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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Geheimnisse Ägyptens Von diesem mythischen Ort stammt das Gold der Pharaonen
Gold, Weihrauch und exotische Tiere importierten Ägyptens Herrscher aus Punt. Doch wo genau dieses mysteriöse Reich lag, ist umstritten. Eine Spurensuche.
Zu Zeiten der 12. Dynastie erzählten die Ägypter sich ein Märchen. Ein Offizier berichtet darin von einem Seemann, dessen Schiff einst bei einem Sturm zerschmetterte. Ein Welle spülte den Unglücklichen ans Ufer einer einsamen Insel, auf der er unermessliche Reichtümer fand. Herrscher über diese Schätze war eine Riesenschlange aus Gold mit Augenbrauen aus Lapislazuli. Statt ihn jedoch zu verschlingen, begrüßte die Schlange den Seemann ganz freundlich und versprach ihm eine sichere Heimkehr. Als dieser ihr für die Gastfreundschaft mit Geschenken danken wollte, lachte das Riesenreptil ihn nur aus: Es habe doch schon alles – schließlich sei es der Herrscher von Punt.
Für die Ägypter war Punt ein Märchenland, ein Ort unermesslicher Reichtümer. Ta netjer nannten sie es auch: Land der Götter. Doch Punt war nicht nur ein Mythos, Punt war tatsächlich ein realer Ort. Es gab nicht nur Märchen, die von den sagenhaften Schätzen erzählten, sondern auch Rückkehrer, die sie mit ihren eigenen Augen gesehen hatten. Sie berichteten von Elfenbein in Punt, von Weihrauch und Gold. Aber auch von exotischen Tieren, wie sie die Menschen am Nil noch nie gesehen hatten: Elefanten, Giraffen und Paviane.
Herrscher eines mächtigen Reiches
Hatschepsut, Pharaonin der 18. Dynastie, wollte etwas von diesen Schätzen abhaben. Also schickte sie im neunten Jahr nach ihrer Thronbesteigung eine Handelsexpedition los. Was ihre Gesandten ihr nach der Rückkehr berichteten, war so außergewöhnlich, dass sie es auf den Wänden einer Halle ihres Totentempels im Deir el-Bahari am Westufer des Nils in Theben verewigen ließ. Leider sind die Wandmalereien heute kaum noch zu erkennen. Doch als junger Mann zeichnete Howard Carter, Entdecker des Grabes von Tutanchamun, die damals noch farbenprächtigen Bilder für seinen Auftraggeber und Lehrer Henri Édouard Naville ab.
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Von diesen Zeichnungen wissen wir, dass die Menschen in Punt runde Hütten auf Stelzen bewohnten und sich weiße Hunde hielten. Neben den Behausungen grasten Kühe, im angrenzenden Dickicht lebten Affen, Leoparden und Nilpferde. Der wohl merkwürdigste Anblick aber war die königliche Familie von Punt. Kurze Inschriften erläutern, dass die Bilder den König Parihu und seine Frau Ati sowie die zwei Söhne und die Tochter des Paares zeigen.
Ein mächtiger Mann muss Parihu gewesen sein, denn er trug seinen Bart eingeflochten und am Ende leicht nach oben gebogen – so wie es in Ägypten nur den Göttern oder verstorbenen Pharaonen zustand. Seine Frau war an Armen, Beinen und Hals mit Schmuck behängt. Und sie war schwer übergewichtig. Wülste hingen von ihren Armen und Beinen. Der Rücken bog sich im krankhaften Hohlkreuz, ihr Hinterteil war weit herausgestreckt. Auch ihre Tochter zeigte schon einen ähnlichen Körperbau, die Söhne dagegen waren schlank wie der König selbst.
Den Beleg dafür, dass Hatschepsut nicht einfach nur ein bekanntes Märchen auf ihre Tempelwände malen ließ, sondern dass Punt tatsächlich existierte, fanden die Archäologin Kathryn Bard von der amerikanischen Boston University und ihr italienischer Kollege Rodolfo Fattovich von der Universität Neapel "l'Orientale" kurz vor Weihnachten im Jahr 2004. Im Wadi Gawasis unweit der Küste des Roten Meeres entdeckten sie in mehreren Höhlen die Reste einer Schiffsflotte.
Eine Flotte aus der Vergangenheit
Die Taue lagen noch sorgsam aufgerollt am Boden – gesichert mit Knoten, die ein ägyptischer Seemann vor Tausenden von Jahren geschlagen hatte. Unter einem Sandhaufen, zum Teil angefressen von Termiten, entdeckten die Ausgräber die Reste von 21 Holzkisten. Alle waren leer. Aber auf einer Kiste stand noch zu lesen, was sie einst enthielt: "Wundervolle Dinge aus Punt". Dank Keramikscherben, die in den Höhlen verstreut lagen, konnten die Forscher auch sagen, wann die letzten Seeleute hier gewesen waren: Es waren Händler aus der Zeit von Hatschepsut.
Wo Punt einst gelegen hat, wussten sie damit allerdings immer noch nicht, denn eine Wegbeschreibung hatten die Seeleute nicht hinterlassen. Nur einen Hinweis fanden die Archäologen. Sie entdeckten winzige Löcher in den Planken, hineingefressen von Schiffsbohrwürmern, einer Muschelart. Diese Würmer aber leben nur im Salzwasser, die Schiffe mussten also eine lange Fahrt auf dem offenen Roten Meer zurückgelegt haben.
Einen weiteren Versuch, über Tiere dem sagenhaften Goldland Punt auf die Spur zu kommen, unternahm ein Team von Anthropologen um Nathaniel Dominy an der University of California Santa Cruz. Sie untersuchten zwei Pavianmumien, eine aus dem Tal der Könige, die andere aus dem Tempel des Chons in der Ruinenstadt Theben. Denn zwar waren die Tiere in Ägypten beliebt, am Nil aber nicht heimisch. Sie zählten zu den beliebten Importgütern – unter anderem aus Punt.
Eine Isotopenanalyse sollte klären, wo die Tiere gelebt hatten, bevor sie nach Ägypten kamen, denn jeder Ort der Erde hat sein ganz eigenes Verhältnis von Sauerstoff-Isotopen. In den Körperzellen eines Lebewesens lässt sich ablesen, wo diese entstanden sind. Zum Vergleich nutzten die Forscher Felle von Pavianen aus Eritrea, Somalia, Äthiopien, Jemen und Mosambik. Tatsächlich wurden sie bei einem der Tiere fündig. Der Pavian aus dem Tal der Könige hatte lange in der Region von Eritrea und dem östlichen Äthiopien gelebt. War er ein Importgut aus Punt gewesen?
Bei allen diesen Erkenntnissen handelt es sich um Indizien. Wo genau das sagenhafte Goldland aber gelegen hat, ist bis heute unbekannt. Im Jahr 1998 allerdings erklärte sich eine Region im nordöstlichen Somalia am Horn von Afrika unabhängig. Das junge Gebiet gab sich einen alten Namen: Puntland.
- Eigene Recherche
- Angelika Franz: Tutanchamun. Leben, Tod und Geheimnis, Frankfurt/Main 2017