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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Cheops-Pyramide Wie kosmische Strahlen das Geheimnis der verborgenen Kammer lüfteten
Bis heute ist die Cheops-Pyramide Gegenstand von Spekulationen. Birgt das gigantische Bauwerk eventuell eine Sensation? 2017 lüfteten Forscher ein weiteres Geheimnis. Mit kosmischer Hilfe.
Seit rund 4.500 Jahren thront die Cheops-Pyramide als größte von drei Pyramiden auf dem Gizeh-Plateau rund 20 Kilometer südwestlich der Innenstadt von Kairo. Und seit 4.500 Jahren vergeht vermutlich kein Tag, an dem nicht Grabräuber, Forscher und Touristen rätseln, ob im Inneren der Pyramide nicht noch unentdeckte Geheimnisse ruhen.
Nach so langer Zeit ist es unwahrscheinlich, dass der riesige Steinbau noch Überraschungen bereithält. Und doch ist es vor vier Jahren einem internationalen Forscherteam gelungen, in dem Bauwerk eine bislang unbekannte Kammer zu finden. Und zwar kein kleines Zimmerchen, sondern einen versteckten Hohlraum von mindestens 30 Metern Länge.
Ein künstlicher Berg
Pharao Cheops regierte während der 4. Dynastie des Alten Reichs von 2509 bis 2483 vor Christus. Ägypten war mächtig und stark während seiner Herrschaftszeit – und diese Macht und Stärke wollte Cheops mit seinem Grabmal zum Ausdruck bringen. Auf einer Basis von etwa 53.000 Quadratmetern ragt es in den Himmel von Gizeh. 2,3 Millionen Kalksteinblöcke mussten Arbeiter und Sklaven im Steinbruch abbauen, behauen, zum Bauplatz transportieren und aufschichten.
Das Ergebnis ist so gewaltig, dass die Cheops-Pyramide gemeinsam mit ihren beiden kleineren Schwestern, den Pyramiden der Pharaonen Mykerinos und Chephren, bereits in der Antike zu den sieben Weltwundern zählte. Von außen sind die Wände der Cheops-Pyramide glatt. Doch im Inneren befinden sich mehrere Räume. Es gibt eine Königskammer und eine Königinnenkammer, eine große Galerie, eine Sarkophagkammer sowie mehrere Luftschächte und Entlastungskammern.
Für ihre Suche nach weiteren Hohlräumen nutzte der Physiker Kunihiro Morishima von der Universität von Nagoya in Zusammenarbeit mit französischen Experten für 3D-Computerdarstellungen sowie Ingenieuren von der Universität Kairo Myonendetektoren. Myonen sind winzige Elementarteilchen. Ihr Einsatz beginnt, wenn kosmische Strahlung aus dem Weltall auf die Sauerstoff- und Stickstoffmoleküle der Erdatmosphäre trifft. Die Einschläge lösen Schauer von Elementarteilchen aus, die Richtung Erde geschleudert werden. Viele davon bleiben noch in der Erdatmosphäre hängen. Bei denjenigen, die es hindurchschaffen, handelt es sich in der Regel um Myonen.
Kleine Helfer aus dem Kosmos
Ein Myon ist etwa 200 mal schwerer als ein Elektron. Mit dieser großen Masse und der hohen Geschwindigkeit, mit der es unterwegs ist, kann es im Gegensatz zu Röntgen- oder Gammastrahlen auch dichtes Material wie Beton oder Stein relativ unbehelligt durchdringen. Und es verursacht dort – anders als Röntgen- oder Gammastrahlen – keinen Schaden.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Myonen sind überall und ungefährlich, es braucht keine Strahlenquelle, um eine Messung durchzuführen. Der Nachteil: Sie sind rar. Im Schnitt treffen nur hundert von ihnen pro Sekunde auf einen Quadratmeter. Wer also versuchen will, die Myonen zu zählen, die durch eine große Masse reisen, um so eine Art Röntgenbild des Gebildes zu erhalten, braucht viel Geduld.
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Das Team der Scan Pyramid Mission um Kunihiro Morishima platzierte zwei unterschiedliche Detektoren – dabei handelt es sich um an der Nagoya-Universität in Japan entwickelte Platten mit myonenempfindlicher Emulsion – in der Königinnenkammer der Cheops-Pyramide. Zur Kontrolle installierten sie außerdem an der Nordwand des Bauwerks einen dritten Detektor, der die Teilchen mit Argongas nachwies. Dann hieß es warten.
Die Sensation war perfekt
Nach mehreren Monaten zeigten alle drei Detektoren das gleiche Bild: Über der Großen Galerie – ein 46 Meter langer und rund 8,5 Meter hoher Korridor, der zur Grabkammer führt – liegt ein weiterer Hohlraum. Ob es sich dabei allerdings um einen durchgehenden Raum oder um eine Abfolge mehrerer Kammern handelt, war aus den Pyramiden-Scans nicht erkennbar.
Bereits in den 1960er Jahren, kurz nach Entdeckung der Myonen, hatte der amerikanische Physik-Nobelpreisträger Luis Alvarez bereits versucht, eine Pyramide mithilfe von Myonenstrahlung zu durchleuchten. Er wählte für sein Experiment die benachbarte Pyramide des Chephren und stellte seine Messgeräte in einer Kammer in ihrem Inneren auf. Seine Detektoren erfassten jedoch keine unbekannten Hohlräume, weshalb die Experimente nicht fortgesetzt wurden.
Die neuen Ergebnisse zeigen jedoch, dass Alvarez mit seinem Versuchsaufbau genau das Richtige getan hatte. Sein einziger Fehler damals war, die falsche Pyramide zu scannen. Um die Ergebnisse zu überprüfen, führte ein weiteres Team von japanischen Teilchenphysikern sowie Forschern der französischen Atomenergiekommission erneut Messungen an der Cheops-Pyramide mit jeweils anderen Methoden durch.
Auch sie konnten an der Stelle einen riesigen Hohlraum bestätigen. Im November 2017 veröffentlichten die Wissenschaftler ihren Fund schließlich in der Fachzeitschrift "Nature". Dass in der neu entdeckten Kammer allerdings Schätze oder gar Mumien liegen, ist eher unwahrscheinlich. Sie könnte beispielsweise ein Überbleibsel vom Bau der Pyramide sein: eine Rampe, auf der die tonnenschweren Steinblöcke für das Dach der Sarkophagkammer emporgezogen wurden.
Das Geheimnis wird gewahrt bleiben
Nach Abschluss der Bauarbeiten könnte diese dann mit losem Gestein gefüllt worden sein, das auf den Myonendetektoren einen ähnlichen Schatten hinterlässt wie ein Hohlraum. Auch eine weitere Entlastungskammer wäre denkbar, die Druck vom Dach der Großen Galerie ableiten sollte. Rein statisch wäre dies zwar nicht nötig gewesen, doch ein ähnlicher Hohlraum befindet sich auch über der Königskammer.
Sollte die neu gefundene Kammer tatsächlich Geheimnisse bergen, werden diese aber vermutlich unentdeckt bleiben. Denn es gibt keinen einfachen Weg hinein. Einen Korridor, der zu dem Hohlraum führt, konnten die Forscher auf den Myonen-Scans nicht entdecken. Und einen neuen Gang zu der Kammer zu bohren könnte die Statik des gesamten Bauwerks gefährden. Auch eine minimalinvasive Untersuchung mittels eines kleinen Roboters, wie sie vor zehn Jahren in einem Schacht unterhalb der Königskammer der Cheops-Pyramide stattfand, ist in absehbarer Zeit nicht geplant.
- Eigene Recherche
- Kunihiro Morishima, Mitsuaki Kuno u.a.: Discovery of a big void in Khufu’s Pyramid by observation of cosmic-ray muons, in Nature, volume 552, pages 386–390 (2017)