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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Beatles"-Star wird 80 Paul McCartney ist nicht von allein so genial geworden
Die Beatles wurden verdammt, avancierten trotzdem zu Stars. Immerhin befand Boxlegende Muhammad Ali die Pilzköpfe als gar nicht so "blöd". Doch McCartney und Co. waren sogar ziemlich genial.
Das Urteil war kurz, aber grausam. "75 Prozent Publicity, 20 Prozent Frisur und 5 Prozent Geträller" würden den Erfolg der Beatles ausmachen, befand einst die "Herald Tribune". Die "Newsweek" war ebenfalls wenig angetan von den akustischen Erzeugnissen der vier Jungs aus Liverpool: "Musikalisch sind sie eine Beinahe-Katastrophe."
Besondere Abscheu erregte die Band aber bei einem gewissen Norman F. Buckley, einem erzkonservativen Gralshüter in den USA: "Sie sind so unfassbar entsetzlich, so abstoßend unmusikalisch, so grundlegend unempfindlich gegenüber dem Zauber der Kunst." Allein der spätere Boxgigant Cassius Clay, den die Beatles 1964 persönlich trafen, gewann dem Quartett etwas Positives ab: "Ihr seid gar nicht so blöd, wie ihr ausseht."
Rekorde über Rekorde
So viel Hass auf der einen, so viel Bewunderung auf der anderen Seite: Die Beatles ließen eben kaum jemanden unberührt. Denn die Beatlemania hatte in den Sechzigerjahren fast den gesamten Erdball erfasst. Wie niemand zuvor hatten sie die Wortkombination "Nummer eins" monopolisiert, keine andere Band so oft die Charts angeführt wie die "Pilzköpfe" – was sowohl Singles als auch Alben betrifft. Millionen kauften die Platten, Zigtausende Fans, vor allem weibliche, kreischten sich bei Konzerten die Kehlen heiser.
Ex-Beatle Paul McCartney feiert nun am 18. Juni seinen 80. Geburtstag. Wie aber gelang ihm, John Lennon, George Harrison und Ringo Starr (er ersetzte 1962 den bisherigen Schlagzeuger Pete Best) überhaupt der Durchbruch, der sie zu den wichtigsten Musikern des 20. Jahrhunderts machte?
In seinem Buch "One Two Three Four. Die fabelhaften Jahre der Beatles" gibt Craig Brown, seines Zeichens britischer Journalist, Satiriker wie ausgewiesener Kenner der Band, Antwort auf diese Frage. Und auf viele mehr, kurzweilig und informativ spürt der Autor dem Erfolg der Beatles nach.
An guten Bands mangelte es im Liverpool Anfang der Sechzigerjahre weiß Gott nicht. Gerry and the Pacemakers waren etwa ein heißer Tipp, geadelt mit einigen Nummer-eins-Hits. Aber Gerry und Co. waren eben nicht die Beatles, wie Craig Brown schreibt, die einen unschlagbaren Vorteil hatten: "Es gab einen Beatle für jeden Geschmack." Klingt merkwürdig? Ist es aber nicht.
"Der Schutzheilige aller Versager"
"Laut oder besinnlich, progressiv oder traditionell, ernst oder fröhlich, folky, sexy oder aggressiv", wären andere Bands laut Brown dieser Zeit an- und aufgetreten. Nicht so die Beatles, die aus vier Künstlern bestanden, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Denn jeder der vier Liverpooler Jungs war charakterlich ganz anders gestrickt. Die einen Fans verehrten besonders Paul, die anderen John, wiederum andere hatten eine Schwäche für George oder Ringo.
Brown zitiert mit Carolyn See eine jahrzehntelange Anhängerin der Beatles: "Wer androgyne Schönheit mochte, nahm Paul; John war für diejenigen, die Witz und Intellekt schätzten; George liebte man aufgrund einer schwer fassbaren Eigenschaft, die wir später als Spiritualität erkannten; und Ringo war weltweit der Schutzheilige aller Versager."
Das Duo McCartney und Lennon trieb allerdings die Unterschiedlichkeit innerhalb der Band auf die Spitze. Craig Brown greift dazu tief in die Kiste mit Adjektiven: "Paul hatte ein Babyface, war akribisch, heiter, diplomatisch, energisch, melodiös, einnehmend, optimistisch, kontaktfreudig, fröhlich, sentimental, beflissen." Auch Lennons Wesen ist mit nur einem Wort schwer zu beschreiben: "John war kantig, schludrig, larmoyant, schwierig, faul, gereizt, provokant, sarkastisch, pessimistisch, ichbezogen, launisch, cool, brutal."
Was so gegensätzlich klingt, war die perfekte Mischung für die perfekten Songs. In "Getting Better", 1967 erschienen auf dem legendären Album "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club" Band, verkündete McCartney an einer Stelle, dass schon alles besser werden würde. So viel ungetrübten Optimismus hielt John Lennon nicht aus. Und hielt im Songtext fest, dass "es nicht schlimmer werden" könnte.
Flegeljahre einer Jahrhundertband
Fast möchte man angesichts dieser Aussage den Blick auf die Anfänge der Beatles richten: Wie sie 1960 in Hamburg (noch mit Pete Best und dem früh verstorbenen Stuart Sutcliffe) auftraten, untergebracht auf wenigen Quadratmetern, dafür mit nackten Betonwänden, wie Brown es ausdrückt. Und wo sie gewissermaßen ihre Flegeljahre auslebten, mit Drogen, Frauen und Provokation.
Für Letztere war insbesondere Lennon wie geschaffen. Einmal präsentierte er auf der Bühne seinen Allerwertesten, bei einer anderen Gelegenheit hatte er zumindest eine Unterbuxe an – dafür konfrontierte er das Publikum mit Klobrille um den Hals mit dem alten Nazi-Gruß "Sieg Heil". Auch der wesentlich unkompliziertere Paul ließ es durchaus krachen – und verbrachte einmal eine Nacht auf der Polizeiwache. Wenn auch zu Unrecht der Brandstiftung beschuldigt.
Überhaupt Hamburg, beziehungsweise der wenig erfolgreiche erste Ausflug der Beatles dorthin: Im Dezember 1960 kehrte McCartney zurück nach Liverpool und nahm wegen vorübergehender Perspektivlosigkeit eine Stelle an. Bei Massey & Coggins, einem Fabrikanten von Kabeln. Guter Lohn, beliebt bei der Chefetage, das Leben des Paul McCartney hätte an diesem Punkt eine entscheidende Wendung nehmen können, schreibt Autor Brown. Statt zum gefeierten Star zu werden, hätte der Beatle auch eine gutbürgerliche Existenz aufbauen können.
Zum Glück für die Musikgeschichte redeten John Lennon und George Harrison McCartney solche Flausen aus. Die Beatles gab es weiterhin. Mit Brian Epstein erhielt die Truppe schließlich auch einen Manager, der ihr Manieren beibrachte. Die Zeiten von blankgezogenen Gesäßen und "Sieg Heils" sollten vorbei sein. Stattdessen gab es Maßanzüge und jede Menge Verzicht: Kaugummi, Zigaretten und Schimpfwörter waren vor Publikum fortan tabu, dekretierte Epstein. Zur Sicherheit erhielten die Beatles die Anweisungen schriftlich.
Es fehlte plötzlich etwas
McCartney wird mit den Benimmregeln sicher besser ausgekommen sein als John Lennon, der Erfolg gab Epsteins Tugendkanon aber Recht: Erst begeisterten die Beatles Großbritannien mit großartigen Songtexten gepaart mit wunderbarer Musik, bald auch den gesamten Erdball. Aber nicht allein das kongeniale Songschreiberduo Lennon/McCartney sorgte für die Außergewöhnlichkeit der Gruppe.
"Ich weiß, dass ich meine Bissigkeit verloren habe", zitiert Craig Brown aus einem McCartney-Interview von 1980 des Magazins "Time Out". "Man darf nicht vergessen, dass diese Bissigkeit von allen Beatles kam – wenn Ringo oder George etwas nicht gefiel, flog es raus." So spielten alle vier eine Rolle beim Erfolg der Band, wenn auch die Urheberschaft "Lennon/McCartney" einem Song schier überirdische Poesie einhauchte.
Es kommt dann fast einer Ironie gleich, dass ausgerechnet der als brav geltende Paul McCartney 1970 den Schlussstrich unter die Beatles zog. Aber nur fast. Eigentlich war es immer McCartney gewesen, der sich den Blick für die Wirklichkeit bewahrt hatte.
Alistair Taylor, engster Mitarbeiter des 1967 verstorbenen Managers Brian Epstein, beschrieb einmal, wie die einzelnen Beatles mit den monatlichen Finanzabrechnungen verfuhren. Craig Brown zitiert: Lennon schob den "Umschlag zerknittert in die Tasche", während "George einen kurzen Blick" darauf riskierte. Starr wiederum habe die Abrechnung schlichtweg nicht verstanden. Ganz anders McCartney: "Paul öffnete den Umschlag vorsichtig und verzog sich stundenlang in eine Ecke des Büros, um die Abrechnung in allen Einzelheiten zu studieren."
Einer fand die Beatles-Trennung gut
Während 1970 dann Millionen Fans nach der Beatles-Trennung trauerten, hatte ein Mann Verständnis. George Martin, Arrangeur und Produzent, der die Band viele Jahre lang begleitet und einen nicht geringen Anteil an ihrem Aufstieg hatte: "Ich finde, es war völlig richtig, dass sie’s getan haben." McCartney wird es ähnlich sehen. Immerhin schrieb er weiter Musikgeschichte, solo und mit seiner neuen Band Wings.
Umstritten werden die Beatles immer sein, sie haben es sicher auch so gewollt. John Lennon mit seinem Hang zur Aufsässigkeit ganz sicher. Damit geht es ihnen ähnlich wie Cassius Clay, den sie 1964 getroffen hatten. Kurze Zeit später bezwang Clay den amtierenden Weltmeister Sonny Liston. Noch im Boxring schrie Clay es heraus: "Ich habe die Welt erschüttert! Ich bin der Größte aller Zeiten!"
Gleiches könnten die Beatles in musikalischer Hinsicht von sich behaupten. Paul McCartney würde dies aber sicher bescheidener ausdrücken. Übrigens, herzlichen Glückwunsch, Sir Paul!
- Eigene Recherche
- Craig Brown: One Two Three Four. Die fabelhaften Jahre der Beatles, München 2022