Holocaust-Überlebende im Gespräch "Das Leid und Morden dürfen nicht vergessen werden"

In der RWTH Aachen berichten Henriette Kretz und Dr. Leon Weintraub vom Überleben in der NS-Zeit – und erklären, warum Erinnern und Versöhnung so wichtig bleiben.
Zwei Überlebende des Holocausts haben am Dienstagabend (8. April) im Hauptgebäude der RWTH Aachen eindringlich an die Gräuel der NS-Zeit erinnert. Die 91-jährige Henriette Kretz und der 99-jährige Dr. Leon Weintraub sprachen vor mehr als 500 Zuhörern über ihre traumatischen Erfahrungen in Ghettos und Konzentrationslagern. Die Veranstaltung fand im Rahmen der Reihe "Aufklärung statt Ausgrenzung: Antisemitismus im Fokus" statt und wurde von RWTH-Professor Dominik Groß moderiert.
Leon Weintraub erzählte davon, dass er noch ein Jugendlicher war, als die SS ihn mit seiner Familie in das Ghetto Litzmannstadt zwang. Später wurde er nach Auschwitz deportiert, wo er von seiner Mutter und seinen Schwestern getrennt wurde. "Das war das letzte Mal, dass ich meine liebe Mutter gesehen habe", sagte er.
Durch Zufall gelang es ihm, sich einem Gefangenentransport anzuschließen – es folgten Aufenthalte in mehreren Lagern, darunter Groß-Rosen, Flossenbürg und Natzweiler-Struthof. Bei einem Transport ins Landesinnere nutzte Weintraub die Gelegenheit zur Flucht, als der Zug in der Nähe von Donaueschingen beschossen wurde.
Kretz über NS-Zeit: "Lieber verhungern, als erschossen zu werden"
Nach dem Krieg entschied sich Weintraub, in Deutschland zu bleiben. In Göttingen holte er das Abitur nach und studierte Medizin – ohne zuvor eine weiterführende Schule besucht zu haben. Als Gynäkologe fand er später in Stockholm eine neue Heimat. "Ich war voller unbändiger Lebensfreude, ich wusste: Ihr habt es nicht geschafft, mich zu töten, ich lebe."
Henriette Kretz war ein Kind, als sie mit ihrer Familie im ukrainischen Sambor in ein Ghetto gezwungen wurde. Danach wird sie in ein Gefängnis gesteckt, wo sie willkürliche Erschießungen mitbekommt. "Als ich acht Jahre alt war, wollte ich lieber verhungern, als erschossen zu werden", berichtete sie. Nach der Trennung von ihrer Familie überlebte sie unter dramatischen Umständen – unter anderem in einem Kohlenkeller und in einem Kloster. Ihre Eltern wurden erschossen, als ein Versteck verraten wurde – die Schüsse hörte sie noch, als sie floh, so Kretz.
Weintraub: "Das Leid und das Morden dürfen nicht vergessen werden"
Trotz des unvorstellbaren Leids setzen beide Überlebende heute auf Begegnung und Aufklärung. "Wenn ich in eure offenen Augen schaue, fällt es schwer zu glauben, dass viele eurer Großväter und Urgroßväter zu den Tätern gehörten", sagte Weintraub. Vergeben könne er nicht – ihm gehe es um Versöhnung und ums Erinnern. "Das Leid und das Morden dürfen nicht vergessen werden, sonst bringen wir die Millionen unschuldiger Opfer der Nationalsozialisten noch einmal um", sagte er.
Kretz ergänzte, dass gerade die Jugend weiter aufgeklärt werden müsse. "Wenn wir sehen, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft entwickelt, ist vielleicht eine andere Richtung besser. Wir dürfen nicht vergessen, was geschehen ist", appellierte sie.
Die Aula war voll besetzt, das Publikum – viele junge Menschen – hörte teils unter Tränen zu, applaudierte mehrfach und erhob sich zum Schluss. RWTH-Rektor Ulrich Rüdiger bedankte sich bei den Gästen: "Sie helfen, das Unvorstellbare greifbar zu machen."
- Pressemitteilung der RWTH Aachen vom 9. April 2025 (per E-Mail)