehen lägen, je nach Vergehen, meist im unteren vierstelligen Eurobereich. "Das soll den Polizistinnen und Polizisten schon wehtun und auch andere abschrecken", sagt Cornelius. "Es geht schließlich um das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern in die Staatsmacht, das hier missbraucht wird."
- Gespräch mit Marike Teitge und Cay Cornelius
- Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit: Jahresbericht 2021