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Erfindung der Schneekugel: Warum Barack Obama eine ganz besondere bekam


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Das Geheimnis der Schneekugel
Eine zufällige Erfindung faszinierte US-Präsidenten


25.12.2020Lesedauer: 4 Min.
Schneekugel: Seit vielen Jahrzehnten produziert die Familie Perzy die kleinen Kunstwerke.Vergrößern des Bildes
Schneekugel: Seit vielen Jahrzehnten produziert die Familie Perzy die kleinen Kunstwerke. (Quelle: Christian Fürst/dpa)
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Eigentlich sollte der Tüftler Erwin Perzy I. eine Erleichterung für Chirurgen austüfteln. Stattdessen erfand er die moderne Schneekugel

In der ersten Schneekugel rieselte kein Schnee. Ein Vogel saß darin in einem Käfig, um ihn herum schwammen Fische in Wasser. So entstand die Illusion, dass der Vogel in einem Aquarium leben würde. Die clevere Täuschung in der Kugel hatte Leonhard Thurneysser im Jahr 1572 bei der Grimnitzer Glashütte in Auftrag gegeben.

Illusion und Täuschung waren sein täglich Brot, denn der Sohn eines Goldschmiedes verdiente seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf selbst erfundener Heilmittel und Hoffnung – in Form von Horoskopen und Talismanen. Als Alchemist suchte er nach Edelsteinen in der Mark Brandenburg und nach Gold im Schlick der Spree.

Im Auftrag der Medizin

Seine Glaskugel sollte lange ein Einzelstück bleiben. Erst 328 Jahre später wurde sie erneut erfunden – von dem Chirurgieinstrumentenmechaniker Erwin Perzy I. Der hatte von Wiener Spitalsärzten den Auftrag bekommen, die Beleuchtung in ihren Operationssälen zu verbessern. Zwar war die Glühlampe gerade erst erfunden worden, doch der glimmende Kohlefaden warf nur funzeliges Licht, das für komplizierte Operationen bei Weitem nicht ausreichte.

Perzy I. experimentierte zunächst mit dem Prinzip der Schusterkugel: einer wassergefüllten Glaskugel, wie Handwerker sie nutzten, um diffuses Sonnen- oder Kerzenlicht zu fokussieren und so ihren Arbeitsplatz besser auszuleuchten. Doch zufrieden war er damit noch nicht. Feine Glaspartikel, die er ins Wasser streute, verbesserten zwar die Lichtbrechung, sanken aber schnell auf den Grund der Kugel. Schließlich fand er im Küchenregal seiner Mutter eine Packung Grieß. Die kleinen Weizenteilchen machten das Licht der Glühlampe nicht heller, aber Perzy I. gefiel, wie sie langsam zu Boden rieselten – wie Schnee in einer stillen Winternacht.

Der gelernte Instrumentenmechaniker war ein Bastler aus Leidenschaft. Gerade erst hatte er für einen Freund, der Souvenirs für Pilger vor der Wallfahrtskirche von Mariazell in Österreich verkaufte, ein winziges Modell des Gotteshauses angefertigt. Das steckte er in einen Glaskolben mit Grieß – und fertig war die erste Schneekugel. Kaum hatte sein Freund das Objekt auf seinen Stand gestellt, fand sich auch schon ein Käufer. Statt OP-Lampen produzierte Perzy I. bald Pilger-Souvenirs in Serie, fünf Jahre später meldete er gemeinsam mit seinem Bruder Ludwig ein Gewerbe an.

Der Grieß hat ausgedient

Die Original Wiener Schneekugelmanufaktur gibt es noch heute. Inhaber und Geschäftsführer ist Erwin Perzy III., der Enkel des findigen Chirurgieinstrumentenmechanikers. Einiges hat sich geändert, seit sein Großvater das erste Modell der Wallfahrtskirche Mariazell in den Glaskolben schob. Lange schon rieselt kein Grieß mehr in den Kugeln, denn der begann bereits nach kurzer Zeit in dem Wasser zu fermentieren.

Zunächst löste eine Mischung aus Hartwachs und Magnesiumpulver die Weizenkrümel ab, heute wirbelt in den Kugeln eine streng geheime Mischung aus Wachs und Kunststoff. Die Rezeptur ist einzigartig: Bis zu zwei Minuten lang schweben die Teilchen in den größeren der Kugelmodelle langsam zu Boden. Und längst verlassen nicht nur Kirchenbauten die Werkstatt. Japanische Kunden lieben Riesenräder sowie Porträts der Komponisten Mozart und Strauß.

Für den amerikanischen Markt produziert die Schneekugelmanufaktur Disney-Prinzessinnen im Schnee. Und in den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt es Kunden, die ein Kamel oder einen Ölbohrturm im Sandsturm wollen.

Alles Marke Eigenbau

Vieles aber ist auch gleich geblieben in der Werkstatt in der Wiener Schumanngasse, die gleichzeitig ein kleines Museum beheimatet. Noch immer stellt Erwin Perzy III. alles selbst her, sogar die Werkzeuge. Lediglich die Glaskugeln werden in Bulgarien geblasen. Veraltet ist sein Betrieb deswegen noch lange nicht. Im Gegenteil, die Figuren druckt er mit dem 3D-Drucker, als Material verwendet er recyceltes Plastik.

Jede der 200.000 Schneekugeln, die jedes Jahr seine Werkstatt verlassen, wird von den 15 Mitarbeitern – sechs davon Familienmitglieder – und 40 Heimarbeitern per Hand zusammengesetzt. Viele von ihnen sind Einzelstücke, die Perzy III. auf Bestellung anfertigt. Darunter waren auch drei Schneekugeln für amerikanische Präsidenten.

Ronald Reagan wollte eine haben, in der Schnee auf seine kalifornische Familienranch del Cielo rieselt. Für Bill Clinton baute Perzy III. eine mit Konfetti von der Party zu seiner Amtseinführung. Und Barack Obama bekam eine mit Sachertorte, Riesenrad, Stephansdom und Lipizzaner. Davor tanzten der Präsident mit Ehefrau Michelle und den beiden Töchtern Sasha und Malia. Als die Kugel gerade fertig war, legten die Obamas sich Hund Bo zu.

Also machte Perzy III. die Kugel noch einmal auf und setzte Bo mit hinein. Die Schneekugel war ein Geschenk eines weiblichen Obama-Fans – sie wollte den 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten damit nach Wien locken. Ob er wegen der Kugel oder vornehmlich doch für politische Gespräche nach Wien kam, ist nicht bekannt. Aber das Modell gefiel Ayda Field, der Ehefrau von Sänger Robbie Williams, so gut, dass sie bei einem Wienbesuch eine Kopie davon für ihren Mann kaufte.

Nur eines würde Erwin Perzy III. aber nie in eine seiner Schneekugeln füllen: Kriegsspielzeug. Panzer oder Gewehre haben in seinen magischen Winterlandschaften nichts verloren. "Ich bin Pazifist", sagte er im vergangenen Jahr in einem Interview mit der österreichischen Zeitung "Der Standard". "Die Schneekugel soll eine heile Welt sein."

Mittlerweile steht der dritte Perzy kurz vor der Rente. Doch die nächste Generation wartet schon in den Startlöchern. Seine Tochter Sabine hat erst die Vienna International Business School besucht, danach vier Jahre lang Werkzeugmacherin gelernt. Mittlerweile ist sie schon für die meisten Produktionsabläufe verantwortlich, ihr Vater kann sich so ganz aufs Entwerfen neuer Figuren konzentrieren.

Nur ein Bereich ist ihr noch vorenthalten. Erst an dem Tag, an dem sie die Firma übernimmt, wird ihr Vater den Tresor aufmachen, die geheime Schnee-Formel herausholen und sie in ihre Hände legen.

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