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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Parallele zu unserer Gegenwart? Als Dürre und Eiszeit Europa erschütterten
Das Klima der vergangenen Jahre gleicht auffällig der Wetterlage zu Beginn des 14. Jahrhunderts. Nach einer anfänglichen Dürre versank Europa damals in einer verheerenden Kälteperiode.
Anfang des 14. Jahrhunderts wurde es kalt auf der Welt. Die Winter schienen unendlich lang, die Sommer viel zu kurz für den Kreislauf aus Aussaat, Wachstum und Ernte. Im weiteren Verlauf der sogenannten Kleinen Eiszeit rückten in den Alpen die Gletscher so weit vor, dass sie Gehöfte und Dörfer unter ihrer Last zerquetschten.
Der Hunger führte zu bitteren Kriegen um die mageren Ernten. Mit den geschwächten Körpern der Land- und Stadtbevölkerung hatte die Pest ein leichtes Spiel, allein zwischen 1346 und 1353 raffte der Schwarze Tod rund ein Drittel der Bevölkerung Europas hinweg.
Die Arktis ist ein entscheidender Faktor
Der Wandel kam plötzlich. Unmittelbar bevor der Spuk begann, hatte Europa einige Jahre lang während einer ausgeprägten Hitze- und Dürreperiode schwitzen müssen. Und diese Hitzewelle, warnen Forschende der Leibniz-Institute für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) und für Troposphärenforschung (TROPOS) in einem Aufsatz im Fachjournal "Climate of the Past", gleiche auf beängstigende Weise der Wetteranomalie, unter der Kontinentaleuropa seit 2018 leide.
Damals wie heute sei das Klima durch eine verstärkte Erwärmung der Arktis geprägt. Diese sogenannte Arktische Verstärkung sorgt dafür, dass der Temperaturunterschied zwischen den mittleren Breiten und der Region um den Nordpol abnimmt. Und zwar dramatisch: In den letzten Jahrzehnten stiegen die Temperaturen in der Arktis mehr als doppelt so schnell wie in anderen Regionen der Erde. Die Angleichung führt dazu, dass weniger atmosphärischer Austausch stattfindet: Die Wetterlagen werden stabiler.
Das bedeutet jedoch, dass Hitze oder Kälte sich aufstauen: "Die Übergangszeit zwischen zwei Klimaphasen könnte durch geringere Temperaturunterschiede zwischen den Breitengraden geprägt sein und länger anhaltende Großwetterlagen verursachen, was eine Zunahme von Extremereignissen erklären könnte", mahnt Patric Seifert vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung, der sich als Meteorologe um die Rekonstruktion der Großwetterlagen in der Studie kümmerte, in einer Pressemitteilung.
Warnungen übersehen?
Es sind eben diese Übergangszeiten, die den Forschern Sorgen bereiten. Denn die Vorzeichen standen 1302 bis 1307 ganz ähnlich wie seit 2018. Bislang hatten sich Klimaforscher und Historiker zumeist auf den Beginn der Kleinen Eiszeit und die Folgen für die Menschen Europas konzentriert. Die Warnzeichen der vorausgegangenen Dürrejahre aber wurden dabei meist übersehen.
Für die Rekonstruktion des Klimas studierten die Forscher nun vor allem historische Dokumente aus Oberitalien, Südostfrankreich und Ostmitteleuropa: "Wir wollen damit zeigen, dass der historische Klimawandel viel besser rekonstruiert werden kann, wenn nicht nur Klimaarchive wie Baumringe oder Sedimentkerne genutzt werden, sondern auch historische Quellen", erklärt Martin Bauch vom Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa, der die Forschungsgruppe leitet. "Das Einbeziehen der geisteswissenschaftlichen Forschung trägt deutlich dazu bei, die gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels in der Vergangenheit besser zu verstehen und Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen."
In den Archiven fanden die Forscher erschreckende Hinweise auf die Dürrejahre unmittelbar vor der Kleinen Eiszeit. In Italien und Frankreich gingen beispielsweise die Städte in Flammen auf. "Große Stadtbrände folgten meist ein Jahr nach den Dürren", führt Bauch aus. "Die Holzstrukturen in den mittelalterlichen Häusern reagierten mit Verzögerung. Wenn sie aber einmal ausgetrocknet waren, entzündeten sie sich sehr leicht." Das wohl berühmteste Beispiel ist der große Brand von Florenz, bei dem das Feuer am 10. Juni 1304 über 1.700 Häuser zerstörte.
Gluthauch am Mittelmeer
Auch Wassermangel wurde in Oberitalien zum Problem. Die Städte Siena und Parma mussten ihre Brunnen vertiefen, um die Bevölkerung versorgen zu können. Und Siena begann sogar mit dem Bau eines eigenen Hafens im rund 100 Kilometer entfernten Talamone, um Getreide importieren zu können, nachdem auf den Feldern in der näheren Umgebung die Ernte verdorrt war. Die Dürre war bis nach Afrika zu spüren, auch der Nil führte in jenen Jahren deutlich weniger Wasser als sonst.
Der Gluthauch der Dürrejahre war rund um das Mittelmeer von 1302 bis 1304 zu spüren, während es nördlich der Alpen noch feucht blieb. Dann aber schlug das Pendel um. Die Hitze im Süden wich starken Regenfällen, dafür litten nun West- und Mitteleuropa unter der Hitze. Wissenschaftlich ist dieses Phänomen als Niederschlagswippe (Precipitation Seesaw) bekannt, ein starker Kontrast zwischen extrem hohen Niederschlägen in einem Teil von Europa und extrem niedrigen Niederschlägen in einem anderen.
So wie wir es auch aus der jüngsten Vergangenheit kennen: "2018 lagen beispielsweise sehr stabile Tiefs lange über dem Nordatlantik und Südeuropa, was zu starken Niederschlägen dort und einer extremen Dürre dazwischen in Mitteleuropa führte", erläutert Seifert. Nach 1310 aber wurde es dann überall kalt in Europa. Als Dante-Anomalie kennen die Klimaforscher den Beginn der Kleinen Eiszeit, benannt nach dem italienischen Dichter und Philosophen Dante Alighieri, der die Klimaextreme in seiner Göttlichen Komödie verarbeitete.