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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Neuassyrisches Reich Brachten Megadürren die antike Supermacht zu Fall?
Neuassyrien war das erste Großreich der Geschichte. Doch es ging in kürzester Zeit unter. Warum? Forscher haben nun das damalige Klima untersucht und sprechen auch für die Gegenwart eine Warnung aus.
"Während meiner Regierungszeit ließ Ramman seinen Regen los, öffnete Ea seine Wasserhöhlen, ward das Getreide fünf Ellen hoch in seinen Ähren, ward die Ähre 5/6 Ellen lang, ließen die Baumpflanzungen die Frucht üppig werden, hatte das Vieh beim Werfen Gelingen", prahlte der Neuassyrische Herrscher Aššur-bāni-apli noch im Jahr 667 vor Christus. "Während meiner Regierungszeit kam der Überfluss massenhaft herab, während meiner Jahre stürzte reichlich Segen hernieder."
Was der König nicht wissen konnte: Die fetten Jahre waren vorbei. Das Klima kippte. Assyrien stand am Beginn einer verheerenden Dürreperiode. Und die Klimaveränderungen, die Assyrien in den kommenden Jahrzehnten erleben würde, sollten so gewaltig werden, dass es dieses Reich bald schon nicht mehr geben würde.
Begünstigte das Wetter den Aufbau des Reiches?
Wie eng der Aufstieg und Fall des größten und mächtigsten Reiches, das die Welt bis dahin je gesehen hatte, mit dem Klima verknüpft war, konnte jetzt eine Forschergruppe um Ashish Sinha von der California State University, Dominguez Hills, nachweisen. In einem Aufsatz in der Publikation "Science Advances" analysiert und datiert das Team Mineralablagerungen von zwei Stalagmiten aus der nordiranischen Kuna Ba-Höhle, etwa 300 Kilometer südöstlich der assyrischen Hauptstadt Ninive.
In den Sauerstoff- und Kohlenstoffisotopen der Zapfen fanden sie eine jahresgenaue Chronik des Niederschlags in der Region – über eine Zeitspanne von 4.000 Jahren. Und tatsächlich spiegelte das Klima die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse in dem Großreich erschreckend genau.
Der Reichtum, den Aššur-bāni-apli beschreibt, verdankte Assyrien einer außergewöhnlich feuchten Klimaperiode. Zwischen 850 und 740 v. Chr. hatte es in der Region deutlich mehr als sonst geregnet. Die Stalagmiten zeigen, dass in diesen Jahren im Schnitt 15 bis 30 Prozent mehr Regen vom Himmel fiel als sonst in der Region üblich. Diese fruchtbare Periode setzte auch nicht plötzlich ein oder hörte abrupt auf, sondern war eingebettet in zwei Jahrhunderte sehr günstiger klimatischer Bedingungen, die von etwa 920 bis 730 vor Christus währten.
Die fetten Jahre waren vorbei
Genau in diese 200 Jahre fällt der kometenhafte Aufstieg des Neuassyrischen Reiches. Ganze Landstriche, die sonst zu trocken für den Ackerbau gewesen waren, konnten nun bestellt werden. Was auf diesen Feldern wuchs, versorgte das expandierende Großreich. Seine Macht sicherte Assyrien sich unter anderem durch massive Umsiedlungsmaßnahmen in den neu eroberten Gebieten.
Riesige Provinzhauptstädte entstanden, aufgefüllt mit Bewohnern aus den jüngst eroberten Ländereien. So wuchsen "Megacities" heran, die größer waren als alle urbanen Zentren, die es je zuvor gegeben hatte. Als Aššur-bāni-apli an die Macht kam, erstreckte sich das Territorium der Supermacht Assyrien von Zentralanatolien im Norden bis zum Mittelmeer und Ägypten im Westen und Süden, sowie östlich bis an den Persischen Golf und in den heutigen Westirak hinein.
Doch da hatte, wie Sinha und sein Team nun belegen konnten, das Ende bereits begonnen. Denn auf die fetten Jahre folgten extrem magere. Ramman entfesselte seinen Regen nicht mehr. Ea ließ seine Wasserhöhlen geschlossen. Die unbarmherzige Sonne dörrte die Felder aus. Die Ähren litten auf den Feldern. Sommer um Sommer, Jahr um Jahr. Das geschäftige Treiben in den Großstädten kam zum Stillstand.
Brüder führten Krieg gegeneinander
Bislang hatten Historiker für den Zerfall des Neuassyrischen Reiches soziale Unruhen verantwortlich gemacht oder eine gefährliche Mischung aus zu vielen eroberten Regionen und zu ehrgeiziger Nachbarn. Doch die treibende Kraft hinter den brodelnden Aufständen war der Hunger.
Nur wenige Jahre, nachdem Aššur-bāni-apli sich in der Gunst der Götter gesonnt hatte, war er bereits in einen blutigen Kampf gegen seinen älteren Bruder Šamaš-šuma-ukin verwickelt. Der Vater der beiden, Asarhaddon, hatte sein Reich geteilt: Während er Aššur-bāni-apli zum Herrscher über Assyrien machte, setzte er Šamaš-šuma-ukin auf den Thron Babylons.
Doch die immer knapper werdenden Ressourcen reichten nicht mehr für beide Reiche. 652 vor Christus verbündete Šamaš-šuma-ukin sich mit dem König von Elam und marschierte gegen den jüngeren Bruder. Der Angriff scheiterte. Und die Rache Aššur-bāni-aplis sollte furchtbar werden. Zwei Jahre lang belagerte er mit seinen Truppen Babylon – und hungerte das Volk seines Bruders aus. "Zu dieser Zeit geschah es, dass die Leute von Akkadu (Babylon), welche aufseiten des Šamaš-šuma-ukin standen und Böses planten, der Hunger erfasste, und sie gegen ihren Hunger das Fleisch ihrer Söhne und Töchter aßen", beschreibt Aššur-bāni-apli, was er seinen Feinden antat.
Niedergang eines Imperiums
Das Grauen von Babylon war ein Vorgeschmack auf das, was auch die Assyrer erwartete. Kaum starb Aššur-bāni-apli, begann das Reich, auseinanderzubrechen. 636 vor Christus tauchte der Name des Herrschers zum letzten Mal auf Tontafeln auf. Nur zwei Jahrzehnte später zog der babylonische König Nabopolassar in Assyrien ein. 614 vor Christus fiel die Stadt Assur, zwei Jahre später auch die prächtige Hauptstadt Ninive. Da hatte der Hunger das verzweifelte Volk schon längst fest im Griff. Mit dem Fall von Harran endete im Jahr 609 vor Christus offiziell das Neuassyrische Reich.
Die Dürre, die den Niedergang herbeigeführt hatte, zählt zu den verheerendsten, die je in der Region geherrscht haben. Allerdings gibt es eine klimatische Parallele: "Unsere Daten legen nahe, dass die damalige Dürre in etwa mit den modernen klimatischen Bedingungen übereinstimmt", mahnt Studienleiter Sinha in einer Presseerklärung. "Und die damalige Dürre hielt Jahrzehnte lang an – was sehr besorgniserregend ist."
Auch jetzt herrsche extreme Trockenheit im Nahen Osten und in der östlichen Mittelmeerregion – ein Trend, der bereits seit den 1980er-Jahren immer schlimmer wird. "Ich wage zu behaupten", folgert der Professor für Geowissenschaften, "dass wir uns dort im Anfangsstadium einer neuen Megadürre befinden."