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Aachen: Drei Demonstranten erlebten Polizeigewalt bei Neonazi-Aufmarsch


Bei Neonazi-Aufmarsch am 18. Januar
Tobias, Tom und Tarek berichten von Polizeigewalt

Von t-online, abr

18.03.2025 - 12:25 UhrLesedauer: 5 Min.
Gegendemonstranten umstellt: Beim Neonazi-Aufmarsch am 18. Januar kam eine Spezialeinheit der Polizei – die BFE – zum Einsatz.Vergrößern des Bildes
Gegendemonstranten umstellt: Beim Neonazi-Aufmarsch am 18. Januar kam eine Spezialeinheit der Polizei – die BFE – zum Einsatz. (Quelle: Michael Klarmann)
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Bei einem rechtsextremen Aufmarsch geht die Polizei hart gegen Gegendemonstranten vor. Diese beklagen Gewalt seitens der Polizei – die wiederum bestätigt Ermittlungen gegen Polizeibeamte.

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Dort kamen die Rechtsextremen allerdings erst mit zwei bis drei Stunden Verspätung an – rund 1.000 Menschen hatten den Aufmarsch wiederholt blockiert, die ursprüngliche Route musste mehrfach geändert werden. Besonders am Adalbertsteinweg ging die Polizei mit Schlagstöcken hart gegen Gegendemonstranten vor.

Polizei soll "gezielt auf Köpfe, Hände und Knie geschlagen" haben

Unter ihnen waren auch Tobias, Tom und Tarek. Aus Sorge vor Repressionen wollen sie ihre richtigen Namen nicht preisgeben. Sie seien am Nachmittag zunächst bei verschiedenen Kundgebungen im Ostviertel, beispielsweise an der Josefskirche, gewesen. Gegen 16.45 Uhr habe sich eine von insgesamt drei antifaschistischen Gruppen auf dem Adalbertsteinweg in Richtung Bahnhof Rothe Erde, also in Richtung des rechtsextremen Aufmarsches, bewegt. Dieser Gruppe haben sie sich von hinten kommend angeschlossen. Die vordersten Personen hielten dabei ein Banner, zudem wurde Pyrotechnik gezündet.

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Auf Höhe der Sedanstraße sei eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (kurz: BFE) – eine Spezialeinheit der Polizei, die in der Vergangenheit mehrmals wegen überzogener Gewalt kritisiert wurde – von vorn auf die Gegendemonstranten losgegangen. "Die haben ohne Vorwarnung auf die Leute draufgehauen. Irgendwann haben die mit den Schlagstöcken sogar in die Weichteile gestochen", sagt Tobias. Tom pflichtet ihm bei. "Es wurde gezielt auf Köpfe, Hände und Knie geschlagen", sagt er. Er selbst habe ein Muskeltrauma im Knie erlitten und sei ins Krankenhaus gekommen. Bis heute könne er sein Knie kaum bewegen und humpele.

Zeitgleich sei die BFE von hinten angelaufen gekommen – und soll zusammen mit den vorderen Beamten die Demonstranten eingekesselt haben. Tarek sagt: "Wir wurden von beiden Seiten ohne Ankündigung zusammengequetscht." Menschen sollen "panisch" geschrien haben, dass sie keine Luft mehr bekämen. Die Polizei habe dies zunächst ignoriert. "Es gab gar keinen Platz, trotzdem wurde nur gesagt, dass wir zurücksollen, weil es sonst knüppelt", so Tarek, und weiter: "Wir mussten lange diskutieren, dass eine Person, die kurz vorm Umkippen war, rausdurfte." Für zwei Freunde von ihm, die das erste Mal bei einer derartigen Demo gewesen seien, sei es eine "traumatische Erfahrung" gewesen.

Rund fünf bis zehn Minuten habe diese dynamische Phase der Auseinandersetzung gedauert. Dann sei ein Abstand von ungefähr drei Metern zwischen der Polizei und den Gegendemonstranten entstanden – "ein Polizist hat aber trotzdem weiter auf eine Person eingeschlagen", sagt Tobias.

Demonstranten lange festgesetzt: "Alleine das, finde ich, ist Gewalt"

Tarek sagt, ungefähr 200 Menschen seien von der Polizei umstellt gewesen. Darunter auch Minderjährige – sie hätten erst nach längerer Diskussion aus dem "Kessel" hinausgedurft. Bis 23 Uhr sei die Gruppe über Stunden bei eisigen Temperaturen festgesetzt worden – lange ohne Versorgung. "Wir mussten schon diskutieren, dass wir etwas Wasser bekommen", sagt Tarek. Erst spät habe die Polizei Hilfe von Außenstehenden in Form von Trinken, Essen und Wärmedecken zugelassen. Tobias sagt dazu: "Alleine das, finde ich, ist Gewalt – uns über Stunden in der Kälte stehenzulassen."

Nach und nach seien die Festgesetzten aus der Menge herausgezogen und ihre Personalien aufgenommen worden – die Staatsanwaltschaft hatte laut Polizei die Blockade als Verdacht des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz NRW und somit als Straftat bewertet. Auch Tobias, Tom und Tarek hätten sich ausweisen müssen – Tarek beklagt zudem Rassismus seitens eines Beamten. "Der Polizist meinte, dass man wegen meines ausländischen Nachnamens mal gucken müsste, ob bei mir Straftaten vorliegen", sagt er.

Die Polizei spricht später von insgesamt 600 gewalttätigen Straftätern, die entlang der Route versucht hätten, den Aufmarsch zu stören. Tom sieht das anders. "Die Gewalt ging, wie ich finde, von der Polizei aus", sagt er. "Unser Grundziel war, dass Faschisten nicht durch Aachen laufen sollen – das haben wir versucht, mit zivilem Ungehorsam zu erreichen." Er verweist außerdem auf die Route des Marsches, die durch das migrantisch geprägte Ostviertel verlief. Tom sagt: "Die Menschen dort hatten Angst vor denen. Deshalb wollten wir nicht, dass die da langlaufen."

Kritik an Polizei: "Es braucht eine unabhängige Untersuchungskomission"

Auf eine Anzeige gegen Polizeibeamte hätten die drei verzichtet – aus mehreren Gründen. Ein Grund für Tobias: "Fast alle Anzeigen gegen Polizisten werden wieder eingestellt, nur bei zwei Prozent kommt es überhaupt zur Anklage." Das belegen Zahlen des Statistischen Bundesamts. Zudem wüssten sie aus Erfahrung, dass auf eine Anzeige meist eine Gegenanzeige folge. Ein weiterer Grund sei, dass BF-Einheiten in der Regel ohne Kennzeichnung aufträten – die Identität der Beamten könne somit nicht festgestellt werden.

Tarek kritisiert, dass bei polizeilichem Fehlverhalten die Polizei selbst ermittele, und fordert: "Es braucht eine unabhängige Untersuchungskommission." Zudem befürwortet Tarek mehr deeskalierendes Verhalten seitens der Beamten – bei einer ähnlichen Demo in Essen habe er dies schon erlebt. "Da waren die Polizisten nicht so aggressiv und haben keinen Kessel gebildet – das war um Welten besser", sagt er.

Polizei weist Vorwürfe zurück

Auf Anfrage von t-online teilt die Polizei Aachen in einer Stellungnahme mit, dass es am 18. Januar zu "Anwendung von Zwangsmitteln" gekommen sei. Deren Durchsetzung sei erforderlich gewesen. Auf die konkrete Situation am Adalbertsteinweg angesprochen, heißt es von der Polizei: "Die Frage nach einer übermäßigen und damit auch unverhältnismäßigen Zwangsanwendung lässt sich nur im Einzelfall und mit Bezug zu einer konkreten Zwangshandlung überprüfen und beantworten." Zu einem "pauschalen Vorwurf" könne man keine Stellung beziehen.

In Bezug darauf, dass laut Tobias "ohne Vorwarnung" gegen die Gegendemonstranten vorgegangen wurde, heißt es von der Polizei: Von der vorherigen Androhung des unmittelbaren Zwangs könne abgesehen werden, wenn die Umstände es nicht zuließen, "insbesondere wenn die sofortige Anwendung zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig ist." Bei der Situation am Adalbertsteinweg sei "dies der Fall" gewesen, so die Polizei.

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Den Vorwurf von Tarek, dass die Demonstranten stundenlang ohne Versorgung festgehalten worden seien, beantwortet die Polizei folgendermaßen: "Der umschlossenen Personengruppe wurde mit Tee, Wasser und Rettungsdecken die Möglichkeit zur Versorgung gegeben. Auch eine Chemietoilette wurde bereitgestellt." Eine Abfrage, ob sich Minderjährige innerhalb der festgesetzten Gruppe befanden, sei "nach vorliegendem Protokoll erfolgt".

Strafverfahren gegen Polizeibeamte eingeleitet

Die Polizei teilt in ihrer Stellungnahme außerdem mit, dass ein Strafverfahren gegen Polizeibeamte eingeleitet wurde. Um wie viele Beamte es sich handelt, darüber könne man zum jetzigen Zeitpunkt keine Auskunft geben. Die Ermittlungen würden "üblicherweise aus Neutralitätsgründen von einer anderen Behörde geführt werden". Auf erneute Nachfrage antwortet allerdings ein Sprecher der Aachener Polizei: "Die Ermittlungen laufen derzeit bei der Polizei Aachen." Von der Staatsanwaltschaft Aachen heißt es auf Anfrage von t-online genauer, dass "derzeit eine Anzeigesache gegen Polizeivollzugsbeamte wegen Körperverletzung im Amt" geprüft werde.

Polizeivollzugsbeamte sind speziell ausgebildete Polizisten, zu denen zum Beispiel Hundertschaften zählen – auch Spezialeinheiten wie die BFE. In Nordrhein-Westfalen sind BF-Einheiten bei den Behörden in Köln, Wuppertal und Bochum stationiert. Bei Großlagen wie am 18. Januar werden sie in anderen Städten eingesetzt. Da die Polizei Aachen die Ermittlungen selbst übernimmt und die Staatsanwaltschaft konkret von Polizeivollzugsbeamten spricht, liegt es nahe, dass es sich bei dem Strafverfahren um Beamte einer anderen Behörde handelt – um eine konventionelle Hundertschaft oder eine BF-Einheit.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Gegendemonstranten
  • Anfrage an die Polizei Aachen
  • Anfrage an die Staatsanwaltschaft Aachen
  • Eigene Recherche
  • statista.com

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