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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Unterwasserarchäologie Die Kampfmaschine der Ostsee
Die schwedische "Mars" war das mächtigste Kriegsschiff ihrer Zeit. Und unterlag 1564 ihren Gegnern trotzdem in einer gewaltigen Schlacht. Archäologen erforschen den Schauplatz der Katastrophe.
Sie war kein einfaches Schiff, sie war eine Kampfmaschine. Als die schwedische Karavelle "Mars", stolzes Flaggschiff von König Erik XIV., am 30. Mai 1564 auf die Flotte der Dänen traf, galt sie als größtes Kriegsschiff Europas: 54 Meter lang, drei Masten, 107 Kanonen, 356 Mann Besatzung, 340 Soldaten und acht verschiedene Sorten Bier an Bord. Doch unbesiegbar war sie nicht. Am folgenden Tag gelang es vereinten dänischen und Lübecker Soldaten, die "Mars" auf den Grund der Ostsee zu befördern.
Mehr als 450 Jahre liegt sie nun bereits zwischen den beiden schwedischen Inseln Öland und Gotland, wo Taucher das Wrack im Jahr 2011 entdeckten. In diesem Sommer bargen Unterwasserarchäologen des Marine Research Institute MARIS der schwedischen Södertörn Universität, der Global Underwater Explorers und des Västervik Museum nun erneut Funde, die von dem tragischen Ende des Schiffes zeugen.
Schwimmende Stadt
"Dieses Jahr sind wir den Menschen an Bord näher gekommen", berichtete der Unterwasserarchäologe Rolf Fabricius Warming. "Wir haben Skelettteile gefunden, darunter einen Oberschenkelknochen mit Verletzungen am Knie, die wahrscheinlich von einer scharfen Klinge stammten." Vermutlich waren auch große Gewehre und Handgranaten unter den Funden – genaueres über die Waffen werden die Forscher erst nach der Säuberung der Gegenstände wissen.
"Wir können aber mit Sicherheit sagen, dass es ein schwerer Kampf war", so Warming. "An Bord befanden sich etwa 800 bis 1.000 Menschen, das entsprach damals etwa der Einwohnerzahl einer mittelgroßen Stadt. Die meisten von ihnen starben bei einer gewaltigen Explosion an Bord oder ertranken, als das Schiff anschließend unterging."
Nicht alle Toten waren allerdings Schweden. Erst kurz vor der Explosion hatten rund 300 bis 400 dänische und Lübecker Soldaten die "Mars" geentert, die sich nun ebenfalls an Bord befanden. Von diesen dramatischen Momenten erzählt der wohl spektakulärste Fund der diesjährigen Tauchkampagne: ein Enterhaken.
Um ein Schiff zu stürmen, mussten die Angreifer möglichst nahe an seine Seite herankommen – bei einer Stachelwand aus Kanonen nicht unbedingt eine leichte Aufgabe. Dann warfen Soldaten die ankerförmigen Eisenhaken von ihrem Schiff aus über die Bordwand des feindlichen Schiffes. Fasste der Haken, konnten sie sich an dem daran befestigten Tau hinüber hangeln.
Opfer einer Explosion
"Wir kennen Enterhaken zwar aus historischen Quellen des 16. Jahrhunderts, aber dieses ist das einzige Exemplar, das wir tatsächlich haben", freut sich Warming. Wehrlos war die "Mars" allerdings nicht, denn über ihrer Bordwand war ein Anti-Enter-Netz gespannt. Jeder, der versuchen wollte, an Bord zu gelangen, blieb unweigerlich zunächst an diesem Netz hängen und bot so ein klares Ziel für die Gewehre der schwedischen Soldaten.
"Die 'Mars' liegt genau in der Übergangszeit zwischen mittelalterlichen und modernen Marine-Kampftechniken", erläutert Warming. Ihr Aufbau und vor allem ihre schwere Bewaffnung deuten ganz klar darauf hin, dass sie die mittelalterlichen Kampfmethoden wie das Entern bereits hinter sich gelassen hat. In der modernen Seekriegsführung war sie allerdings auch noch nicht ganz angekommen. "Obwohl sie bereits zu einer Artillerie-Plattform ausgebaut war, folgte die Mars immer noch der alten Traditionen, ein Kriegsschiff möglichst groß zu bauen und mit möglichst vielen Soldaten zu bemannen, die dann im Nahkampf auf den Feind trafen."
Am Ende waren es allerdings nicht die Dänen und Lübecker an Bord, die dem Schlachtschiff den Untergang brachten, sondern das eigene Pulverlager. Die 107 Kanonen brauchten sehr viel Pulver, und das geriet bei den Kämpfen in Brand. "Die historischen Quellen sind voll von Fake News", erzählt Warming. "Viele hätten gerne selber die Lorbeeren für den Untergang der 'Mars' geerntet und haben nach der Schlacht behauptet, sie hätten das Schiff versenkt." Tatsächlich aber konnten die Unterwasserarchäologen dokumentieren, dass die "Mars" von einer Explosion an Bord entzwei gerissen wurde.
War das Schiff verflucht?
"An den Planken konnten wir Spuren eines heftigen Feuers sehen", beschreibt Warming die Indizien der Katastrophe. Die Druckwelle war so groß, dass sie den Bug des Schiffes abriss. Er liegt etwa 50 Meter vom Rest des Schiffes entfernt auf dem Grund. "Diese Explosion muss gewaltig gewesen sein. Die 'Mars' ist nicht nur ein einfaches Wrack, sie ist ein maritimes Schlachtfeld."
Von der Explosion hatten allerdings auch Augenzeugen schon berichtet. Die "Mars", munkelte man daraufhin, sei verflucht gewesen. Das schwedische Königshaus lag nämlich im Streit mit der katholischen Kirche, die den Monarchen die Macht im Lande streitig zu machen versuchte. Erik XIV. lies überall in Schweden katholische Gotteshäuser schließen – und konfiszierte die Glocken, um daraus Kanonen für sein Flaggschiff gießen zu lassen. Dass die "Mars" ihr Ende durch das Pulver für diese Kanonen fand, konnte nur Gottes Rache gewesen sein.
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Geborgen wird der einstige Stolz der schwedischen Marine wohl nie. Das Schiff liegt in über 70 Metern zu tief für umfassende Bergungsarbeiten am Rumpf. Dort unten ist die See jedoch ruhig, kalt und sehr sauerstoffarm: beste Bedingungen für eine perfekte Konservierung. An der Oberfläche würde das Holz dagegen zerfallen, sobald es der Luft ausgesetzt ist. Statt dessen kartieren Tauchroboter nun das Wrack. Mit ihren Aufnahmen können Forscher ein detailgenaues 3D-Modell der "Mars" erstellen und sie bequem vom Schreibtisch aus studieren.
- Eigene Recherchen