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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Typhoid Mary" Dieser Erreger brachte den Tod
Unwissentlich trug die Köchin Mary Mallon einen gefährlichen Erreger in sich. Und verbreitete ihn mittels einer Nachspeise – Mallons "Bestrafung" war hart.
Der Tod kam mit dem Nachtisch. Jedem der Speisenden füllte die Köchin Mary Mallon eine Portion Eis und geschälte Pfirsiche in eine kleine Schüssel. Damit es hübsch aussah, rückte sie mit den Fingern alles zurecht. Finger, die sie sich zuvor nicht gewaschen hatte.
Es waren die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts. Hygiene war noch ein relativ neues Konzept: Niemand wusch sich freiwillig die Hände, wenn sie nicht gerade vor Dreck starrten. Mallon säuberte sich auch dann nicht die Hände, wenn sie gerade von der Toilette zurückkam. Geradewegs zurück an die Arbeit ging sie, arrangierte die Speisen mit ihren bloßen Händen. Mit Fingern, an denen der Tod klebte – Salmonella typhi, der Typhus-Erreger.
Der Überträgerin auf der Spur
Die irische Köchin May Mallon war die erste bekannte sogenannte "Dauerausscheiderin" der Medizingeschichte. Obwohl sie das Typhus-Bakterium in sich trug, zeigte sie selbst keinerlei Symptome. Vermutlich hatte sie sich bereits im Mutterleib infiziert, denn ihre Mutter erkrankte während der Schwangerschaft.
Von ihrer Infektion nichts ahnend, wuchs Mary auf, wanderte mit 15 Jahren in die USA aus und begann, sich ihren Lebensunterhalt als Köchin bei reichen Familien in New York und New Jersey zu verdienen. Vielleicht wäre es nie aufgefallen, dass sie Salmonella typhi dauerhaft in sich trug – wäre ihre besondere Spezialität, mit der sie ihre Arbeitgeber verwöhnte, nicht ausgerechnet die Eiscreme mit Pfirsichen gewesen.
Denn während fast jede andere Speise gekocht, gebacken oder gebraten und damit das Bakterium abgetötet wurde, blieb Salmonella typhi in der Milchspeise und dem ungewaschenen Obst quicklebendig. Das Muster war immer gleich. Eine reiche Familie stellte Mary ein, wenige Wochen darauf erkrankten mehrere Familienmitglieder an Typhus.
In den Jahren zwischen 1900 und 1907 wechselte sie achtmal den Arbeitgeber. Unter anderem kochte sie für die Familie des New Yorker Bankiers Charles Henry Warren. Als die Familie in die Sommerfrische nach Long Island zog, kam Mary mit. Doch es sollte kein entspannter Urlaub werden: Sechs von elf Familienmitgliedern bekamen schlimmen Durchfall.
Unabhängiger Gutachter sollte Quelle finden
Für den noblen Urlaubsort eine ungewöhnliche Häufung, denn Typhus kannte man eigentlich nur als eine Krankheit, die von verseuchtem Wasser in ärmlichen Wohngebieten verursacht wurde. Der Vermieter des Sommerhauses machte sich große Sorgen. Wenn sich herumsprach, dass die sanitären Anlagen in seinem Domizil einen Typhus-Ausbruch verursacht hatten, würde er es nie wieder vermieten können.
Also beauftragte er mehrere unabhängige Gutachter, um die Quelle zu finden. Doch weder in den Leitungen noch in den Toiletten noch im Swimmingpool fanden sie eine Spur von Salmonella typhi. Einer dieser Gutachter war George Soper, ein Bautechniker, der auf Umwegen einen Ruf als Seuchenexperte erworben hatte. Das Ferienhaus in Oyster Bay war nicht sein erster Fall.
Und Soper wurde stutzig, als er bei seinen Recherchen immer wieder auf eine Person stieß: eine groß gewachsene, resolute, irische Köchin. Soper fand Mallon, als er zu seinem nächsten Fall gerufen wurde: ein Typhus-Ausbruch an der Park Avenue im Haus eines gewissen Walter Bowen. Sie stand in der Küche und bereitete das Essen zu, während zwei Bedienstete und Bowens Tochter bereits stark geschwächt im Bett lagen.
Soper verlangte auf der Stelle Stuhlproben von ihr – woraufhin sie ihn mit einer Tranchiergabel aus der Küche jagte. Als er die Gesundheitsbehörde der Stadt New York informierte, reagierten diese sofort. Es brauchte allerdings fünf Polizisten und die Hilfe der Ärztin Josephine Baker, um Mary Mallon aus der Küche zu zerren und in das Polizeiauto zu stecken.
Operation abgelehnt
Im Krankenhaus mussten die Pfleger Mary ans Bett fesseln, um sie ruhigzustellen. Doch obwohl sie offensichtlich bei Kräften war, wimmelten ihre Exkremente nur so von Salmonella typhi. Das Gericht sah keinen anderen Ausweg. Am 19. März 1907 wurde Mary Mallon, die von den Zeitungen mittlerweile nur noch "Typhoid Mary" genannt wurde, zur Quarantäne auf North Brother Island verurteilt, einer kleinen Insel mit einem Isolationskrankenhaus im East River.
Die Ärzte schlugen ihr vor, die Gallenblase, in der sich die Bakterien eingenistet hatten, zu entfernen. Doch die Operation hätte auch tödlich ausgehen können – und Mary lehnte ab. Man probierte allerlei experimentelle Therapien aus, gab ihr Hexamethylenamin, Hexamethylentetramin, Abführmittel und Brauereihefe, doch nichts vermochte die Bakterienlast zu reduzieren.
Die Ärzte versuchten, ihr klarzumachen, dass sie nie wieder als Köchin arbeiten dürfe. Doch Mary hatte nichts anderes gelernt und wollte nicht auf die lukrativen Jobs bei den reichen Familien New Yorks verzichten. Stattdessen verklagte sie die Gesundheitsbehörde und beschwerte sich bitterlich darüber, wie ein Versuchskaninchen gehalten zu werden.
Schließlich hatte sie Erfolg. Nach zwei Jahren und elf Monaten durfte Mary Mallon North Brother Island verlassen – allerdings unter der strengen Auflage, nicht wieder als Köchin tätig zu werden. Halbherzig versuchte sie das auch, doch als Wäscherin verdiente sie nicht einmal halb so viel. Schließlich nahm sie ihren alten Beruf wieder auf. Allerdings hätte man sie in den Küchen der gehobenen Gesellschaft schnell gefunden, der Weg war ihr verbaut.
Einfach unverbesserlich
Stattdessen heuerte sie als Köchin in Gemeinschaftseinrichtungen an, arbeitete für Hotels und Restaurants – und hinterließ eine Spur von Krankheit und Tod. Soper fand sie schließlich 1915 im Sloane Hospital, einem Krankenhaus für Frauen in New York City, nachdem dort 25 Menschen an Typhus erkrankt und zwei gestorben waren.
Man brachte Typhoid Mary wieder zurück nach North Brother Island. Längst war sie nicht mehr die einzige bekannte Dauerausscheiderin von Salmonella typhi. 237 weitere Träger des Bakteriums zählte die Stadt New York City bis zu ihrem Tod 1938. Und Mary war nicht einmal die gefährlichste. Während die offizielle Zählung ihr rund 50 Erkrankungen und drei Todesfälle zuschreibt, verursachte der Milchmann Tony La Belle, alias Frank Boni, 107 Erkrankungen und 6 Todesfälle.
Tony La Belle allerdings war nach zwei Wochen Quarantäne wieder ein freier Mann. Mary Mallon aber durfte North Brother Island nie wieder verlassen, zusammengerechnet lebte sie rund 26 Jahre dort in Quarantäne. Später arbeitete sie in dem kleinen Krankenhaus auf der Insel, wo Patienten mit ansteckenden Krankheiten isoliert gepflegt wurden, als Reinigungskraft im Labor. Nebenbei verdiente sie sich heimlich ein kleines Taschengeld – mit dem Backen von Kuchen, die sie an die Familien der Krankenhausmitarbeiter verkaufte.
- Eigene Recherche
- Filio Marineli u.a.: "Mary Mallon (1869-1938) and the history of typhoid fever", in: Annals of Gastroenterology 2013 (26,2), S.132–134.
- nationalgeographic.de: "Typhoid Marys Tragödie: Ein Krankheitsverbreiter auf der Flucht"