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Naturphänomen: Urzeittiere in On-Off-See - Seltene Feenkrebse geschlüpft


Naturphänomen
Urzeittiere in On-Off-See - Seltene Feenkrebse geschlüpft

Von dpa
12.03.2021Lesedauer: 3 Min.
Der Eichener See entsteht, wenn aufgrund von starken Regenfällen oder Schneeschmelze der Grundwasserspiegel so weit ansteigt, dass Wasser an die Oberfläche tritt.Vergrößern des Bildes
Der Eichener See entsteht, wenn aufgrund von starken Regenfällen oder Schneeschmelze der Grundwasserspiegel so weit ansteigt, dass Wasser an die Oberfläche tritt. (Quelle: Philipp von Ditfurth/dpa./dpa)

Schopfheim (dpa) - Ein kleiner Salto hier, eine Pirouette da - und dazu ein ständiges Strudeln der filigranen Beinchen: In diesem Wasserglas ist einiges los. Darin tummeln sich seltene "Feenkrebse", eine schätzungsweise 400 Millionen Jahre alte Urzeitkrebs-Art.

Hartmut Heise, 76 Jahre alt und Naturschutzwart, hat sie gerade aus dem Eichener See in Südbaden gefischt - mit spezieller Genehmigung der Behörden, denn die etwa zwei Zentimeter großen Tiere sind streng geschützt. Wenn er über die Krebschen spricht, gerät Heise ein bisschen ins Schwärmen: "Sie gleiten wunderbar durchs Wasser, feenhaft, daher auch der Name", erzählt er.

Dass Tiere in diesem See leben können, ist ziemlich bemerkenswert. Denn die meiste Zeit über existiert das Gewässer gar nicht. Es handelt sich um einen temporären See, der nur zu Tage tritt, wenn es in der Gegend besonders viel regnet oder durch Schneeschmelze Tauwasser anfällt, wie Heise erklärt. Nach unten hin könne das Wasser wegen einer undurchlässigen Schicht in 48 Meter Tiefe nicht gut abfließen. Laufe diese "Wanne" über, erscheine der See.

So groß wie jetzt sei er jahrelang nicht gewesen, sagt Heise: etwa 270 Meter lang und 150 Meter breit. Nach einer gewissen Zeit "verkrümelt der See sich wieder in sein unterirdisches Labyrinth" aus Höhlen in der Muschelkalklandschaft.

Wie schaffen es also Tiere, dieses launische Gewässer zu besiedeln? Mit einer besonderen Strategie, erklärt Hans Pellmann, Biologe und Leiter des Museums für Naturkunde in Magdeburg. Er betreut in seinem Museum eine Sammlung aller in Deutschland vorkommenden Urzeitkrebsarten von verschiedenen Fundstellen.

Die Weibchen des "Tanymastix stagnalis" - so heißt der Eichener Feenkrebs mit wissenschaftlichem Namen - legten Eier ins Wasser ab, in deren Schale die Weiterentwicklung zu sogenannten Zysten erfolge, erklärt Pellmann: einer äußerst widerstandsfähigen Dauerform. Diese Zysten überstehen problemlos das Austrocknen des Sees, harren dann auf der Grasnarbe aus und überleben es sogar, dass ein Bauer einmal im Jahr kommt und die Wiese mäht. "Die Dauerform erlaubt es den Tieren, solche extremen Biotope zu besiedeln, die nur selten und dann auch nur kurzzeitig mit Wasser gefüllt sind", sagt Pellmann.

Fülle sich dann der See wieder - und sei es erst nach mehreren Jahren - schlüpften innerhalb weniger Tage Feenkrebs-Larven. Nach drei bis vier Wochen seien die Tiere ausgewachsen und könnten sich paaren. Während ihres kurzen Lebens seien die Rückenschwimmer ununterbrochen in Bewegung, erzählt der Biologe. Mit ihren elf Beinpaaren strudelten sie sich Plankton in die Bauchrinne, von wo aus die Nahrung zur Mundöffnung gelange. Dort werde die Nahrung dann zerkleinert und in den Verdauungstrakt gedrückt, erklärt Pellmann.

Insgesamt gibt es dem Museumsleiter zufolge elf bekannte Arten von Urzeitkrebsen in Deutschland - wovon zwei jedoch vermutlich schon ausgestorben sind. Urzeitkrebs sei übrigens kein Fachwort, betont er. Den Eichener Feenkrebs finde man außer in Südbaden nur noch an einer Handvoll anderer Orte, darunter in einem bayerischen Gewässer und in einem kleinen Bereich am Rande der Elbe in Brandenburg. Auch bei Pellmann scheinen die Krebschen eine besondere Zuneigung zu genießen: "Sie sehen schon recht sympathisch aus", sagt er.

Am Eichener See entlässt Naturschutzwart Hartmut Heise seine Schützlinge schließlich wieder in die Freiheit. Ihretwegen sei das Gewässer derzeit ein wahrer Wallfahrtsort, erzählt der 76-Jährige. Am Wochenende strömten massenhaft Schaulustige her, und in den vergangenen Tagen habe er schon mehrere Fernsehteams zum Ufer begleitet. Noch drei bis vier Wochen dürfte der Zauber anhalten. Dann sei der See wohl wieder weg, meint Heise. Wer weiß, wann er wieder erscheint - und mit ihm die rückenschwimmenden Urzeitkrebse.

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