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Veteran des Zweiten Weltkriegs: "Ich habe die Deutschen nicht gehasst"


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Veteran der Roten Armee
"Ich habe die Deutschen nicht gehasst"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 09.05.2020Lesedauer: 5 Min.
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Historische Aufnahmen: Wie Deutschlands verbrecherischer Krieg begann und sich zur Tragödie des 20. Jahrhunderts entwickelte. (Quelle: t-online)

Er wollte seine Heimat gegen die Nazis verteidigen: An Bord seines Panzers kämpfte David Dushman als Soldat der Roten Armee gegen die Wehrmacht. 1945 half er bei der Befreiung von Auschwitz.

Es gibt einen besonderen Tag im Kalender von David Dushman: Der 9. Mai, Jahrestag des Sieges der Roten Armee über die Wehrmacht. Welche Verbrechen im Namen des Nationalsozialismus begangen worden sind, sah Dushman 1945 in Auschwitz mit eigenen Augen. Mit seinem Panzer vom Typ T-34 hat er den Zaun des Lagers niedergefahren.

Heute erinnert sich Dushman im Gespräch mit t-online.de, warum er damals in den Krieg zog, wo er kämpfte und warum er nie Hass auf die Deutschen empfunden hat.

t-online.de: Herr Dushman, was bedeutet der 9. Mai für Sie, der Tag, an dem die deutsche Wehrmacht vor der Roten Armee bedingungslos kapitulierte?

David Dushman: Der 9. Mai ist für mich der heiligste Feiertag überhaupt! An diesem Tag erinnert sich die ganze Welt daran, dass die Rote Armee geholfen hat, die braune Pest zu besiegen. Ich wünsche mir, dass der 9. Mai niemals vergessen wird.

Am 27. Januar 1945 waren Sie an der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz beteiligt. Sie sind einer der letzten Zeitzeugen, die davon berichten können. Was haben Sie an diesem Tag erlebt?

Uns wurde befohlen, nach Auschwitz zu fahren. Es hieß, wir sollten ein Lager befreien. Sie müssen wissen, dass ich damals zur Besatzung eines Panzers, eines T-34, gehörte. Als wir in Auschwitz ankamen, fuhren wir als erstes den elektrisch geladenen Zaun nieder. Und beschossen die deutschen Stellungen, um den Weg für die Infanterie frei zu machen.

Was haben Sie dann auf dem Gelände des Lagers gesehen?

In Auschwitz sahen wir das Grauen. Menschliche Skelette wankten aus den Baracken, überall Tote. Wir waren nicht darauf vorbereitet, was uns dort erwartete.

David Dushman, Jahrgang 1923, lebte zunächst mit seiner Familie in Minsk, dann in Moskau. 1941 meldete sich Dushman freiwillig nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion zur Roten Armee. Anfang 1945 war er an der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz beteiligt. Dushman studierte nach Kriegsende unter anderem Sport, wurde 1951 sowjetischer Meister im Fechten und war später Trainer der sowjetischen Fecht-Nationalmannschaft der Frauen. Heute lebt Dushman in München.

Was haben Sie dann unternommen?

Den Überlebenden haben wir alle Lebensmittel gegeben, die wir an Bord hatten. Dann fuhren wir los, um wieder die Faschisten zu jagen. Wir gehörten dort eigentlich auch nicht hin, die 1. Ukrainische Front war für die Einnahme von Auschwitz zuständig. Ich gehörte aber zur 1. Weißrussischen Front.

Sie entstammen selbst einer jüdischen Familie. Was bedeutet es für Sie, Auschwitz mit befreit zu haben? Den Ort, an dem so viele Juden von der SS ermordet worden sind?

Es macht mich stolz. Aber Sie müssen wissen, dass ich erst später erfahren habe, was für eine Todesfabrik Auschwitz tatsächlich gewesen ist.

Haben Sie die Deutschen gehasst? 1941 hatte die Wehrmacht die Sowjetunion überfallen, dort einen Vernichtungskrieg geführt. 1945 haben Sie dann das Grauen in Auschwitz selbst gesehen.

Nein, ich habe die Deutschen nicht gehasst. Wir haben nicht gegen die Deutschen gekämpft, sondern gegen den Faschismus! Das ist mir wichtig.

Sprechen wir einmal über die Zeit vor dem Krieg und Ihre Familie: Ihre Eltern waren Mediziner?

Ja, mein Vater Alexander Dushman war Militärarzt Ersten Ranges, meine Mutter Bronislawa Kinderärztin. Wir haben einige Zeit in Minsk im heutigen Belarus gelebt, dann wurde mein Vater 1931 als Leiter einer Sanitätseinheit nach Moskau versetzt. Dort nahm das Unglück dann seinen Anfang.

Was ist passiert?

1938 gab es bei uns eine Durchsuchung durch die Geheimpolizei. Und mein Vater wurde abgeführt. Es war eine furchtbare Zeit, ein Jahr lang wussten wir nicht, wo er ist. Wir haben nichts gehört. In der Schule spielten die anderen Kinder nicht mehr mit mir. Weil sie Angst vor dem Sohn eines Staatsfeindes hatten.

Ihr Vater war ein Opfer des "Großen Terrors", den Josef Stalin in der Sowjetunion ausgelöst hatte.

Ja. Schließlich erfuhr meine Mutter, dass mein Vater sich im Arbeitslager in Workuta befand. Ganz weit im Norden der Sowjetunion.

Antisemitismus war auch in der Sowjetunion verbreitet.

Der Antisemitismus existierte dort immer, aber er betraf mich nicht so sehr. Weil jeder wusste, dass ich sofort meine Fäuste einsetzte. Witze über Juden wurden in meiner Gegenwart nicht erzählt.

1941 meldeten Sie sich dann nach dem deutschen Überfall vom 22. Juni auf ihr Land freiwillig zur Roten Armee. Warum?

Als die Nachricht vom Krieg im Radio kam, bin ich sofort auf mein Motorrad gesprungen und zum Militärkommando gefahren. Für alle kam der Überfall völlig überraschend. Aber ich wollte mein Land verteidigen. Am 2. Juli war ich dann schon Soldat, ich war 18 Jahre alt.

Sie wollten aber noch ein anderes Ziel erreichen.

Das stimmt. Ich dachte damals, dass ich meinen Vater aus dem Lager holen könnte. Indem ich bewies, dass ich ein guter Patriot bin.

Hat es funktioniert?

Nein. Mein Vater ist nach dem Krieg im Lager gestorben. Er ist irgendwo dort in Workuta begraben.

Sie selbst waren auch oft während des Krieges in Lebensgefahr.

Das stimmt. Eigentlich wollte ich bereits früher in eine Einheit, die im Hinterland des Feindes eingesetzt werden sollte. Aber sie haben mich nicht genommen. Als Sohn eines Staatsfeindes und Jude noch obendrein. Das hat mich sehr verletzt. Später wurde ich zu einer Panzereinheit kommandiert.

An Bord des berühmten T-34.

Den T-34 zu lenken erfordert eine gewaltige Kraft! Unten saß der Fahrer beziehungsweise Mechaniker, oben der Kommandeur.

Gleich in der ersten Schlacht wurden Sie verletzt.

Ja, das stimmt. Es war eine ernsthafte Wunde im Bauch, ich kam nach Karaganda zur Genesung. Später kämpfte ich dann in den Schlachten von Stalingrad und Kursk. Richtig schlimm verletzt wurde ich aber kurz nach der Befreiung von Auschwitz.

Bitte erzählen Sie.

Es war in der Nähe von Warschau. Unser Panzer brannte, meine Kameraden sprangen raus auf eine Mine. Mein Rücken war aufgerissen, meine Lunge war verletzt. Mit einer Operation haben sie mein Leben gerettet.

Wo waren Sie dann am 9. Mai 1945?

Ich war in Armenien zur Erholung. Aber jeder hat schon länger gespürt, dass der Tag des Sieges nahe war.

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Sie wurden oft ausgezeichnet. Mehr als 40 Orden wurden Ihnen verliehen. Auf welche sind Sie besonders stolz?

Ich habe etwa den Orden des Großen Vaterländischen Krieges 1. Grades erhalten. Das war eine große Ehre.

Was haben Sie nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht?

Ich stand zum Kriegsende im Range eines Hauptmanns. Ich habe dann angefangen, Medizin zu studieren.

War das Ihr Wunschfach?

Besondere Freude bereitete mir das Medizinstudium nicht. Aber was tut man nicht alles für seine Eltern, die wollten, dass ich die Familientradition als Arzt fortsetze.

Tatsächlich hatten Sie bereits eine andere Leidenschaft entdeckt.

Ja, das stimmt. Ein alter Freund meines Vaters war Fechtlehrer, und er schlug mir als Kind vor, mich damit zu beschäftigen. Damals begann meine Liebe zum Fechten, die ein ganzes Leben bis heute andauert. Ich studierte später im Fernstudium Sport. Bei Spartak Moskau war ich dann Trainer.

Sie haben selbst und später als Nationaltrainer große Erfolg erzielt in diesem Sport.

Darauf bin ich bis heute sehr stolz.

Mussten Sie auch noch nach dem Krieg Antisemitismus erdulden?

Leider ja. Die Sowjetunion war vor dem Krieg meine Heimat. Aber später sah ich die UdSSR immer kritischer. Und vor allem Stalin.

Eine letzte Frage: Denken Sie heute noch an Ihre Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg?

Ich versuche, mich nicht an den Krieg zu erinnern. Und träume zum Glück auch nicht von ihm. Aber ich hoffe, dass nicht vergessen wird, was der Krieg damals angerichtet hat. Ich war in den Fünfzigerjahren in Buchenwald. Der Vernichtungswille der Nazis übersteigt jede Vorstellungskraft. Ich hoffe, dass so etwas nie wieder geschieht.

Herr Dushman, vielen Dank für das Gespräch.

  • 75 Jahre Ende Zweiter Weltkrieg: Alle Artikel in der Übersicht

Übersetzung aus dem Russischen: Alexandrina Belinska und Kurt Rippich

Verwendete Quellen
  • Schriftliches Interview mit David Dushman
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