Expedition bei minus 35 Grad Die "Polarstern" treibt durch die ständige Nacht
Ein Jahr lang driftet das Forschungsschiff "Polarstern" durch die Arktis. Mit an Bord: Der Bremer Physiker Christian Katlein. Er berichtet von beglückenden und dramatischen Momenten.
Wenn Christian Katlein und seine Kollegen nach draußen gehen, ist es stockfinster - egal ob es zwölf Uhr mittags ist oder Mitternacht. "Wir erarbeiten uns unseren Eindruck von der Umgebung nur mithilfe von Scheinwerfern, Infrarotkameras, Nachtsichtgeräten und Laserscannern", schreibt der 33-Jährige in einer Mail. Dazu kommt eine eisige Kälte: Die Temperaturen rutschten in den letzten Tagen auf bis zu minus 35 Grad Celsius.
Camp auf einer Scholle
Der Meereis-Physiker des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts lebt seit zwei Monaten auf dem Forschungsschiff "Polarstern", das ein Jahr lang - an einer riesigen Eisscholle angedockt - durch die zentrale Arktis driftet. Auf der Scholle ist ein Camp mit zahlreichen Forschungsinstrumenten aufgebaut. 150 Tage ist es während der im September 2019 gestarteten Mammut-Expedition mit wechselnden Forscherteams durchgehend dunkel. Katlein erlebt diese Polarnacht gerade - er empfindet sie als erträglich: Weil es durchgehend dunkel sei, "wird der Körper gar nicht erst daran erinnert, dass es überhaupt so etwas wie Sonne gibt".
Demnächst wird Katlein zusammen mit anderen Wissenschaftlern von einem russischen Versorgungseisbrecher wieder ans norwegische Festland gebracht. Die "Kapitan Dranitsyn" wird Mitte Februar an der Scholle erwartet. Andere Forscher kommen an Bord, um die begonnene Arbeit fortzusetzen. Es ist bereits der zweite Austausch.
Der Riss unter Zelt
Katlein betreut einen ferngesteuerten Unterwasser-Roboter. "Zweimal die Woche vermessen wir die Unterseite des Meereises." Gleich zu Anfang seines Arktis-Aufenthaltes kam es zu einer dramatischen Szene: "Ich entdeckte, wie sich direkt unter dem Zelt, in dem unser Tauchroboter auf seinen nächsten Einsatz wartete, ein halber Meter breiter Riss gebildet hatte." Durch schnelles Handeln habe die Ausrüstung in Sicherheit gebracht werden können. Bereits am nächsten Tag sei der Riss mehrere Meter breit gewesen. Später konnten die Geräte an anderer Stelle auf der Eisscholle wiederaufgebaut werden. "Es war ein sehr beeindruckendes Erlebnis."
Generell werde bis in die späten Abendstunden gearbeitet. "Forschungszeit auf einem Eisbrecher ist sehr kostbar, und wir wollen diese einmalige Chance bestmöglich ausnutzen", betont Katlein, der sonst in Bremen lebt. Ab und zu seien aber ein paar Runden im bordeignen Schwimmbad und entspanntes Schwitzen in der Sauna möglich. Außerdem genieße er die sonntäglichen Filmabende mit den anderen - und die kulinarische Versorgung. "Wer den ganzen Tag bei Temperaturen unter minus 30 Grad Celsius auf dem Eis arbeitet, braucht viel zu essen, um dem Körper den nötigen Brennstoff zum Heizen zuzuführen", unterstreicht der Wissenschaftler. Frisches Obst, Salat und Gemüse stehen allerdings nicht so häufig auf dem Speiseplan.
Das Zusammenleben auf dem Schiff bereite keine Probleme. Sicherlich seien Kompromisse notwendig beim Wohnen in den Zweierkabinen. "Insgesamt ist die Stimmung an Bord aber äußerst gut, da wir alle glücklich sind, unter diesen Bedingungen unsere Arbeit machen zu können." Einen Wunsch hätte er allerdings: "Ich würde sehr gerne einfach mal kurz die Sonne anschalten, um wirklich zu sehen, wie das hier denn so alles aussieht." Dazu wird er noch einmal die Gelegenheit bekommen. Auf der vorletzten Etappe von Mitte Juni bis Mitte August wird Katlein erneut auf die "Polarstern" kommen. Die Polarnacht ist dann vorbei.
- Nachrichtenagentur dpa